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Vielen Radfahrern ein Graus: Der Radweg am Moritzplatz.

© Britta Pedersen/dpa

Von richtig schlecht zu schlecht: Berlin ist "Aufholer" bei der Fahrradfreundlichkeit

Der Fahrradklimatest 2018 des ADFC zeigt: Der Radfahrer-Frust in Deutschland wächst. Berlin liegt im Städteranking noch immer weit hinten, verbessert sich aber.

Der Frühling ist da, doch gerade in Berlin heißt das: Kampf- und Pöbelszenen schon am frühen Morgen. Gerade in Mitte wimmelt es von Baustellen, was den Platz zwischen Auto und Rad noch enger werden lässt. Zwar versucht die Autostadt Berlin irgendwie die Metamorphose zur halbwegs radtauglichen Metropole hinzubekommen und ist im neuen, am Dienstag vorgestellten Fahrradklima-Test 2018 des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, der beste "Aufholer" bei den Großstädten über 500.000 Einwohner.

Gleichzeitig ist Berlin unter den Städten mit über einer halben Million Einwohnern ist Berlin nur 12. und damit Drittletzter vor Dortmund und Schlusslicht Köln. Erster ist hier Bremen. Die fahrradfreundlichste Stadt findet sich erstmals in Karlsruhe, das Münster auf dem Spitzenplatz abgelöst hat. Auf Platz drei in der Kategorie der Städte mit 200.000 bis 500.000 Einwohnern folgen Freiburg, Braunschweig und Kiel.

Ich persönlich finde, dass sich die Situation für mich als Radfahrer in den letzten Jahren verbessert hat. Allerdings steigen auch die Ansprüche. Die autogerechte Stadt wird eben als Leitbild in der Bevölkerung langsam abgelöst [...].

schreibt NutzerIn MahNaMahNa

Insgesamt wächst aber der Frust unter den Millionen Radfahrern in Deutschland – wenngleich auch Autofahrer sich über zunehmend aggressive „Ramboradler“ beklagen. Eine Befragung unter 170.000 Radlern für die neue ADFC-Studie ergab, dass sich die Gesamtnote auf 3,9, also gerade mal ein „Ausreichend“, verschlechtert hat, bei der letzten Umfrage 2016 gab es eine 3,8.

„Der Spaß am Radfahrern nimmt kontinuierlich ab“, meint ADFC-Bundesvorstand Rebecca Peters. Am stärksten wird der zu lasche Umgang mit Falschparkern in Städten und Kommunen bemängelt, die immer wieder Radwege blockieren (Note 4,5). Für die bundesweite, alle zwei Jahre durchgeführte Erhebung wurden im Herbst 2018 per Online-Umfrage 32 Fragen zur Fahrradfreundlichkeit gestellt.

Ebenfalls sehr schlecht bewertet werden ungünstige Ampelschaltungen für Radfahrer und die fehlende Breite der Radwege (beides Note 4,4). Besonders alarmierend ist aus Sicht des ADFC, dass die Menschen sich immer unsicherer beim Radfahren fühlen (Note 4,2 gegenüber 3,9 in 2016). „Das fehlende Sicherheitsgefühl kommt von schlechten oder zu schmalen Radwegen und der Nähe zum schnellem Autoverkehr“, meint Peters. 81 Prozent der Befragten sagen, es sei wichtig oder sehr wichtig, vom Autoverkehr getrennt zu sein – unter den Frauen sind es sogar 86 Prozent.

Umstrittene Helm-Kampagne

Vorgestellt wurde die Studie im Bundesverkehrsministerium, dessen Hausherr, Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), zumindest eins geschafft hat. Über seine Kampagne mit weiblichen und männlichen Models, die sich knapp bekleidet mit Fahrradhelm räkeln, dazu der Spruch "Looks like shit". But saves my life" (übersetzt: "Sieht etwas scheiße aus, rettet aber mein Leben"), wurde viel diskutiert.

In Kreuzberg fanden sich an Bushaltestellen dazu Aufkleber auf der Helm-Werbung mit dem Slogan: „Sexistische Kackscheiße“. Berliner Dialogkultur. Das Verkehrsministerium hat die Kampagne, die rund 400.000 Euro kostet, in Zusammenarbeit mit der Fernsehsendung "Germany's Next Topmodel" aufgelegt.

Scheuer betonte, zur Verbesserung des Radklimas seien vor allem die Kommunen gefragt: „Um ein weit verbreitetes Missverständnis auszuräumen: Die Städte und Kommunen sind für die Kontrolle und die Radwege vor Ort zuständig“, betonte er in Berlin. Das Bundesverkehrsministerium fördere Radwege an Bundestraßen, Radschnellwege, innovative Modellprojekte wie zum Beispiel zur Erprobung von Lastenrädern in Logistikketten, Abbiegeassistenten oder Stiftungsprofessuren für die Forschung und die Ausbildung von Fachpersonal. Das Bundesverkehrsministerium stelle allein 2019 allein rund 200 Millionen Euro Fördermittel für den Radverkehr bereit.

