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Der Ortsteil Moabit hat eine der höchsten Dönerdichten der Stadt.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Moabit: Wo der Fuchs zuhause ist

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 59: Moabit.

Moabit dürfte neben Neukölln der Berliner Ortsteil mit der höchsten Dönerdichte sein. In der Turmstraße, wo sich eine Kebab-Bude an die andere reiht, war mein Favorit das Grillhäuschen an der Ecke Ottostraße, dem ich für seine kreative Namensgebung den Marcello-Mastroianni-Gedächtnispreis für lebensbejahende Kalauerkunst verleihen möchte: „La Döner Vita“.

Der Name Moabit dagegen geht auf die französischen Erstbewohner zurück, wobei volksmundkundlich umstritten ist, ob sie damit die biblische Erde „terre de Moab“ meinten (die einst den Israeliten Zuflucht bot, wie es Berlin nun für die französischen Glaubensflüchtlinge tat) oder die brandenburgische „terre maudite“ (den verfluchten Sandboden, auf dem die Maulbeerbäume der Hugenotten nicht gediehen). Jedenfalls mussten die Umsiedler ihre Seidenraupenzucht bald an den Nagel hängen, weshalb sich mancher auf die Gastronomie verlegte – der berühmte „Mocca faux“ alias „Muckefuck“ ist noch so ein Kalauer aus Moabit.

In Berlin wiederum wird der Name Moabit gerne als Synonym für den dortigen Knast verwendet. Oder für das benachbarte Kriminalgericht, das größte seiner Art in Deutschland, wo ich einen der zahllosen Gerichtssäle betrat. Dort wurde gerade einem jungen Asylbewerber aus Guinea-Bissau der Prozess gemacht. Er war im Görlitzer Park beim Dealen mit „nicht geringen Mengen von Blütenstämmen der Cannabispflanze“ sowie etwas Koks und Speed erwischt worden, wofür er 15 Monate Knast aufgebrummt bekam – Moabit hatte einen Einwohner mehr.

Die Frau befürchtete das Schlimmste

Erst, als ich den Saal verließ und mein Blick in den gegenüberliegenden Innenhof fiel, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die ich hier ein gutes Jahr zuvor bei einem Gerichtstermin erlebt hatte. Beim Blick aus einem Kantinenfenster im fünften Stock war mir damals ein Tier aufgefallen, das auf einer Feuertreppe im Innenhof döste – eine Katze, wie ich annahm. Als dann irgendwo ein Fenster zugeschlagen wurde, war das Tier aufgeschreckt die Treppe hinabgestürmt – es war ein Fuchs. „Janz richtig“, hatte damals ein Wachmann gesagt, als ich ihm die Beobachtung schilderte. „Der Fuchs jehört hier zum Inventar.“

Da bei meinem diesmaligen Besuch weit und breit kein Fuchs zu sehen war, fragte ich eine Kantinenmitarbeiterin nach ihm. Die Frau machte ein trauriges Gesicht. Der Fuchs, erzählte sie, sei im vergangenen Jahr von einem Mauervorsprung abgerutscht und habe sich danach stark humpelnd in ein Gebüsch geschleppt. Seitdem habe sie ihn nicht mehr gesehen. Sie befürchtete das Schlimmste.

In der Hoffnung, das Schicksal des Fuchses zu ergründen, suchte ich nach einem Zugang zum Innenhof, wobei ich mich hoffnungslos in den Gerichtsgängen verlief. Eine freundliche Justizbeamtin wies mir den Weg zurück. Ich fragte sie, ob sie den Fuchs kenne. „Klar“, sagte sie. „Letzte Woche habe ich ihn noch in der Sonne dösen sehen. Humpelt ein bisschen, aber dem geht's gut.“

Die Kantinenfrau, der ich die Nachricht sofort überbrachte, war überglücklich. Als ich sie fragte, ob der Fuchs einen Namen habe, verneinte sie. In alter Moabiter Kalauertradition möchte ich das Gerichtsmaskottchen deshalb auf den Namen „Muckefuchs“ taufen.

Fläche: 7,72 km² (Platz 49 von 96)
Einwohner: 77344 (Platz 15 von 96)
Durchschnittsalter: 38,7 (Berlin: 42,7)
Lokalpromis: Else Ury (Nesthäkchen-Autorin), Kurt Tucholsky (Schriftsteller)
Gefühlte Mitte: U-Bahnhof Turmstraße
Alle Folgen: tagesspiegel.de/96malberlin

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