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Anastasiia Gorila

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Vernetzt und aktiv: So bringen sich Ukrainer zivilgesellschaftlich in Berlin ein

In Berlin haben sich seit Kriegsbeginn ukrainische Organisationen für gesellschaftliches Engagement gegründet. Dabei müssen sie auch die Hürden der Bürokratie überwinden.

Ein Jahr, nachdem sie vor dem Krieg geflohen sind, möchten sich viele Ukrainer in Berlin auch gesellschaftlich einbringen und engagieren. Jetzt haben sie das Gefühl, dafür auch wieder die inneren Ressourcen zu haben. Sie wollen das fortsetzen, was sie in der Ukraine vor dem Krieg getan haben, als sie Leiter von gemeinnützigen Organisationen, Vereinen und Projekten waren.

Aber wie registriert man eine Organisation? Was bedeutet die Abkürzung e.V.? Und wie können Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund für ihre Interessen eintreten? Ist das ohne deutschen Pass überhaupt möglich? All das können Interessierte beim „Kurs für politischen Aktivismus“ der Allianz ukrainischer Organisationen lernen. „Wir sind ein Teil von Berlin!“ lautet das Motto.

Oleksandra Bienert, Vorstandsvorsitzende der Allianz, hat den Kursus organisiert. Sie selbst kam vor 17 Jahren als Studentin nach Berlin. Bis Februar 2022 lebten 24.000 Ukrainer in Berlin, fast die Hälfte von ihnen mit deutschem Pass. Über ein Jahr nach Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine leben in Berlin rund 60.000 Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten. Etwa 50.000 von ihnen haben einen Aufenthaltstitel.

Oleksandra Bienert hat einen Kursus organisiert, um ukrainische Vereine zu unterstützen.

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Bienert hofft, eine starke, aktive ukrainische Gemeinschaft aufzubauen, deren Stimme gehört wird. „Nach dem Anfang des russischen Krieges 2014 und vor der vollumfassenden Invasion 2022 gab es Veranstaltungen in Berlin“, sagt sie. „Aber es gab hier keine kritische Masse von Menschen, die hätten ändern können, wie die Deutschen über die Ukraine denken“, sagt sie. Daher betrachte Deutschland die Ukraine immer noch aus einer postkolonialen Perspektive. „Aber jetzt gibt es eine Chance, das zu ändern“, sagt Bienert. Als sie und ihre Mitstreiter 2022 die Allianz gründeten, gehörten ihr sieben Organisationen an, jetzt sind es 15. Drei davon wurden von ukrainischen Flüchtlingen, die erst vor Kurzem nach Berlin kamen, gegründet oder befinden sich in Gründung.

1 Die „Ukrainische Sozialdemokratische Plattform“

Die „Ukrainische Sozialdemokratische Plattform“ vereint junge Flüchtlinge, die bereits Erfahrung mit der Arbeit in einer Nichtregierungsorganisation haben. In der Ukraine waren sie Mitglieder der „Sozialdemokratischen Plattform“. Die Berliner Gruppe besteht seit dem Sommer 2022. Ihr Ziel: der ukrainischen Jugend sozialdemokratische Werte zu vermitteln. Die Gruppe organisiert Schulungen, Lesungen und öffentliche Diskussionen.

Wir haben schon gelernt, dass in Deutschland nichts schnell geht.

Anastasiia Gorila, Mitgründerin der „Ukrainischen Sozialdemokratischen Plattform“

In Berlin dachten die Mitglieder erst daran, eine Zweigstelle zu eröffnen. Aber dann stellte sich heraus, dass es einfacher war, sich als unabhängige Migrantenorganisation zu registrieren. „Einfacher“ heißt aber nicht einfach: Bisher haben die Aktivisten nur die Satzung geschrieben. Vor ihnen liegen noch eine Prüfung des Finanzamts und die Eintragung im Amtsgericht Charlottenburg.

„Wir haben schon gelernt, dass in Deutschland nichts schnell geht“, sagt die Mitgründerin der Berliner Plattform, Anastasiia Gorila (Foto oben). Man versuche bereits, Partnerschaften mit deutschen Organisationen aufzubauen, insbesondere arbeite man mit der Sozialistischen Jugend Deutschland und den Jusos zusammen. Man sei keine Partei, sondern eine soziale Initiative von jungen Menschen, die sozialdemokratische Ideen teilten. Nach dem Krieg werde man mit neuen Erfahrungen in die Ukraine zurückkehren.

