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Nachwuchs gesucht. Vor allem kleinere Unternehmen tun sich schwer damit, geeignete Auszubildende zu finden. Größere Betriebe, wie hier Knorr-Bremse in Marzahn, haben hingegen oft viel mehr Bewerberinnen und Bewerber als sie unterbringen können.

© Kevin P. Hoffmann

Bilanz des Ausbildungsjahres: Streit um Lehrstellenplätze in Berlin

Arbeitssenatorin Elke Breitenbach warf den Betrieben vor, sich zu wenig Mühe zu geben. Die Berliner Wirtschaft kontert scharf.

Mit dem Optimismus ist das so eine Sache – wie oft im Leben kommt es auf die Perspektive an – und was die einen als positive Entwicklung sehen, geht anderen noch nicht weit genug. So war es auch am Donnerstag bei der Präsentation der Ausbildungsbilanz 2020/21, die die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Donnerstag gemeinsam mit Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke), Vertretern der Kammern der Berliner Wirtschaft und dem Deutschen Gewerkschaftsbund vorgestellt hat. Und so war der Ton zwischenzeitlich etwas härter zwischen den Teilnehmenden, Politik und Wirtschaft schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Wie steht die Region in Sachen Ausbildung da? Rund 21000 junge Berliner:innen hatten sich im Oktober 2020 bis September dieses Jahres um einen Ausbildungsplatz bemüht.

Dem standen rund 14660 betriebliche Ausbildungsplätze entgegen. Dies waren rund 600 junge Bewerber mehr gewesen als im Jahr zuvor. Die Geschäftsführerin der BA-Regionaldirektion, Ramona Schröder, betonte, dass dieses Ergebnis sich „durchaus sehen lassen kann“, wenn man die Umstände betrachte: Die erheblichen Einschränkungen durch die Pandemie. Setze man das in Relation, kämen derzeit 100 Bewerber:innen auf 71 Stellen in Berlin. Vor Corona seien es auf 100 Bewerber:innen 79 Stellen gewesen. Und betrachte man die gesamte Region, dann seien es gar 85 Stellen auf 100 Bewerber:innen, nur zwei weniger als vor Corona.

Ihr Appell an alle Ausbildungsplatzsuchenden: „Es lohnt sich auch im Speckgürtel, auch in Brandenburg, nach Ausbildungsstellen zu schauen.“
Senatorin Elke Breitenbach teilte den Optimismus offensichtlich nicht. „Ich bin verhalten optimistisch. Wir brauchen dringend Fachkräfte“, mahnte sie. Dann wandte sich die Linken-Politikerin an die drei Repräsentanten der Berliner Wirtschaft: „Leider ist das Engagement der Betriebe auszubilden, weiter gesunken“, sagte sie.

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Nur 42 Prozent der Betriebe in Berlin bildeten aus, im Bund seien es 54 Prozent. „Ich würde die fehlenden Ausbildungsplätze sogar als dramatisch bezeichnen.“ Die Berliner Unternehmen hätten „eine Verantwortung dafür zu tragen, dass junge Menschen eine Ausbildung finden. „Es ist frustrierend, wenn sich Schülerinnen und Schüler bewerben und keinen Platz finden.“

Zwar erwähnte Breitenbach, dass man zu Beginn der Pandemie mit allen sozialen Akteuren gemeinsam Lösungen gefunden habe, um die Lage zu bewältigen. So habe man, weil insbesondere die Hotel- und Gastronomiebranche gebeutelt sind, ein Ausbildungshotel geschaffen, in dem jungen Menschen die Chance gegeben wurde, sich als Koch oder Köchin oder Restaurant- und Hotelfachkraft ausbilden zu lassen.

„Wenn ich dann höre, dass das Hotel Arbeitskräfte in Kurzarbeit schickt und die jungen Menschen gar nicht richtig ausgebildet wurden, ist das inakzeptabel“, sagte Breitenbach. Und dann nannte sie ein Reizthema, das in den derzeitigen Koalitionsverhandlungen wieder eine große Rolle spielt: Eine mögliche Ausbildungsumlage. Diese soll Unternehmen, die nicht ausbilden, dazu verpflichten, eine Strafe zu zahlen.

