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Schaut mal, liebe Leistungsliteraten: Sport kann man auch ohne Buch machen!

© Oliver Berg/dpa

Stress zwischen Hantelbank und Stepper: Fitnesstraining funktioniert auch ohne Buch!

Trainieren ist toll. Tolstoi auch. Aber wer im Sportstudio „Anna Karenina“ liest, wird weder stärker noch klüger. Liebe Leistungsliteraten: Das nervt! Eine Wutrede gegen übertriebene Selbstoptimierung.

Jedes Mal, wenn ich in diesen Tagen zum Sport gehe, fühle ich mich mies. Das liegt nicht am schlechten Gewissen oder den Schweißschwaden, die zwischen den Geräten wabern. Nein, mich plagt etwas viel Schlimmeres: die Befürchtung, auf der Hantelbank meines Fitnessstudios eine halbe Bibliothek vorzufinden.

Es gab Zeiten, da machte der Mensch Sport, wenn er zum Sport ging. Er rackerte auf dem Stepper, ächzte auf dem Ergometer oder stählte seine Bauchmuskulatur mit Sit-ups. Dass dank luftiger Sportbekleidung auch das neueste Tattoo zur Schau gestellt werden konnte, war ein erfreulicher Nebeneffekt. Doch damit hatte es sich dann auch. Die Hände blieben an den Gewichten, die Füße an den Pedalen, die Augen schmerzvoll-stur geradeaus auf ein undefiniertes Ziel gerichtet. Fitness, zumindest war das lange so, lastete den Mensch derart aus, dass er während seiner sportlichen Betätigung keiner anderen Betätigung nachging. Nachgehen wollte. Warum auch?

Körper stählen, Hirn trainieren, alles auf einmal

Das hat sich radikal geändert. Seit einiger Zeit trifft man in Fitnessstudios lesende statt sich schindende Menschen. Sie radeln mit einem Buch in der Hand auf Spinning-Rädern im Schneckentempo vor sich hin. Oder blockieren samt ihrem Wälzer eine geschlagene Stunde lang Gymnastikmatten und Beinpressen. Nicht etwa, weil sie besonders hart und intensiv trainieren. Aber Kapitel sieben ist eben gerade so spannend. Und so komplex. Man lässt sich schließlich nur ungern mit einem seichten Krimi beim Pumpen in der Öffentlichkeit blicken. Zur Weltliteratur, die auf Laufband und Crosstrainer bevorzugt wird, gehören stattdessen Großwerke wie Leo Tolstois „Anna Karenina“ und Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“.

Die schmökernden Fitnessfreaks wollen offensichtlich auf den Olymp der Selbstoptimierung. Körper stählen, Hirnwindungen trainieren, am besten alles auf einmal. Die Zeiten sind schließlich stressig, die Freizeit sowieso, sie will deshalb optimal genutzt und ausgefüllt sein. Je mehr Fliegen eine Klappe schlägt, desto besser. Ganz Ausgefuchste haben sogar herausgefunden, dass man gleichzeitig Sport machen, lesen und mit neongrünen Ohrstöpseln auch noch Musik hören kann. Oder läuft da vielleicht doch ein Hörbuch auf dem iPod, zusätzlich zur Lektüre in der Hand? Zwei Bücher auf einmal, beim Bizepstraining, einfach so nebenbei? Das wäre doch was.

Das Fitnessstudio ist nicht der Bertelsmann-Club!

Mich nervt und frustriert dieses Verhalten zu gleichen Teilen. Es nervt mich, weil die Literaten unter den Trainierenden wie Schildkröten durchs Studio kriechen und an jedem Gerät vor mir mindestens doppelt so lange brauchen, als sie ohne Buch benötigen würden. Auf die Frage, wie lange er denn noch am Butterfly trainiere, antwortete mir ein mäßig sportlicher Endzwanziger neulich verdutzt: „Ich lese noch!“ Zur Information: Zum Trainieren am Butterfly benötigt man beide Hände. Ziemlich logisch, dass da nichts vorangeht, wenn man in der linken T. C. Boyles „Wassermusik“ hat. Bitte, guter Mann, lesen Sie in der U-Bahn, im Dussmann, auf dem Sofa! Irgendwo! Aber blockieren Sie nicht gemütlich umblätternd die Fitnessgeräte und wundern sich anschließend darüber, dass sich trotz langer Studiostunden kein Oberarmmuskelwachstum einstellt. So schwer wiegt T. C. Boyle dann eben doch nicht!

Außerdem frustrieren mich die Lesenden beim Sport. Der Besuch im Fitnessstudio vermittelt mir mittlerweile jedes Mal das Gefühl, nicht nur suboptimal in Form, sondern auch suboptimal gebildet zu sein. Ich mache eben nur Sport. Oder ich lese. Eines von beidem, nicht beides gleichzeitig. Laufe ich also Gefahr, gesellschaftlich abgehängt zu werden? Fällt der Blick auf diese radelnden, lesenden, musikhörenden Selbstoptimierer, muss man das fast automatisch glauben.

Bitte, liebe Mitsportler: Packt nächstes Mal einfach nur euer Handtuch und eure Sportschuhe ein. Lasst die Bücher zu Hause. Das Fitnessstudio ist nicht der Bertelsmann-Club. Und, mal ganz ehrlich: Wie viel von Marcel Prousts „Verlorener Zeit“ habt ihr wirklich durchdrungen, während ihr nebenbei Elektro-Beats gehört und 132 Kalorien verbrannt habt?

Schmökernde Fitnessfreaks, wie viel Proust könnt ihr durchdringen, wenn ihr nebenbei 132 Kalorien verbrennt?

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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