zum Hauptinhalt
Robert Huth (l.) hat es weit gebracht. Von Fortuna Biesdorf zum dreifachen englischen Meister.

© Reuters / Darren Staples

Von Biesdorf nach Leicester: „Taufen Sie ihren Neugeborenen Robert“

Der Biesdorfer Robert Huth wurde gestern mit Leicester englischer Meister. Wir haben das entscheidende Spiel der Konkurrenz mit Fans im Vereinsheim von Fortuna Biesdorf geschaut.

Verdammt, zu früh, drei Minuten zu früh. 83. Minute, das ist doch nicht mehr historisch. Der ganze Plan von Manne für eine perfekte Feier, Schrott, nur noch Schrott.

Aber natürlich spritzt Manne auch in der 83. Minute hoch, so heftig, dass die Brille in seinen Haaren zittert und sein Bauch wackelt. Alle jubeln, alle Zehn im Vereinsheim von Fortuna Biesdorf, sogar Waldi, der Wirt, dreht sich zum Flachbildschirm hinterm Tresen. Premier League, englische Fußball-Meisterschaft, der Tabellenzweite Tottenham gegen Chelsea, 83. Minute, Chelsea schießt den Ausgleich zum 2:2. In dieser Sekunde ist Leicester City, der Tabellenführer, der krasse Außenseiter, Englischer Meister. Und wer steht bei Leicester in der Innenverteidigung? Genau: Robert Huth, großgeworden bei Fortuna Biesdorf.

Manne, Edelfan von Fortuna, 61 Jahre alt, die schwarzen Haare zu Stacheln gegelt, brüllt: „Einen dreifachen englischen Meister hat Bayern München noch nie exportiert.“ Huth ist schon mit Chelsea zweimal Meister geworden.

Manne klatscht Steve Hornig ab, den Zweiten Vorsitzenden, der glücklich lachend auf seinem Stuhl sitzt, und am Tresen schreien Fritz und Nico „Jaaaa“. Nico leitet den Spielbetrieb Jugend, er trägt einen grasgrünen Trainingsanzug mit dem Vereinsemblem von Fortuna; Fritz, der Jurastudent, ist D 1-Trainer, sein Trainingsanzug ist schwarz.

Manne wartet auf Huths historische Minute

Aber es sind ja noch sieben Minuten ohne Nachspielzeit. Noch drei Minuten bis zu 86. Minute, der historischen Minute. Manne hatte kurz nach der Halbzeitpause extra auf seinem Smartphone nachgeschaut. „Robert Huth hat an seinem 20. Geburtstag in der 86. Minute zum ersten Mal in seinem Leben in der deutschen Nationalmannschaft gespielt, gegen Österreich, eingewechselt in der 86. Minute,  am 18. August 2004“, brüllt er dann in die Runde. „Wenn er jetzt in der 86. Minute Meister würde, das wäre historisch.“

Das Vereinsheim von Fortuna sieht aus wie ein Western Saloon, langer brauner Tresen, gemütliche Holztische, eigentlich ist es ja sogar eine öffentliche Gaststätte. Nico, der Spielbetriebs-Leiter lehnt am Holz wie ein Cowboy, der seinen sechsten Whiskey trinkt, ein Bein angewinkelt, stechender Blick.  Drei Flachbildschirme flimmern in dem langen Raum,  aber alle starren nur auf den Fernseher hinterm Tresen.

Es ist jetzt kurz nach der Halbzeit, Tottenham führt 2:0, von Spannung keine Spur, jetzt ist wichtiger wie groß Waldis Vorrat an Weizenbier ist. Nur Manne im Hintergrund, an seinem Tisch, fummelt ständig an seinem Smartphone, er checkt nochmal alle Daten von Huths Einwechslung.

Tor für Chelsea. Steve (links) und Manne freuen sich.

© Frank Bachner

Einmal in seinem Leben war Manne in England, bei einem Heimspiel des FC Liverpool. Am letzten Spieltag der Premier League,  in zwei Wochen, spielt Leicester gegen Chelsea, rein theoretisch könnte auch dort die Meisterschaft entschieden werden, jedenfalls in diesem Moment, Chelsea liegt noch 0:2 zurück. Manne würde sogar noch mal nach England fliegen, nur zu diesem Spiel von Leicester, dafür wäre er sogar bereit einen verdammt hohen Preis zu zahlen. Am gleichen Tag spielt um 19 Uhr in Mahlsdorf-Waldesruh die Band „Modern Soul“. Und sie müsste dann ohne Manne im Publikum auftreten. Aber ist ja alles Quatsch, „ich würde ja sowieso keine Karten mehr bekommen“.

