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An der Endstation. Die Deutsche Bank schließt ihre Filiale am Tempelhofer Damm.

© Thomas Loy

Veränderung der Berliner Kieze: Es war einmal eine Einkaufsstraße

Erst die Post, dann Schlecker und Kaiser's, nun die Deutsche Bank: Wie die Schließungen von Filialen Berlins Kieze verändern.

Renate Müller aus Tempelhof hat schon vorgebeugt. „Ich habe auch ein Konto bei der Sparkasse“, sagt die Kundin der Deutschen Bank. Wenn also die Filiale am Tempelhofer Damm schließt, geht sie eben zur Konkurrenz. Nur für die Straße, den Kiez, könnte es weiter abwärts gehen. „Es ist ausgestorben hier im Vergleich zu früher. Nur noch Burger, Burger, Burger, Hähnchen, Hähnchen, Hähnchen.“

42 Zweigstellen schließt die Deutsche Bank in Berlin, eine geschäftliche Arrondierung nach der Übernahme der Berliner Bank. Ein weiterer Dienstleister macht sich aus den Kiezen davon – nach Schließung der meisten Postfilialen, der Pleite der Schlecker-Kette und dem Aus für etliche Kaiser’s-Märkte. Auch Sparkasse und Commerzbank haben ihr klassisches Filialnetz ausgedünnt, statt Bankberater wickeln Automaten das Geschäft ab. Was macht das mit den Kiezen, und den Menschen, die an ihnen hängen?

Vor der Filiale am Tempelhofer Damm reagieren die meisten Kunden mit Schulterzucken. Selbst ein 80-Jähriger, sportlich mit Rad unterwegs, hält das Filialsterben für „unvermeidlich“, weil doch alle inzwischen Onlinebanking machten, er inklusive. Bisher gilt: Geben wichtige Dienstleister und Händler auf, verliert der Kiez sein Zentrum, das urbane Leben stirbt langsam ab, die Menschen orientieren sich um, verlagern ihre Alltagsgeschäfte in die nächstgelegene Shoppingmall. Leerstand breitet sich aus, darauf folgt Vandalismus und der Wegzug derjenigen, die es sich leisten können. Die Zurückgebliebenen klagen ihr Leid, dass früher alles besser war, und frequentieren die Billigshops, die inzwischen aufgemacht haben.

Ich überlege mir jeden Online Einkauf zweimal und gehe lieber in einen Laden, um meine Nachbarschaft attraktiv zu erhalten. Das Online-Schnäppchen nutzt mir nicht viel, wenn die Läden in der Nähe pleite gehen und der Wert und die Sicherheit meiner Gegend sinkt.

schreibt NutzerIn c-burger

Schließung sei ein schmerzlicher Verlust

Auch der Tempelhofer Damm macht etappenweise den Eindruck einer Ramschmeile. 1-Euro-Shop, „Sparkaufhaus“ mit Blusen für fünf Euro, Woolworth, Getränkeshop, Back & Snack – „nichts, was uns interessiert“, sagt die Apothekerin nebenan. Sie kauft woanders ein. Ein Laden für billige Schuhe und Taschen macht demnächst dicht, es lohne sich nicht mehr, sagt die Besitzerin. „Die Reichen“ würden nicht bei ihr kaufen, die Armen auch nicht, sondern beim Schuh-Discounter Reno schräg gegenüber.

Der einstige „Kaisers“-Markt an der Straße Am Forstacker steht leer.
Der einstige „Kaisers“-Markt an der Straße Am Forstacker steht leer.

© Rainer W. Durig

Die Händlergemeinschaft Te-Damm versucht gegenzusteuern. Weihnachtsbeleuchung habe man auf die Beine gestellt, ein Sommerfest veranstaltet, sagt der Vorsitzende Tobias Mette. Mehr Ordnung und Sauberkeit habe man schon erreicht, aber das große Ziel heißt anders: „Aufenthaltsqualität“. Und da kann eine vierspurige Straße mit einfacher Nachkriegs-Architektur mit den schicken Malls kaum mithalten. Der neue Shoppingtanker am Tempelhofer Hafen weiter südlich bietet eine historische Kulisse, mit alten Kränen und Schiffen und einer Wasserfläche zum Entspannen.

Mette ist selbst Vermieter, möchte in seinen leerstehenden Laden nicht die 20. Burgerbude einziehen lassen, sondern „was mit Verkauf“. Eine Anwohnerin habe gute Ideen für eigene Kreationen. Ob es reicht die Miete zu zahlen, wird man sehen. Die Schließung der Filiale der Deutschen Bank sei ein „schmerzlicher Verlust für die Straße“, sagt Mette, ein „aktives Mitglied“ im Händlernetzwerk gehe verloren.

Revitalisierung öffentlicher Räume

Stadtplanerin Cordelia Polinna macht sich seit Langem Gedanken über die Revitalisierung öffentlicher Räume. „Man muss sich davon verabschieden, Stadtzentren nur über den Handel zu definieren“, sagt sie. Zumal eine Bankfiliale nicht unbedingt geeignet sei, eine Kiez-Identität zu schaffen. Vermieter sollten ihre Renditeerwartungen herunterschrauben, alternative Nutzungen durch Künstler, Galerien oder Nachbarschaftsvereine zulassen. Der neueste Trend: Coworking-Büros für Selbstständige, verbunden mit einer öffentlich zugänglichen Kantine. Dass das ehemalige C&A-Kaufhaus an der Karl-Marx-Straße in Neukölln eine Flüchtlingsunterkunft geworden ist, hält Polinna auch für eine Chance.

„Schöne Idee“, kommentiert Maklerin Katrin Grupe solche Vorschläge, aber für die Vermieter sei das finanziell oft keine Option. Grupe ist Spezialistin für schwierige „Stadtteilllagen“ und glaubt an die Zukunft des Einzelhandelsmix aus Blumenladen, Bäcker und Frisör – dieses Trio funktioniere fast immer. Problem ist nur, dass die ehemaligen Bankfilialen dafür meist zu groß seien und eher einen Bürocharakter hätten. Auch viele der ehemaligen 80 Berliner Schleckerläden standen lange Zeit leer. In Lankwitz hat sich eine Mitarbeiterin im Schleckerladen selbstständig gemacht, in Johannisthal wurde der Drogeriemarkt zu einer Wohnung umgebaut.

Städte wie London oder Hamburg arbeiten schon länger mit der Idee, leerstehende Flächen mit temporären Pop-up-Stores zu beleben. Das Unternehmen Go-Pop-Up bringt auf seiner Internetseite Vermieter und Kreativunternehmer zusammen. Die Räume werden tageweise vermietet, für Preise zwischen 20 und 1000 Euro, je nach Größe und Lage. Auch C-Lagen werden bespielt, etwa die Brunnenstraße in Wedding. In Spandau ist allerdings erst eine Pop-up-Location registriert, am Tempelhofer Damm findet sich noch nichts. Pop-up-Betreiber wünschen sich eben auch ein originelles Umfeld oder eine interessante Architektur, die Leute anzieht – mit Geld für Dinge, die man nicht unbedingt braucht. Da müssen sich die Vermieter in Spandau und Tempelhof noch was einfallen lassen.

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