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Die Teilnehmer versuchen in dem verlassenen ehemaligen Vergnügungspark ihren Blickwinkel zu ändern und die routinierten Bewegungen hinter sich zu lassen.

© Robert Klages, Kitty Kleist-Heinrich

Umgestaltung des ehemaligen Freizeitparks im Plänterwald: Als Ameise durch den Spreepark

Krabbeln wie Ameisen, Rinde mit den Augen fühlen: Im Spreepark finden kostenlose Workshops statt, die bei der Neugestaltung des Areals helfen sollen.

Gabriele legt sich auf den Boden und wird zur Ameise. Vor ihr und der Gruppe krabbelt Führungs-Ameise David gekonnt voran, wälzt sich elegant über den steinigen Untergrund und versucht sich im Insektengang. Die Gruppe macht es ihm nach.

David ist Tänzer, seine heutige Bühne ist der Spreepark. Er ist Teil des Forschungsprojekts „Wie ein Vogel fliegen…“ von Bewegungskünstlerin und Stadtforscherin Sabine Zahn. Im Auftrag der landeseigenen Unternehmensgruppe Grün Berlin untersucht sie zusammen mit dem Architekten Lukas Hamilcaro die „Wahrnehmungen von Raumimpressionen“. Die Ergebnisse sollen dann für die Umgestaltung des Spreeparks angewendet werden. Grün Berlin ist Eigentümer des Parks.

Einmal von der Norm befreien und gewohnte Bewegungskonventionen auflösen

Rund 20 Teilnehmer sind in den verlassenen ehemaligen Vergnügungspark im Plänterwald gekommen, sich einfach mal von der Norm zu befreien und gewohnte Bewegungskonventionen aufzulösen. „Vorsicht, hier liegt Waschbärenkot“, warnt David. Die menschliche Ameisenstraße weicht den Kothäufchen gekonnt und tänzerisch aus.

Der Spreepark ist mit der Zeit zu einer wilden Oase geworden, zwei Füchse stürmen davon, als sie die Menschen bemerken.

Fahrgeschäft des ehemaligen Erlebnisparks.
Fahrgeschäft des ehemaligen Erlebnisparks.

© Robert Klages, Kitty Kleist-Heinrich

Der Workshop sucht eine Antwort auf die Frage, wie sich die Umgebung verändert, wenn sie bewusster wahrgenommen oder beispielsweise auf allen Vieren erkundet wird. Was zeigt sich, wenn man die eigene körperliche Verfasstheit aktiv verändert? Wenn man sich anders bewegt, nimmt man die Umgebung auch anders war, so die einfache These.

Im abgeriegelten Spreepark, der außer für Führungen nicht zugänglich ist, fühlt sich die Gruppe geschützt, kann sich frei bewegen. Barfuß und mit geschlossenen Augen lassen sie ihre Füße „den Boden lesen“. Im Anschluss sollen bei einer Übung „die Ohren Augen haben“.

Wie in einer Art Trance

Zahn versucht, choreografische Strategien auf andere Wissensfelder anzuwenden, zum Beispiel auf jenes der Stadtforschung – sie „erfindet künstlerische Formate“. Ein anderer Workshop von Zahn mit dem Titel „Fremdgehen“ fand im öffentlichen Raum statt, rund um den Anhalter Bahnhof. Die Teilnehmer klopften Wände ab und ersuchten dadurch einen anderen Zugang zur Umgebung zu erhalten, oder liefen rückwärts und mit geschlossenen Augen auf dem Bürgersteig.

Die leicht verwunderten Blicke anderer Passanten, die das auf sich zieht, nehme er gar nicht mehr wahr, schließlich entstehe irgendwann eine Art Trance, erzählt ein Teilnehmer, der auch im Spreepark dabei ist.

Der Spreepark soll sich wieder für das breite Publikum öffnen. Derzeit verweist der Sicherheitsdienst rund fünf Personen pro Tag des Geländes. Dabei kann man auch Führungen buchen, für fünf Euro pro Person. Vor Ort an dem Gelände steht jedoch nichts davon, sodass immer wieder vor allem Touristen über den Zaun klettern.

Der einstige Erlebnispark soll nun zum Erholungspark werden

Aber es habe sich gebessert, erzählt ein Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst. Früher habe man schon mal rund 70 Personen pro Tag stoppen müssen. Der einstige Erlebnispark mit Achterbahn und Co. soll zu einem Erholungspark voller Kunst und Kultur werden, so der Plan von Grün Berlin – die verwachsenen Fahrgeschäfte sollen teilweise restauriert werden.

