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Ein Strafvollzugsbeamter bewacht Gefangene in Berlin.

© imago/photothek

Verurteilt wegen Waffen, Raub, Drogen: Berliner Clan-Krimineller flieht aus offenem Vollzug

Wieder ist ein Inhaftierter in Berlin geflohen. Der 41-Jährige hatte nur noch 38 Tage abzusitzen. Fahnder der Polizei befürchten, dass er Zugang zu Schusswaffen hat.

Erneut ist in Berlin ein verurteilter Straftäter aus dem offenen Vollzug entwichen. Das erfuhr der Tagesspiegel aus Justizkreisen. Der 41-Jährige soll am Sonnabend aus der Haftanstalt für den offenen Vollzug in Spandau geflohen sein. Er gehört nach Tagesspiegel-Informationen einem bekannten Berliner Clan an und saß eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen räuberischer Erpressung, Waffen- und Drogendelikten ab.

Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) lässt den Fall jetzt „mit Nachdruck aufklären“, wie ihr Sprecher sagte. Am Sonnabend hatten die Vollzugsbeamten bei der Abendkontrolle um 20.10 Uhr den Flüchtigen noch in seiner Zelle gesehen. Beim nächtlichen Kontrollgang am Sonntag um 0.35 Uhr war er fort. Das Umfeld und die nähere Umgebung wurden sofort abgesucht – ohne Erfolg. Die Polizei fahndet seither nach dem 41-Jährigen. Nach Tagesspiegel-Informationen konsultierten die in solchen Fällen für die Suche eingesetzten Zielfahnder die Clan-Spezialisten im Landeskriminalamt.

Auffällig: Der Flüchtige hatte nur noch 38 Tage abzusitzen und sollte am 26. Oktober entlassen werde. Er war erst wenige Tage vor seiner Flucht, am 13. September, für die Entlassungsvorbereitung in den offenen Vollzug verlegt worden. Behördenintern wird darauf hingewiesen, dass der Mann womöglich Zugang zu Schusswaffen hat. Mehrere Verwandte des Flüchtigen sind ebenfalls seit Jahren polizeibekannt, gelten als „justizerfahren“.

Vergleichbarer Vorfall geschah Ende August

Bereits Ende August war ein verurteilter Gewalttäter nicht wieder von einem genehmigten Ausgang ins Gefängnis zurückgekehrt, wo er im geschlossenen Vollzug einsaß. Seither wird nach Koray T. gefahndet. Auch bei ihm gab es Verbindungen zur Organisierten Kriminalität, hier aber zur den Hells Angels. T. saß in der Vollzugsanstalt Tegel eine achtjährige Haftstrafe ab.

Er war 2019 wegen tödlicher Schüsse am Kottbusser Tor in Kreuzberg verurteilt worden – aber nicht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, weil das Gericht wegen Drogenkonsums von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen war. Weil er sich seit Ende 2016 in Untersuchungshaft befand, sind noch drei Jahre dieser Strafe offen. So wie im Fall Koray T., wird auch bei dem nun entwichenen Straftäter eine Flucht ins Ausland für möglich gehalten.

Für Justizsenatorin Kreck könnte die erneute Entweichung eines verurteilten Straftäters aus dem Berliner Vollzug zum Problem werden. „Das wird langsam zur Gewohnheit, wir müssen uns die Frage stellen, ob unter dieser Justizsenatorin der Begriff des offenen Vollzugs neu definiert wird“, sagte FDP-Rechtsexperte Holger Krestel. „Nach der zweiten Entweichung binnen kurzer Zeit kann es jetzt nicht mit warmen Worten weitergehen“, erklärte er. „Wenn das noch einmal geschieht, müsste die Senatorin über einen Rücktritt nachdenken. So war es bislang nach mehreren Ausbrüchen geübte Praxis bei Justizministerin in der Bundesrepublik.“

Auch SPD-Fraktionsvize Tom Schreiber ging auf Distanz zu Kreck. „Statistisch mag das ja alles in einem kleinen Bereich liegen, aber nun folgt der zweite Streich in kurzer Zeit“, schrieb er auf Twitter. Tatsächlich sind solche Vorfälle nicht nur äußerst selten, sie wurden in den letzten Jahren auch immer seltener. Die Zahl von Fluchten nach Hafturlaub, Aus- und Freigängen lag zuletzt bei weniger als 100 Fällen pro Jahr.

Noch in den Neunzigern gab es bis zu 400 solcher Vorfälle pro Jahr. So kehrten in Berlin nach fast 64.000 Vollzugslockerungen 1992, also Hafturlauben sowie Aus- und Freigängen, insgesamt 364 Insassen nicht in die jeweilige JVA zurück; 2002 waren es nach circa 105.700 Vollzugslockerungen noch 152 und 2012 nach knapp 270.000 Lockerungen 113 Häftlinge. Wegen der Corona-Maßnahmen sind die Zahlen zu 2020 und 2021 wenig aussagekräftig, im Präpandemie-Jahr 2019 kamen 76 Häftlinge nicht freiwillig in die jeweilige Anstalt zurück, bei fast 180.000 Vollzugslockerungen.

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