Über eine solche Abgabe müsse man angesichts der Lage nun doch wieder nachdenken, sagte Breitenbach.

Die Ausbildungsumlage ist eine Kampfansage an die Berliner Wirtschaft

Dies ist eine Kampfansage an die Berliner Wirtschaft, die sich schon in der vergangenen Legislaturperiode deutlich dagegen ausgesprochen hatte. „Berlin braucht keine Ausbildungsplatzabgabe“, sagte der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK), Daniel-Jan Girl. Diese bestrafe Unternehmen ungerechtfertigt statt Ausbildungsstellen zu schaffen.

Rund 80 bis 90 Prozent der Unternehmen hat nur ein bis fünf Mitarbeitende. „Die kämpfen gerade ums Überleben“, sagte Girl. Vor allem in der Hotel- und Gastronomiebranche sei die Lage weiter schlecht, „es fehlen immer noch 6,4 Millionen Touristen in der Stadt“, gab er zu bedenken. Größere Unternehmen, die eigene Coachings für Bewerber:innen anbieten können, haben es laut IHK viel leichter.

Die Betriebe müssten sich "mehr Mühe geben", sagte Breitenbach

Aber bei etlichen kleinen und mittelständischen Firmen mangle es schon überhaupt an Bewerbungen. Viele Jugendliche meldeten sich auf bestimmte Jobs gar nicht. Hinzu komme das demografische Problem: Weniger Schüler:innen bedeutet auch weniger potenzielle Schulabgänger:innen, die sich um Ausbildungsstellen bemühen.

Auf die Anmerkung von Senatorin Breitenbach, man könne nur mit denjenigen Auszubildenden arbeiten, die da sind („Wir können uns keine backen“) und die Betriebe müssten sich „mehr Mühe geben“, konterte Girl: „Wir brauchen eine funktionierende Stadt, denn nur eine funktionierende Stadt führt zu funktionierenden Unternehmen.“

Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK Berlin), Daniel-Jan Girl.Vollversammlung der IHK Berlin am 14.09.2021

© IHK/Amin Akhtar

Hier solle „die Politik ihre Hausaufgaben machen“. Für Unternehmen sei die Ausbildung keine Last, sondern ein Commitment, eine Investition in die Zukunft. Er wehre sich gegen die „Umkehrung der Lage“.
Ebenso wie der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände (UVB), Alexander Schirp, und der Geschäftsführer der Berliner Handwerkskammer, Ulrich Wiegand, betonte Girl, dass die Ausbildungskampagne fortgesetzt werden müsse. Vor allem gelte es, Schüler:innen auf die Herausforderungen des Berufslebens vorzubereiten und systematische Orientierung zu bieten.
Die Vertreter der Wirtschaft verwiesen auf ihre Meta-Suchmaschine „ausbildung.berlin“. Hier werden systematisch aus der Region Berlin-Brandenburg freie Stellen per Suchfunktion angezeigt. Laut IHK und UVB sind derzeit rund 7700 offene Stellen auf dem Markt, dem stünden 3400 noch suchende Ausbildungsbewerber entgegen.

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Die viel höhere Zahl als die der Arbeitsagentur Berlin – dort sind es rund 1100 offene Stellen – kommt deshalb zustande, weil nicht nur Berlin, sondern die ganz Region einbezogen wird und es nicht nur um betriebliche Ausbildungsstellen geht, sondern beispielsweise auch Pflegekräfte oder Polizeianwärter:innen einbezogen werden. Der Chef der Berliner Handwerkskammer, Ulrich Wiegand, warb noch einmal gezielt dafür, einen Beruf im Handwerk zu erlernen. „Wir haben aktuell im Handwerk noch 600 offene Stellen“, sagte er. Die Ausbildungsbereitschaft von Handwerksbetrieben sei weiterhin hoch, um Bewerber:innen zu locken, sei man weiterhin mit dem Karrieremobil unterwegs.

Glücklicherweise seien die meisten Gewerke weniger von der Pandemie getroffen worden als es in anderen Branchen der Fall war. Die HWK betont, dass ein Studium nicht immer der einzige Weg sein muss, eine duale Ausbildung sei sehr zukunftsträchtig.

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