Grün Berlin veranstaltet in diesem Sommer ganze 40 Erkundungsworkshops – und lässt sich diese rund 1000 Euro pro Workshop kosten. Für die Teilnehmer ist das Ganze allerdings kostenlos. Die Finanzierung läuft über Mittel des Landes Berlin, die für Umwelt- und kulturelle Bildung eingesetzt werden.

Ehemaliger Freizeitpark im Plänterwald.
Ehemaliger Freizeitpark im Plänterwald.

© Robert Klages, Kitty Kleist-Heinrich

Experimentelle Workshops sollen künftiges Programm erproben

„Mit den diesjährigen Workshops im Spreepark erprobt Grün Berlin experimentelle Formate zwischen Umweltbildung und kultureller Bildung, um daraus Leitlinien für das künftige Bildungsprogramm im Spreepark abzuleiten und die Ergebnisse in der Planung des Parks zu berücksichtigen“, erklärt ein Sprecher.

Die Grün Berlin GmbH hat bereits die Gärten der Welt in Marzahn oder den Park am Gleisdreieck entwickelt und versteht sich als Realisator „komplexer Freiraumprojekte“. Sie ist für eine Vielzahl auch touristisch bedeutsamer Projekte und Parkanlagen in der Hauptstadt verantwortlich und mit mehr als 1000 Hektar Parkfläche und 100 Millionen Euro Jahresumsatz 2018 ein wichtiger Akteur der Stadtplanung.

48 Millionen für die Neugestaltung

48 Millionen Euro stehen Grün Berlin für die Entwicklung des Spreeparks zur Verfügung. Rund eine Millionen Euro pro Jahr kostet die Parkunterhaltung derzeit für etwa für Wachschutz, Pflege und andere Dinge.

Das kostenlose Workshopangebot im Spreepark deckt die Themen Geschichte, Artistik, essbare Natur, Architektur und eben Bewegungsforschung ab. Die Ergebnisse von Zahns Workshop und anderen Projekten werden am 14. und 15. September im Rahmen der „Tage des offenen Spreeparks“ präsentiert.

Der Bebauungsplan muss noch politisch beschlossen werden

Seit Sommer 2016 läuft die Bürgerbeteiligung. Die Ergebnisse sollen ebenfalls an den Tagen der offenen Tür vorgestellt und diskutiert werden. Ein Bebauungsplan wurde erstellt, muss aber noch politisch beschlossen werden.

Zahn und ihre Gruppe werden im Anschluss an den zweitägigen Workshop eine „Bewegungskarte“ erstellen. Einige der Teilnehmer arbeiten unter anderem im Bereich Choreografie, auch Zahn kommt aus dem Tanz- und Bewegungstheater. Teilnehmer Armin hingegen hat von einer Freundin von dem Workshop erfahren – außerdem wollte er schon länger mal auf legalem Wege in den Spreepark.

Auch die anderen Teilnehmer zeigen sich zufrieden: Barbara ist zufällig auf den Workshop gestoßen und hat, so sagt sie, „einen persönlichen Bezug zur Weide und dem Karussell erfahren“. Neben dem Ameisengang ist die Gruppe nämlich unter anderem mit geschlossenen Augen durch die herabhängenden Weidenzweige gelaufen oder hat das verlassene Drehtassen-Karussell ertastet.

Die unkonventionelle und tänzerische Fortbewegung sei befreiend

„Man bewegt sich sonst so gesteuert und monoton“, meint die 41-Jährige. Sich mal so unkonventionell und tänzerisch fortzubewegen habe etwas Befreiendes. „Ich habe mich mal wieder richtig wohl gefühlt in meinem Körper und es genossen, die Sinne so intensiv zu spüren“, sagt die 66-jährige Ursula, die älteste Teilnehmerin. Eine junge Frau spricht davon, einen „Trip“ erlebt zu haben.

Bei einigen scheint das Zusammenspiel von Körper, Geist und die Verknüpfung der Sinne gewirkt zu haben: Eine Frau gibt an, beim intensiven Betrachten eines Baumes die Rinde gefühlt zu haben. „Du darfst die Augen nicht auf die Umgebung werfen, sondern die Umgebung muss auf deine Augen fallen“, sagt sie und atmet tief ein.

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