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Am Bahnhof Gesundbrunnen fährt eine U-Bahn ein.

© Foto: Doris Spiekermann-Klaas

Update

VBB berät zu höheren Ticketpreisen: Berlin will nur in Brandenburg teurere Tickets – Empörung in der Mark

Am Donnerstag tagt der Aufsichtsrat des VBB. Zur Abstimmung stehen, lange geplant, höhere Fahrkartenpreise im öffentlichen Nahverkehr ab dem 1. Januar 2023.

| Update:

Der Berliner Senat möchte zunächst auf eine Erhöhung der Ticketpreise im öffentlichen Personennahverkehr in der Hauptstadt verzichten, sodass dann ab 1. Januar 2023 nur in Brandenburg mehr für Busse, Züge und Bahnen gezahlt werden soll. Ein entsprechender Vorschlag wurde für die Sitzung des Aufsichtsrats im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) am Donnerstag eingebracht, wie dem Tagesspiegel aus Koalitionskreisen bestätigt wurde. Zuerst hatte der rbb darüber berichtet.

In der Berliner Vorlage für die VBB-Aufsichtsratssitzung, die dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es: „Der Aufsichtsrat beschließt, die vom VBB vorbereitete Tarifmaßnahme zum ersten Januar 2023 im Land Brandenburg umzusetzen.“ Das schließe auch die Anpassungen in den Tarifstufen BC und ABC ein. Dagegen wird, so heißt es weiter, „im Land Berlin die Tariferhöhung der Tarifstufe Berlin AB zunächst bis zum 31.3.2023 auf Wunsch des Landes Berlin nicht umgesetzt.“ Die Mindererlöse trage das Land Berlin vollständig.

Zusätzlich soll, allein in Berlin, ab dem 1. Januar bis vorerst 31. März 2023 der Preis für das Sozialticket für den Tarifbereich AB gesenkt werden – im Rahmen einer Preisspanne von 9 bis 19 Euro.

Wenn es hier weiter um Entlastung geht, kann es nicht sein, dass wir im Januar auf einen Normaltarif plus Erhöhung aufspringen.

Meike Niedball, Staatssekretärin für Mobilität

In der Folge käme es für Hunderttausende Pendler in der Hauptstadtregion zu einem Gefälle bei den Tickets. Beide Bundesländer der Hauptstadtregion betreiben einen gemeinsamen Verkehrsverbund, den größten in Deutschland.

Meike Niedbal, Staatssekretärin für Mobilität in Berlin, verteidigte das Vorhaben am Mittwochmorgen im Verkehrsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. „Wir haben von Berliner Seite aus klar gesagt, wenn es hier weiter um Entlastung geht, kann es nicht sein, dass wir im Januar auf einen Normaltarif plus Erhöhung aufspringen. Dann ist es nämlich eine Belastung.“ Aus diesem Grund gelte es, die Tariferhöhung „für die anstehenden Wintermonate“ auszusetzen, sagte Niedbal weiter, schränkte aber ein: „All das gilt es aber morgen erst noch zu diskutieren und zu besprechen, zu verhandeln und zu beschließen.“

Ähnlich äußerte sich Linke-Verkehrsexperte Kristian Ronneburg, der erklärte: „Der angestrebte Verzicht auf eine Tariferhöhung ist Ausfluss des Koalitionsvertrags und des erklärten Willens der Landesregierung, die Berliner nicht stärker zu belasten.“ Ronneburg räumte ein, dass der Vorschlag die Diskussionen über ein uneinheitliches Vorgehen beider Länder fortsetzt „und vielleicht auch zuspitzt“. „Niemand will den VBB abschaffen“, erklärte Ronneburg, verwies aber auch die unterschiedlichen Gegebenheiten in beiden Ländern.

Berliner CDU fordert Abstimmungen mit Brandenburg

Stephan Machulik, Verkehrsexperte der SPD-Fraktion, zeigte sich überrascht vom Vorschlag der Verkehrsverwaltung. Dieser sei vorab nicht besprochen worden, erklärte Machulik und bezeichnete diesen als „eigentlich überhaupt nicht haltbar“. Zwar sei der Vorschlag aus Berliner Sicht „nachvollziehbar“, werde im VBB aber für heftige Auseinandersetzungen sorgen, prognostizierte Machulik.

Auch Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion Berlin, äußerte sich: „Die Berliner brauchen einen Belastungsstopp, der Senat macht sich selbst aber immer mehr zum Preistreiber und Krisengewinnler“, teilte er mit. Mit dem Ausschluss von Tariferhöhungen im Nahverkehr „lediglich bis zum 31. März“ wolle Rot-Grün-Rot „nur über einen möglichen Wahltermin kommen“ – eine echte Entlastung für die Berliner sei das jedoch nicht. Die CDU fordere den Senat auf, sich mit Brandenburg abzustimmen. Das gemeinsame Tarifgebiet Berlin-Brandenburg müsse „unbedingt erhalten bleiben“. 

Empörung über erneuten Berliner Alleingang

In Brandenburg löst der neuerliche Alleingang Berlins – nach der Einführung des 29-Euro-Tickets von Oktober bis Dezember für Berlin – Empörung aus. Und zwar bis in die Reihen der SPD hinein, die wie in Berlin auch in Brandenburg Regierungspartei ist und den Regierungschef stellt. 