Berlin musste ja zuletzt auch viel Spott über Zickzack-Radwege oder im an Absperrgitter endende Radwege hinnehmen. Wo man gut abschneidet ist das Thema Leifahrräder. Daran gibt es weniger Mangel als an vom Autoverkehr klar getrennten Radstrecken. Fast nirgendwo kann man in Berlin, so wie in der dänischen Fahrrad-Metropole Kopenhagen, ohne Kreuzungen und Ampeln auf eigenen Schnellwegen ins Zentrum fahren.

Eine Klatsche für die Berliner Verkehrsverwaltung

Berlin erreichte insgesamt die Note 4,3 – wie vor zwei Jahren. Nimmt man alle Städte über 200.000 Einwohner, liegt Berlin auf Platz 32 von 39. Beim Test 2016 lag Berlin auf Platz 36, 2014 auf Platz 30 und 2012 noch auf Platz 24. Das aktuelle Ergebnis ist vor allem eines: Eine Klatsche für die Verkehrsverwaltung des Senats.

Vor zwei Jahren hatte Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) das desaströse Berliner Ergebnis so kommentiert: „Die Radinfrastruktur lässt viele Wünsche offen. Weil immer mehr Menschen aufs Rad steigen und aus Verantwortung für ihre Sicherheit, müssen wir mehr in die Radinfrastruktur investieren.“ Vor zwei Jahren durfte sie das gelassen sehen, Rot-Rot-Grün war zum Zeitpunkt der Umfrage ja gerade gestartet.

Doch nun, nach über zwei Jahren grüner Verkehrspolitik, ist das Ergebnis nicht einen Millimeter besser geworden. Tatsächlich entstanden in den vergangenen beiden Jahren ja so gut wie keine modernen Radwege, abgesehen von einigen hundert Metern in der Holzmarktstraße in Mitte (nur einseitig) und der Hasenheide in Kreuzberg (noch für ein Jahr durch Baustelle unterbrochen).

Möglicherweise haben diese Vorzeige-Projekte zu einer leichten Verbesserung bei Detailfrage 6 („Fahrradförderung in jüngster Zeit“) geführt. Hier verbesserte sich die Stadt von 4,5 auf 4,2. Die einzige Note „Gut“ gab es für die vielen Leihräder, die zweitbeste Note ist eine 3,1 für „Erreichbarkeit des Stadtzentrums“.

Fünfen für Fahrraddiebstahl, Radweg-Breite und "Konflikten mit Kfz"

Bei der zentralen Frage „Konflikte mit Kfz“ ist Berlin mit Note 5,1 dagegen bundesweites Schlusslicht. Glatte Fünfen gab es auch für Fahrraddiebstahl, Breite der Radwege und Falschparker-Kontrollen auf Radwegen. Wie berichtet, bemängeln Aktivisten und ADFC seit langem die Untätigkeit der Behörden gegen illegale Parker auf Radwegen.

Der Erfinder des Volksentscheids Fahrrad, Heinrich Strößenreuther, hatte das mal so auf den Punkt gebracht: „Weiße Farbe hilft nicht.“ Als Standard werden jetzt baulich abgetrennte Radwege gefordert, zum Beispiel mit Pollern oder Baken. Gerade hat Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) den ersten „geschützten“ Radweg für seinen Bezirk angekündigt. Ein Stück der Karl-Marx-Straße soll zwischen Hermannplatz und Reuterstraße eine „Protected Bike Lane“ erhalten – allerdings auch nur in Richtung Osten.

Ein Blick nach Brandenburg: Potsdam liegt beim Klimatest unter den Städten zwischen 100.000 und 200.000 Einwohnern auf einem guten 5. Platz mit einer Note von 3,62. Der Notenschnitt bei diesen 41 Städten liegt bei 4,08. Bester in dieser Gruppe ist Göttingen (3,35) und Schlusslicht Remscheid mit Note 4,71.

Sonst sieht es in größeren Städten Brandenburgs düster aus, Frankfurt/Oder (Platz 75) und Brandenburg/Havel (78) liegen bei den Städten zwischen 50.000 und 100.00 Einwohnern im hinteren Tabellendrittel. Viel besser sieht es in den kleineren Städten unter 50.000 Einwohnern aus. Schwedt erreichte Platz 6, Oranienburg Platz 13. In dieser Gruppe wurden bundesweit über 300 Städte bewertet. Brandenburgs Schlusslicht ist hier Falkensee auf Platz 277.

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