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Kritik an der Politik: Sie muss jüdische Einrichtungen besser schützen und Rechtsextremismus und Rassismus entgegentreten.

© Hannibal Hanschke/REUTERS

„Unteilbar“ gegen Antisemitismus: Tausende setzen in Berlin ein Zeichen für die offene Gesellschaft

Nach dem Terror von Halle demonstrierten am Sonntag viele tausend Menschen gegen Antisemitismus und Rassismus. Die Atmosphäre ist beinahe andächtig.

Der Bebelplatz in Mitte ist voll. Mehrere Tausend Menschen sind am Sonntag gekommen, um ein Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus zu setzen. Die Stimmung ist ruhig, fast andächtig. „Als ich von dem Anschlag in Halle erfuhr, war ich alles – nur nicht überrascht“, sagt Mischa Ushakow von der Jüdischen Studierendenunion Deutschland bei der Auftaktkundgebung. Die Trauer und Wut über den Anschlag in Halle, aber auch über die von vielen empfundene Untätigkeit der deutschen Politik angesichts des Erstarkens rechtsextremer Strömungen hält keiner der Redner zurück.

So auch Lala Süsskind vom Jüdischen Forum für Demokratie und Antisemitismus. In ihrer Rede fordert sie, auch die Namen der beiden Toten zu nennen: Jana L. und Kevin S. Der 27-jährige Täter, der antisemitische und rechtsextreme Motive bestätigt hat, erschoss die Passantin und einen Mann, der sich in einem Döner-Imbiss aufhielt. Zuvor war sein Plan, in die Synagoge einzudringen, gescheitert. Die im Gotteshaus Anwesenden begingen zu diesem Zeitpunkt den wichtigsten jüdischen Feiertag Jom Kippur.

Süsskind sei selbst fassungslos, dass in ihr nach dem Anschlag auf die Synagoge Gedanken an die Nazizeit laut würden. Das Jüdische Forum hatte gemeinsam mit der Initiative „Unteilbar“ und anderen Initiativen zu der großen Demonstration in Berlin am Sonntag aufgerufen.

Unter dem Motto „Kein Fußbreit! Antisemitismus und Rassismus töten“ fanden sich unter anderen auch die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus sowie der Berliner Bischof Markus Dröge auf dem Bebelplatz ein. Eine weitere aufgebrachte Rede hielt Ferat Kocak (Linke), auf den im Februar 2018 ein rechter Brandanschlag verübt worden war. Er fordert die Sicherheitsbehörden auf: „Stoppen Sie den Neonazi-Terror!“

Nach einer Schweigeminute für Opfer von Terror und rechter Gewalt setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung in Richtung der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße. Die Veranstalter von „Unteilbar“ sprechen von 13 000 Demonstranten beim Protestzug, die Polizei schätzt 8000.

Demonstrationsteilnehmer Jan Rainer trägt an diesem Sonntag seine Kippa. Im Berliner Alltag würde er sie nicht tragen. „Nie, schon seit Jahren nicht.“ Er lebt seit 1983 in Deutschland und ist ergriffen, aber nicht überrascht von dem antisemitischen und rassistischen Terrorakt in Halle. „Neonazistische Strukturen hat es hier durchgehend gegeben“, sagt er, als die Demonstration von Unter den Linden in die Friedrichstraße einbiegt. In den vergangenen Jahrzehnten seien sie nur weniger öffentlich gewesen. „Jetzt werden sie wieder sichtbar.“ Auch deshalb sei er heute hier. „Ich will zeigen, dass ich trotz allem keine Angst habe und mich nicht einschüchtern lasse“, sagt Rainer. Er und seine Begleiterin betonen, dass es nicht nur um sie gehe, sondern auch um Muslime und alle anderen Minderheiten.

Auch Tibor Sturm, ein weiterer Teilnehmer, ist der Meinung, dass Rassismus und Rechtsextremismus nie aus der deutschen Gesellschaft verschwunden gewesen seien. „Nach dem Terroranschlag in Halle ist es jetzt umso wichtiger, dass die schweigende Mehrheit auf die Straße geht und ein Zeichen setzt.“ Deshalb sei er heute mit seiner Partnerin und seinen Kindern hier.

Die Demo-Teilnehmer geben ein buntes Bild ab, alle Altersgruppen sind vertreten. Plakate rufen dazu auf, sich gegen Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und gegen Rechtsextreme, darunter die AfD, einzusetzen. „AfNee – diese Alternative ist nicht koscher“, steht auf einem Plakat „Rechter Terror bedroht unsere Gesellschaft“ auf einem anderen. Auch die Initiative „Omas gegen rechts“ und queere Initiativen sind gekommen.

Die Abschlusskundgebung findet gegen 16 Uhr vor der Neuen Synagoge statt, wo Avitall Gerstetter, die Kantorin der Synagoge, und der russisch-deutsche Pianist Igor Levit auftreten. Einige Demonstranten legen weiße Rosen ab. Laut einem Polizeisprecher verläuft die Demonstration „störungsfrei“.

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