„Man muss aufpassen, dass der gemeinsame Verkehrsverbund nicht gesprengt wird“, sagte Daniel Keller, SPD-Fraktionschef im Brandenburger Landtag dem Tagesspiegel. „Ich erwarte von den Berliner Kollegen: Bitte ein Stück Vorsicht an der Bahnsteigkante!“ Er gehe davon aus, dass es zu den Plänen „die notwendigen Gespräche zwischen Berlin und Brandenburg gibt.“ Keller erinnerte daran, dass sich beide Parlamente kürzlich auf eine gemeinsame Parlamentarische Konferenz über eine bessere Kooperation in der Hauptstadtregion verständigt hatten.

Ähnlich äußert sich Gernot Schmidt, SPD-Landrat in Märkisch-Oderland, selbst Mitglied im VBB-Aufsichtsrat, an dessen Geschäftsordnungsveto beinahe die kurzfristige Einführung des Berliner 29-Euro-Tickets zum 1. Oktober gescheitert wäre. Auch ein persönlicher Anruf von Berlins Regierender Franziska Giffey (SPD) hatte ihn damals zum Einlenken bewegt.

Man muss aufpassen, dass der Verkehrsverbund nicht gesprengt wird.

Daniel Keller, SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag Brandenburg

Nun sieht sich Schmidt in seinen Befürchtungen bestätigt: „Ich habe vor solchen Entwicklungen gewarnt. Nun tritt es ein. Das Berliner Vorgehen bedeutet: Man zerstört den Verkehrsverbund, die gemeinsame Tarifstruktur“, sagte Schmidt dem Tagesspiegel. „Ich fordere das Land Brandenburg auf, die Reißleine zu ziehen.“

Im Verkehrsverbund sind beide Bundesländer sowie die vierzehn Landkreise und vier kreisfreien Städte der Mark beteiligt, die Träger des öffentlichen Nahverkehrs in ihren Regionen sind. Brandenburgs Verkehrsunternehmen sind, so die Brandenburger Position, auf die Tariferhöhung dringend angewiesen. Sie reicht angesichts der drastisch höheren Energiepreise nicht aus, heißt es einhellig. Brandenburgs Verkehrsminister Guido Beermann (CDU) stimmt zu: „Es geht um eine maßvolle Erhöhung. Sie ist absolut notwendig.“

Für Tarifsenkungen sieht Brandenburg keine Spielräume. Für Brandenburg hat es Vorrang, dass auch in ländlichen Regionen überhaupt Züge fahren können. Brandenburgs Verkehrsministerium verweist darauf, dass es seit 2014 ein beschlossenes Tarifentwicklungsverfahren im VBB gibt, nach dem die Fahrpreise jährlich orientiert an einem Index anzupassen sind. Der berücksichtige die Lebenshaltungs-, aber auch die Energie- und Stromkosten der Verkehrsunternehmen. Und die seien allein in Brandenburg mit der Energiekrise um 20 Prozent gestiegen.  

„Der VBB bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen der Metropole Berlin mit einem gut ausgebauten ÖPNV und dem fünfgrößten deutschen Flächenland Brandenburg, das stark durch den ländlichen Raum geprägt ist“, erklärte das Ministerium. „Das stellt beide Länder vor grundlegend unterschiedliche Herausforderungen. Der VBB muss die Mobilitätsbedürfnisse im nahen Berliner Umfeld und den ländlichen Räumen gleichermaßen berücksichtigen können.“

Brandenburgs CDU-Generalsekretär Gordon Hoffmann sagte zu dem Vorgehen des Nachbarlandes: „Man sieht an dieser Haltung, dass dem Berliner Senat einfach die Kooperationsbereitschaft fehlt. Klar ist, dass wir im gemeinsamen Tarifverbund Rücksichtnahme brauchen.“ Offenbar sei der Senat „schon derart im Wahlkampfmodus, dass man nicht einmal dazu mehr bereit ist. Das ist einfach traurig.“ 

Brandenburg wittert drohende Neuwahl als Beweggrund

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hingegen mahnt eine generelle Lösung an: „Bezahlbare Mobilität ist jetzt mehr denn je eine soziale Frage, die am besten durch eine zügige Einigung von Bund und Ländern auf eine solide finanzierte Nachfolge für das 9-Euro-Ticket erreicht wird“, sagte Schubert. „Dann hätte auch der VBB wieder eine einheitliche Tarifstruktur und die kommunalen Verkehrsunternehmen eine Gegenfinanzierung für die steigenden Betriebskosten, die Städte und Landkreise nicht allein schultern können.“

Der Berliner VBB-Ticket-Politik, für die in Brandenburg die drohenden Berliner Neuwahlen verantwortlich gemacht werden, ist nicht die erste Abkehr des rot-grün-roten Senates aus gemeinsamen Kooperationen mit dem Nachbarbundesland. Auch in der Bildungspolitik gehen die Bundesländer wieder getrennte Wege. Im Sommer hatte Berlin entschieden, aus dem gemeinsamen Landesinstitut für Schule und Medien (LISUM) auszusteigen.

Die Bundesländer beraten zeitgleich zu den Verhandlungen des VBB-Aufsichtsrats über den Nachfolger des Neun-Euro-Tickets ab Januar kommenden Jahres. Seit Montag wird in Berlin bereits das 29-Euro-Ticket für die Tarifzonen A und B verkauft, das zunächst bis einschließlich Dezember gültig ist.

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