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Klaus Hübner wurde 96 Jahre alt.

© Thilo Rückeis/Tsp

Nachruf auf Berlins ehemaligen Polizeipräsidenten: Von Klaus Hübner lernte die Polizei Deeskalation

Am Siedepunkt der Studentenunruhen wurde Klaus Hübner 1968 Polizeipräsident. Nun ist er im Alter von 96 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Ein Parteipolitiker als Polizeipräsident? Die Idee klingt heute sehr nach dem 20. Jahrhundert, denn es hat sich ja auch in Berlin längst durchgesetzt, dass der Polizeichef ein Polizist oder hoher Karrierebeamter ist, der ausführt, was Senator und Staatssekretär vorgeben. Klaus Hübner, noch vom Parlament gewählt, hätte sich auf so etwas nicht eingelassen.

Er war zwar mal Polizist, hatte Ende der 1940er Jahre die blaue Uniform in seiner Weddinger Heimat getragen – doch dann andere Wege eingeschlagen, als SPD-Unterbezirksvorsitzender, Gewerkschaftssekretär und Chef der Gewerkschaft der Polizei. 1965 rückte er in den Bundestag nach und profilierte sich als Sicherheitsexperte, bis er zum 1. Januar 1969 nach Berlin gerufen wurde.

Hübner war für die Berliner Polizei ein Kulturbruch

Für die Berliner Polizei war das ein Kulturbruch. Da kam ein gremienerfahrener Sozialdemokrat und sollte in Ordnung bringen, was die bis dahin paramilitärische Truppe in der Auseinandersetzung mit den aufbegehrenden Studenten vermurkst hatte. Hübners Vorgänger Erich Duensing, ein ehemaliger Generalstabsoffizier, hatte den Rückhalt von Innensenator Kurt Neubauer verloren, weil seine „Leberwursttaktik“ beim Auflösen von Demonstrationen – „In der Mitte einstechen, dann nach den Seiten ausdrücken“ – die Konflikte eskalieren ließ.

Auch Klaus Hübner konnte Sprüche, aber sie zielten in eine andere Richtung: Die Polizei müsse in der Lage sein, Provokationen „wie Wasser am Fels abfließen zu lassen“. Oder, fast eine Provokation für sich: „Eine Straßenschlacht, die die Polizei gewinnt, hat die Demokratie verloren“.

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Nicht wenige Polizeiführer waren verdutzt, als der neue Chef ihnen das Prinzip der Deeskalation nahe brachte. Doch es funktionierte schon bei Hübners erster Bewährungsprobe, dem Besuch von Richard Nixon im Februar 1969, der Ton in der Stadt wurde ziviler, und Hübner hatte viele Pläne und Ideen, die nun nach und nach umgesetzt wurden: Diskussionspolizisten („Gruppe 47“), Kennzeichnung, Kontaktbereichsbeamte, striktes Alkoholverbot im Dienst, das war die eine Seite.

Schwach sollte die Polizei aber nicht wirken: Die Beamten erhielten eine oft als martialisch kritisierte neue Schutzausrüstung und 1974 eine völlig neue Führungsstruktur. Nebenbei gründete Hübner den „Weißen Ring“, der sich um die Opfer von Straftaten kümmert, eine für Polizisten damals völlig neue Blickrichtung.

In Hübner Amtszeit fielen alle Sicherheitsprobleme, mit denen West-Berlin weltweit Schlagzeilen machte

In Hübners Amtszeit fielen praktisch alle Sicherheitsprobleme, mit denen West-Berlin damals weltweit Schlagzeilen machte: Baader-Meinhof, das Attentat auf den Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann 1974, die Lorenz-Entführung im Jahr darauf, dann 1983 die Bombe im Maison de France und der La-Belle-Anschlag drei Jahre später.

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Bei der Befriedung des Häuserkampfs bewährte sich Hübners zurückhaltende „Berliner Linie“, allerdings nur so lange, wie die SPD am Ruder war. Denn mit dem Weizsäcker-Senat 1981 kam auch Innensenator Heinrich Lummer, ein Hardliner, der das Hausbesetzerproblem auf althergebrachte Art regeln wollte. Der Tod des Hausbesetzers Klaus-Jürgen Rattay unter einem BVG-Bus im September 1981 markiert eine wesentliche Zäsur.

Geheimniskrämerei gab es nicht

In dieser Zeit schwand Hübners politischer Rückhalt rapide. Dabei galt es schon als überraschend, dass er die politische Machtübernahme im Amt überstanden hatte. Doch er war eben nicht nur ein Beamter: Er konnte frei und klar mit Berliner Zungenschlag reden, er zeigte sich nahbar und sagte, was Sache ist. Ein gestandener Journalist führte seine Pressestelle, Geheimniskrämerei gab es nicht. Das alles machte ihn nicht nur zum Berliner Polizeipräsidenten mit der längsten Amtszeit, sondern auch zum wohl populärsten Amtsinhaber überhaupt.

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1987 endete der Burgfrieden zwischen CDU-Senator und SPD-Polizeichef. Denn im Jahr 1986 hatte der zweite Diepgen-Senat seine Arbeit aufgenommen, und ins Amt des Innensenators kam der bisherige Wissenschaftssenator Wilhelm Kewenig, ein Rechtsprofessor mit Harvard-Glamour. Das war eine andere Welt, und Hübner, der mit dem simpler gestrickten Heinrich Lummer auf herzhaft berlinische Weise irgendwie zurechtgekommen war, bat schließlich um seine Abwahl.

Im Februar 1987 wurde er nach 16 Jahren im Amt entlassen, der Senator übernahm faktisch das Amt des Oberpolizeipräsidenten über Hübners Nachfolger Georg Schertz. Kewenigs Leitlinie „Am Tatort muss die Pressefreiheit schon mal zurücktreten“ wurde hart kritisiert – Hübner hätte solch einen Satz nie formuliert. Er zog sich, erst 62 Jahre alt, aus der Arbeit zurück, veröffentlichte 1997 seine Memoiren, geadelt durch ein Vorwort Helmut Schmidts. In der Nacht zum vergangenen Sonnabend ist Hübner im Alter von 96 Jahren gestorben.

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