2 „Kwitne Queer“

„Gemeinnützigkeit“ ist ein Wort, das alle ukrainischen Aktivisten gelernt haben. Die Organisation der LGBT-Aktivisten „Kwitne Queer“ hat nach Prüfung des Finanzamt bereits diesen Status erhalten. Jetzt wartet die Gruppe auf die Eintragung in das Vereinsregister. In den vergangenen Wochen haben die Mitglieder vor allem den Christopher Street Day vorbereitet, wo sie dieses Jahr als ukrainische Gruppe mitlaufen. Die Initiative gibt es seit Herbst 2022. Sie unterstützt queere Menschen auf ihrem Weg zur Integration in Deutschland. Sie organisiert beispielsweise Treffen zur psychologischen Unterstützung und gegenseitigen Hilfe unter dem Namen „Warme Abende“.

Maryna Usmanowa engagiert sich bei dem Verein Kwitne Queer.

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Maryna Usmanova, Mitgründerin von „Kwitne Queer“, hat 15 Jahre Erfahrung mit LGBT-Aktivismus in der Ukraine. Aber sie sagt, dass sie sich erst jetzt, in Berlin, als gleichberechtigter Teil der ukrainischen Gemeinschaft fühlt. „Die Ukraine ist kein homophobes Land, aber LGBT-Organisationen standen immer ein wenig abseits und schmorten in ihrem eigenen Saft.“ Manchmal seien sie zu einigen öffentlichen Foren eingeladen worden, aber nicht überall und nicht immer.

Sogar die ukrainisch-orthodoxe Kirche habe für die assoziierte Mitgliedschaft der Gruppe in der Allianz gestimmt. „Das wäre in der Ukraine kaum möglich gewesen.“ Noch etwas hat Usmanova positiv überrascht: „In Deutschland können NGOs auf die Unterstützung des Staates, des Landes und der Kommunen zählen.“ Beratung, Büroräume und sogar finanzielle Mittel würden angeboten. In Cherson, wo sie selbst herkomme, habe die lokale Regierung pro Jahr nur weniger als 30 Euro für derartige Projekte zur Verfügung gestellt, sagt Usmanova.

3 Der Verein „PlusUkrDe“ 

PlusUkrDe wurde im Herbst 2022 von HIV-positiven Ukrainern gegründet. Die Organisation unterstützt Ukrainer, die mit HIV leben, in allen Phasen der Integration und bei der medizinischen Versorgung einschließlich des Zugangs zur HIV-Therapie. In Berlin und Hannover hat der Verein regelmäßige Selbsthilfegruppen eingerichtet. Auch ein Training zum Thema „Stigma, Selbststigmatisierung und Diskriminierung“ und ein Retreat für Frauen haben die Frauen bereits organisiert.

Alona Khlystik leitet den Verein PlusUkrDe.

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PlusUkrDe ist eine der ersten Organisationen von ukrainischen Flüchtlingen, die bereits den Status eines eingetragenen Vereins erhalten haben. „Das wäre nicht möglich gewesen ohne unsere deutschen Freunde und Partner – die Berliner Aidshilfe und die Deutsche Aidshilfe. Sie haben uns bei der Gründung unseres Vereins sehr geholfen“, sagt Alona Khlystik, die den Verein leitet.

Die Vernetzung mit deutschen Organisationen, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen, sei wichtig. „Man muss sich von Organisationen unterstützen lassen, die bereits über lokales Expertenwissen verfügen“, sagt Khlystik. In ihrem Fall hätten diese Organisationen bereitwillig geholfen. Khlystik und ihr Verein schätzen, dass 8000 bis 10.000 HIV-positive Ukrainer nach Deutschland gekommen sind. „Natürlich brauchen wir soziale und psychologische Hilfe. Dieses Thema ist mit einem großen Stigma behaftet“, sagt Khlystik.

In der Ukraine leitete sie einen Verein, der sich auf die soziale Anpassung von Binnenvertriebenen aus dem Donbass und der Krim kümmert. Ein Partner des Vereins war die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Im Gegensatz zu anderen ukrainischen Aktivisten in Berlin wundert sich Khlystik daher nicht über die langsame Bürokratie in Deutschland. „In der Ukraine dauerte es zwei Wochen, höchstens einen Monat, um einen Verein zu registrieren. Hier etwa ein Jahr.“ (mit ath)

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