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Die Vulvalippen-OP wird immer gefragter. Eine Ausstellung in Berlin-Charlottenburg soll aufklären über die Vielfalt von Vulven.

© Hilde Sam Atalanta

„The Vulva Gallery“ in Berlin: So viele Formen, so viele Farben!

Hilde Sam Atalanta macht Illustrationen von Vulven – so, wie sie wirklich aussehen, abseits von Schönheitsidealen. Die Werke sind jetzt in Berlin zu sehen.

Von Louise Otterbein

Es ist ein Trend, der nicht abzubrechen scheint: Seit einigen Jahren lassen sich immer mehr Frauen unters Messer legen und die Schamlippen verkürzen. Sie sind unglücklich mit dem Aussehen ihrer Vulva, schämen sich für ihre Beschaffenheit und denken, sie seien nicht normal. Diese intimchirurgischen Eingriffe, sogenannte Labioplastiken, nehmen nicht mehr nur Schönheitschirurg:innen sondern mittlerweile auch viele Gynäkolog:innen vor. Die Nachfrage ist groß.

„Im Rahmen meines Psychologiestudiums habe ich an einem Sexologiekurs teilgenommen“, sagt Hilde Sam Atalanta. „Dort habe ich vom Boom der Labioplastie erfahren. Ich war schockiert und habe begriffen, dass so viele Personen unglücklich mit ihrer Vulva sind, weil es einfach zu wenig Aufklärung in diesem Bereich gibt.“ Atalanta beschloss, sich für mehr Diversität im allgemeinen Bild von Vulven einzusetzen.

Hilde Sam Atalanta ist nonbinär, weshalb wir uns für diese Schreibweise von Artikel und Pronomen entschieden haben.

© Nina Keinrath

Der:die queere Illustrator:in aus Amsterdam zeichnet sie in allen Formen und Farben, in denen sie an Körpern vorkommen. „Alle Vulven sind unterschiedlich und einzigartig. Das spiegeln meine Illustrationen wieder“, sagt Atalanta. In Berlin werden seine:ihre Werke nun zum ersten Mal ausgestellt.

Wie soll ein selbstbewusstes Verhältnis zur eigenen Vulva entstehen, wenn es nirgendwo realistische und vielfältige Darstellungen gibt, an denen man sich orientieren kann?

Hilde Sam Atalanta, Illustrator:in

Der Anfang des Projekts war sein:ihr Instagram-Account „The Vulva Gallery“, den Atalanta im Sommer 2016 ins Leben rief und nutzte, um erste Illustrationen zu teilen. „Zu dem Zeitpunkt gab es keine vergleichbaren Projekte. Wie soll ein selbstbewusstes Verhältnis zur eigenen Vulva entstehen, wenn es nirgendwo realistische und vielfältige Darstellungen gibt, an denen man sich orientieren kann?“

Die ersten Illustrationen entstanden aus der reinen Vorstellung, dann wurden Internetfotos zur Basis der Zeichnungen. Irgendwann bekam Atalanta Nachrichten von Follower:innen, die fragten, ob sie ihm:ihr Fotos von ihren Vulven zur Vorlage für Zeichnungen schicken könnten. Außerdem teilten sie ihre Geschichten, ihre persönlichen Gedanken, erzählten von ihrer Beziehung zur eigenen Vulva, von Erfahrungen und Traumata.

So begann Atalanta, anhand der Fotos Bilder zu malen und sie zusammen mit den Geschichten der Personen zu teilen – selbstverständlich anonymisiert. Bereits nach drei Monaten folgten immer mehr Menschen dem Account, sendeten ihre Fotos und Geschichten ein oder äußerten einfach nur ihre Begeisterung für das Projekt. Mittlerweile folgen fast 800.000 Menschen Atalanta auf Instagram.

Auch die Presse wurde auf Atalantas Arbeit aufmerksam und berichtete über das bis dahin einzigartige Projekt. Es folgten Kollaborationen, unter anderem mit dem Streamingdienst Netflix für die Erfolgsserie „Sex Education“. Im Jahr 2019 veröffentliche Atalanta dann ihr Buch „A Celebration of Vulva Diversity“, das diesen Sommer auch auf Deutsch erschienen ist.

Die Ausstellung in Berlin, die Mitte November eröffnet wurde, ist die erste, in der Atalanta seine:ihre Illustrationen ausstellt. Dabei ist das Gezeigte so vielfältig, wie der Instagram-Account. Es werden nicht nur Abbildungen unterschiedlicher Vulven und persönlicher Geschichten gezeigt, sondern auch anatomische Zeichnungen mit detaillierten Beschriftungen.

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Damit will Atalanta nicht nur Personen mit Vulva beim Akzeptieren des eigenen Körpers helfen – die Illustrationen haben einen klaren edukativen Zweck. So sind die anatomischen Darstellungen so konzipiert, dass sie gerade auch von Medizinern, Sexualtherapeutinnen und für Lehrzwecke erworben werden.

„In der Gesellschaft überwiegt die Vorstellung von der einen perfekten Vulva“, sagt Atalanta. „Das kann besonders junge Frauen stark verunsichern. Sie fragen sich: Stimmt etwas mit mir nicht? Bin ich nicht normal?“ Die in pornografischen Filmen aber auch in vielen Sexualkundebüchern dargestellten Vulven vermittelten ein komplett falsches Bild von der Anatomie des Organs. Ein sogenanntes Normal gebe es nämlich nicht – doch dessen seien sich immer noch viele Menschen nicht bewusst.

„Es fehlt an Bildung in diesem Bereich. Das zeigt sich schon daran, dass man lange noch von der Vagina gesprochen hat, wenn man eigentlich die Vulva meinte. Der Unterschied war vielen Menschen nicht klar“, sagt Atalanta.

Ausgestellt werden die Zeichnungen in einem ganz besonderen Kulturort in Berlin Charlottenburg, der mit Atalantas Ausstellung eröffnet wurde. Angrenzend an ihre inklusive gynäkologische Praxis hat die Berliner Gynäkologin und Sexualtherapeutin Helen Sange einen Kulturort geschaffen, den sie der sexuellen und gesundheitlichen Aufklärung widmen will. In ihrem Arbeitsalltag habe sie immer wieder mit Menschen zu tun, die mit ihrer Vulva unglücklich seien oder sie nicht für normal hielten.

„Die Nachfrage nach Labioplastie ist groß“, sagt Sange. „Bildung ist der einzige Weg, um dem entgegenzuwirken und Menschen zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen.“

Genau wie Sange wünscht sich auch Atalanta, dass nicht nur Illustrator:innen, Künstler:innen und Ärtz:innen die Aufklärungsarbeit über die Anatomie und Diversität von menschlichen Körpern leisten müssen. Die müsse schon viel früher beginnen, in Lehrbüchern für Schüler:innen beispielsweise. Das dürfe keine Ausnahme, sondern müsse Standard sein, um jungen Personen mit Vulva zu zeigen, dass sie und ihre Körper genau so richtig sind, wie sie sind.

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