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Da kann man doch wohl mal draufgehen! Portable Toiletten wie diese auf einem Bild von 2011 sind auch in diesem Jahr wieder rund um die Fanmeile aufgestellt.

© dpa

Wildpinkler und WM: Urin! Urin! Flutet durch Berlin!

Rinnsale morgens auf dem Bahnsteig, Wildpinkler am Rande von Events: Die Stadt hat ein Hinterlassenschaftsproblem. Braucht es mehr öffentliche Toiletten? Nein, zunächst muss Eigenverantwortung her – gerade in den Wochen der Fanmeile.

Das vorneweg: Der Geruch von Urin erinnert mich an die Metrostation Montparnasse, an der ich ein Jahr lang jeden Morgen umgestiegen bin, um zu meiner ersten Vorlesung in die Sorbonne zu kommen. Das war eine gute Zeit. Ich mag den Geruch deshalb manchmal sogar ganz gerne – speziell wenn, wie damals in Montparnasse, noch der Geruch von verbranntem Gummi dazukommt.

Aber man kann alles übertreiben. Auf dem Weg zur Arbeit stehe ich mehrfach die Woche früh an einem Berliner U-Bahnhof. Gegen halb sechs Uhr morgens winden sich dort mindestens zwei, oft aber vier oder fünf kleine Bäche von den verschiedenen Säulen über die gesamte Bahnsteigbreite hin zu den Gleisen. Schön zu wissen, dass man um diese Uhrzeit nicht alleine ist. Und trotzdem eklig. Das Ekelgefühl bleibt auch beim Umsteigen auf dem Weg zur S-Bahn, der stinkt wie ein schlecht geputztes Klo.

Weitere Beispiele – nicht nur aus Berlins U-Bahn-Tunneln – sind leicht zu finden: Die wunderschöne Oberbaumbrücke ist eine öffentliche Bedürfnisanstalt, der Tiergarten zuweilen ein Massenklo. Überall, auf der Straße, in der Unterführung, in den Parks, wo es gerade drängt, wird Wasser gelassen. Manch einer, wie der – zugegebenermaßen betrunkene – Mann, der mal neben mir am Bahnsteig saß, lässt einfach in die Hose laufen. (Andere erleichtern sich um drei Uhr nachmittags neben der Tür eines gut besuchten Drogeriemarkts.) Vielleicht ist Kevin Großkreutz von Borussia Dortmund auch gar kein spätpubertärer Supertroll, sondern hat sich bei seiner Post-DFB-Pokal-Pinkelei in der Lobby eines Berliner Hotels einfach vom Geist der Stadt inspirieren lassen.

Wobei – das zeigt ja schon das Eingangsbeispiel: Natürlich pinkeln in vielen Großstädten Menschen, auf U-Bahnsteigen und anderswo. Nicht nur im manchmal etwas benimmfernen Berlin, sondern eben auch in Paris. (In London nicht. Das könnte an der Videoüberwachung liegen, aber das ist wieder ein anderes Thema.)

Wer Bier trinkt, muss auch Toiletten suchen.

Dabei ist es, zumindest in Städten wie Paris oder eben Berlin, eigentlich gar nicht so schwer: Wer pinkeln muss, sucht sich eine Toilette. Wer keine findet, legt im Restaurant einen Euro auf die Theke. Das ist immer noch billiger als das Bier, das wieder rausmuss. Und ja, es wäre natürlich besser, wenn es noch mehr öffentliche Klos gäbe, so wie es mein Kollege Johannes Schneider an dieser Stelle mal angeregt hat. Aber die werden dann auch nur benutzt, wenn sie sauber sind.

Das zeigt nun aber wieder: Es geht hier um mehr als nur das Urinieren. Es geht um ein Verantwortungsgefühl. Das fehlt uns in Berlin besonders oft. Angefangen bei den Party-Freunden, die ihre Bierflaschen auf der Straße zerdeppern, über die Hundebesitzer, die die Kacke ihrer Tiere liegen lassen, bis hin zu den Leuten, die ihre Wohnung entrümpeln und alte Sofas mal rasch auf dem Gehweg zum Problem der Allgemeinheit erklären – und allesamt nicht verstehen, warum EINFACH NUR SIE SELBST sich um ihre Hinterlassenschaften kümmern sollten.

Jeder einzelne Berliner ist, ebenso wie die Gäste der Stadt, für sie mitverantwortlich – und dafür, wie vermüllt sie ist. Mit dem Finger auf andere zeigen, gilt dabei nicht, gerade beim Pinkel-Thema: Denn natürlich gibt es Obdachlose, die nicht überall Zugang zu Toiletten haben, natürlich gibt es Menschen mit akuter Blasenschwäche oder Kleinkinder, die abgehalten werden müssen. Das alles kann aber kein Freibrief für Wildpinkler sein.

Warum das nicht oft genug gesagt werden kann und speziell jetzt noch mal gesagt werden muss? Heute Abend spielt Deutschland gegen Ghana bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Ich freue mich sehr auf das Spiel. Die Fanmeile wird voll sein, der umliegende Tiergarten danach möglicherweise auch. Deshalb an dieser Stelle ein Appell an alle Fußballfreunde: Habt Spaß, feiert fröhlich und nehmt dabei Rücksicht auf Eure Mitmenschen. Im Bereich der Fanmeile wurde, das ist weithin zu sehen, nicht an portablen Toiletten gespart. Wer sich rechtzeitig – ja, man muss auch Opfer bringen – in die Schlangen stellt, kommt bestimmt auch zum Zug.

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