Noch 28 Minuten bis zur 86. Minute, Chelsea schießt das 2:1, alle schrecken hoch, auch Marcel mit den schwarzen Knöpfen in den Ohrlöchern. „Ich würde jetzt den Blauen noch ein Tor gönnen“, sagt er. Die Blauen sind Chelseas Spieler. Das ist großzügig von Marcel, er ist eigentlich Tottenham-Fan, er hat sogar vier Trikots von Tottenham über ebay gekauft. Aber wenn es um Robert Huth geht, dann geht Leicester vor.

Huth war bei Biesdorf kein Überflieger

Robert Huth ist sogar im Raum, auf einem großen Foto, direkt am Fenster. Die ganze Biesdorfer D 1-Jugend des Jahrgangs 1994/95 ist dort abgebildet, unten, der Zweite von links, der blonde Junge mit dem verkniffenen Gesicht, das ist Roberth Huth.

„Er war kein Überflieger“, sagt Steve, der Zweite Vorsitzende, „er war bloß ein Mitläufer in der Jugend. Aber er war ehrgeizig und zielorientiert.“ Mit 15 Jahren wechselte er zu Union, ein Jahr später zu Chelsea.

Sie hätten ihn gerne öfter im Verein, den Innenverteidiger. 2005 feierte Fortuna seinen 100. Geburtstag, Manne hatte ihm dazu eine Einladung geschrieben, auf englisch und auf deutsch, aber Huth ist nicht gekommen. In diesem Jahr feiern sie den 111. Geburtstag, diesmal schreibt Fritz, der D-Jugendtrainer, die Einladung, mal sehen, ob Huth auftaucht.

Biesdorfer Fans, Steve, Fritz, Manne (von links).

© Frank Bachner

Akkustisch ist er schon da. Tottenham führt immer noch, als Manne schreit: „Die Ossis stellen die Bundeskanzlerin, den Bundespräsidenten und nun auch einen dreifachen englischen Meister.“ Noch zehn Minuten bis zur 86. Minute, Leicester ist noch nicht Meister, aber das ist Manne egal. „Robert setzt Frau Merkel und Herrn Gauck den Huth auf“, brüllt er. Gelächter im Raum.

Manne erinnert an DDR-Sportreporter-Legende Oertel

Die 86. Minute ist vorbei, die 90. Minute läuft, sechs Minuten Nachspielzeit, verdammt lange sechs Minuten. Kann ja noch viel passieren. „Wie kann man sechs Minuten nachspielen?“, fragt Manne empört. „Wir sind doch in England“, antwortet Fritz, „sei froh, dass es nicht sieben sind.“ Ach was, brummt Nico. „Bei den Zweiten Herren von Biesdorf wird oft sechs Minuten nachgespielt.“ Die Dimensionen stimmen wieder.

Aber Manne ist jetzt nicht mehr zu halten. Heinz Florian Oertel, der legendäre DDR-Sportreporter, hatte 1976 beim Marathon-Olympiasieg von Waldemar Cierpinski  begeistert gebeten: „Liebe Väter, liebe Mütter, nennen Sie ihren Neugeborenen Waldemar. Waaaldemar.“ Manne schreit nun, ergriffen vom eigenen Pathos: „Oertel würde jetzt sagen: Liebe Eltern, taufen Sie ihren Neugeborenen Robert.“

Dann der Abpfiff, Leicester ist Meister, Huth ist Meister, Manne rennt zum Fenster und schnappt sich das Foto mit der D 1-Jugend, streckt es der Runde entgegen und verkündet: „Eine Runde bitte.“ Gejohle. Waldi bringt Schnapsgläser mit giftgrüner Flüssigkeit, passend zur Biesdorfer Vereinsfarbe. Pfefferminzlikör. Alle heben die Gläser, Manne schreit: „Huth, Huth, Huth.“

Die große Sause an Pfingstsonntag machen sie aber trotzdem. Da spielt Leicester gegen Chelsea, das letzte Saisonspiel. Wird natürlich auch im Vereinsheim ausgestrahlt. Extra wegen Huth gibt’s eine „fish and chips an beer“-Party, ein Bier mit Chips und Fisch wird vermutlich acht Euro kosten, so genau weiß es Steve, der zweite Vorsitzende, noch nicht.

Er hat jetzt auch erstmal was anderes zu tun. „Wir beglückwünschen Robert Huth, untere Reihe, Zweiter von links, zu seinem Meistertitel mit Leicester City. Herzlichen Glückwunsch“, postet er auf facebook, das Foto von der D1 gibt’s dazu. „Schneller geht’s nicht“, brummt er.

Und neben dem Tresen verkündet Manne, die Brille im Haar, den Rücken gerade, die letztgültige Erkenntnis: „Der Biesdorfer hat es erreicht. Dreimal englischer Meister. Das hat noch kein Hachinger geschafft.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false