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Tomi Ungerer im Jahr 2009.

© Daniel Roland/AFP

Tomi Ungerer: Einmal Erde und zurück

Tomi Ungerers Kinderbuch „Der Mondmann“ ist ein Klassiker. Jetzt wurde es in Berlin verfilmt.

Die Natur des Mondmanns ist kaum zu beschreiben, selbst ein Genie wie Erfinder Bunsen van der Dunkel muss passen. Zwar ein Meter dreiundfünfzig groß, aber das Gewicht! Nullkommanull Kilo! Und „überhaupt kein Herzschlag“, dazu „keine Knochen, keine Organe, keine Gene“ – kurz: „ein Phänomen“.

1966 betrat er erstmals den Boden der Erde, eingeklemmt zwischen Buchdeckeln. Damals brachte der Diogenes-Verlag Tomi Ungerers Bilderbuch „Der Mondmann“ heraus, dessen kleiner Held aus Langeweile per Komet auf die Erde und nach meist unerfreulichen Erlebnissen mit einer Rakete wieder zum Mond reist – drei Jahre vor Apollo 11! Heute ist das Buch (40 Seiten, 16,90 Euro) ein Klassiker, wurde 2007 als Kurzfilm mit Schauspielern verfilmt und nun in klassischer Zeichentrickmanier fürs große Kino, als deutsch-französisch-irische Coproduktion. Lande- und Startplatz: Berlin.

Das mag man kaum glauben, wenn man in Tomi Ungerers Büchlein blättert: die Handlung nur skizziert, kaum Text, noch weniger Dialog. Und daraus kann man 95 Minuten Kinounterhaltung machen? Man kann, das Team um Stephan Schesch, Autor, Produzent und Regisseur in einem, hat es bewiesen. Wobei es dem aus München stammenden Berliner sicher geholfen hat, dass er 2007 mit dem Animationsfilm „Die drei Räuber“ schon ein Kinderbuch Ungerers auf die Leinwand gebracht hatte, damals nur als Produzent. Ein Grundvertrauen war also da.

Begonnen hatte es mit einem gemeinsamen Aufenthalt in einem Schwarzwald- Hotel, einem „Brainstorming“ zu Potenzial und möglicher Weiterentwicklung der Ur-Geschichte. Ein kleines Bilddetail – Vater und Tochter im Auto – wurde etwa zum roten Faden ausgearbeitet, das Mondmann-feindliche Ensemble aus Militärs, Politikern und Wissenschaftlern zur Figur des weltbeherrschenden Präsidenten verdichtet, der nun auch noch den Mond erobern will. Und der gute Doktor Bunsen van der Dunkel, der im Buch noch zu Fuß gehen muss, bekam auf Anregung Ungerers ein jo-jo-ähnliches Fahrgerät angepasst.

Schesch schrieb das Drehbuch, dann ging es ins Tonstudio. Für den Mondmann hatte er Katharina Thalbach gewinnen können, die schon bei „Die drei Räuber“ dabei war und ihre Figur mit, wie Schesch umschreibt, „lunarem Akzent“ präsentierte, auch in der englischen und französischen Version. Ulrich Noethen sprach den Auto fahrenden Vater, Ulrich Tukur den Präsidenten, Corinna Harfouch dessen tückische Vertraute. Den Erzähler raunte Tomi Ungerer persönlich.

Das Storyboard wurde gezeichnet, abgefilmt, mit Stimmen und Musik verbunden, für Schesch die „wesentliche kreative Arbeit“ – und sehr erfolgversprechend: „Der Film ist doch schon fertig“, hieß es nach Testvorführungen, obwohl noch nichts animiert worden war. Das dauerte noch einmal anderthalb Jahre. Schesch hatte in der Kreuzberger Blücherstraße eine Halle gemietet, mit Möbeln und Server ausgestattet – die Computer brachten sich die etwa 80 in Deutschland und Europa zusammengesuchten Zeichner selbst mit.

Vorbild blieb das Buch Ungerers: Nicht modisches 3-D-Spektakel, sondern bewusste Flächigkeit der Figuren, Gegenstände, Hintergründe, mit ungewöhnlichen Perspektiven als Glanzlichtern – eine aufs Wesentliche konzentrierte Bilderwelt, die in knappen, sich von der gewohnten Dauerquasselei angenehm abhebenden Dialogen ihr Gegenstück findet. „Total aus der Zeit“ – so beschreibt Schesch seinen „Mondmann“, dazu „radikal entschleunigt“. In der Tat: Einen zu Louis Armstrongs „Moon River“ auf einem Bach im Mondlicht dahintreibenden Außerirdischen, von bunter Blütenpracht und sich spiegelnden Sternen umschmeichelt – wo sieht man dergleichen schon?

Ein Kinderfilm ist so entstanden, an dem auch Erwachsene ihre Freude finden dürften. Dessen tapsiger Held treibt selbst wie ein Kind durch die Welt, ein molliger statt verschrumpelter E.T., der bald nur noch heim will angesichts der Feindseligkeit, die ihm entgegenschlägt. „Nach Hause telefonieren“, das war einst sehnlichster Wunsch von Spielbergs Außerirdischem. „Nach Hause“ – das ist auch der erste Satz des Mondmanns, doch hat er auf dem Mond niemanden, mit dem er telefonieren könnte. Aber während der Mondmann im Buch noch einsehen musste, „dass er ja doch nie in Frieden auf diesem Planeten würde leben können“, reist die Filmfigur mit neuer Lebenslust zurück: Er weiß nun, was er den Kindern auf der Erde bedeutet – als Freund und Begleiter durch die Nacht.

Premiere wird am Sonnabend im Kino in der Kulturbrauerei gefeiert, es gibt Kaufkarten. Sie beginnt um 10 Uhr mit einem Kinderfest, um 11.30 Uhr folgt der Film. Erwartet werden Regisseur Stephan Schesch und Ulrich Noethen, Sprecher des Vaters.

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