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Ernst-Moritz-Arndt-Kirchengemeinde in Berlin-Zehlendorf

© Thilo Rückeis

Streit um Ernst Moritz Arndt in Berlin-Zehlendorf: Darf eine Gemeinde nach einem Antisemiten benannt sein?

Die Universität Greifswald hat sich von ihrem Namensgeber Ernst Moritz Arndt getrennt, nun streitet die Kirchengemeinde in Zehlendorf.

Es sind Sätze wie diese, die es leicht machen, Ernst Moritz Arndt abzulehnen. „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte“, dichtete Arndt 1812 in seinem „Vaterlandslied“ und rief die deutschen Männer zu den Waffen, um „Henkersblut“ und „Franzosenblut“ zu vergießen. Zwei Jahre später erklärte Arndt in einem Traktat, eine Aufnahme fremder Juden sei „ein Unheil und eine Pest unseres Volkes“. Die Juden seien ein „verdorbenes und entartetes Volk“, Arndt – Theologe, Historiker und Philologe – wünschte sich, „den germanischen Stamm so sehr als möglich von fremdartigen Bestandteilen rein zu erhalten“.

Der Universität Greifswald ging das zu weit. Die Hochschule beschloss im vergangenen Jahr, den Namenszusatz „Ernst Moritz Arndt“ abzulegen. Der einstige Namenspatron, der in Greifswald studiert und später dort als Professor unterrichtet hatte, erschwere die Darstellung der Universität als Ort fortschrittlicher Forschung und tauge nicht für ein positives Traditionsbild, hieß es zur Begründung.

Ein Schritt mit Folgen – auch für Berlin. In Zehlendorf, nahe dem U-Bahnhof Onkel-Toms-Hütte, liegt die Evangelische Ernst-Moritz-Arndt-Kirchengemeinde, kurz EMA. Eine idyllische Gegend. Die denkmalgeschützte Bruno-Taut-Siedlung gehört zum Einzugsgebiet, wenige Gehminuten entfernt lädt der Fischtalpark zum Spazieren ein. Ein ruhiger Kiez, in dem man gerne wohnt. Viele Menschen, die als Kinder in der Gemeinde groß geworden sind, kehren hierhin zurück, wenn sie selbst Nachwuchs haben, erzählt Pfarrerin Ute Hagmayer.

Die Gemeinde diskutiert über die Umbenennung

Doch die Idylle im Berliner Südwesten ist getrübt. Seit Wochen wird in der 4000-Seelen-Gemeinde ein Thema heiß diskutiert: Soll sich die Gemeinde von ihrem Namensgeber trennen? Ganz neu ist die Frage nicht, doch seit der Entscheidung der Universität Greifswald ist sie aktueller denn je. Die Gemeinde ist gespalten. Jüngere Gemeindemitglieder sind eher für die Umbenennung, ältere eher dagegen.

Der Gemeindekirchenrat versucht, die Diskussion zu versachlichen. Vier Versammlungen hat es inzwischen gegeben, mit Vorträgen und Diskussionen über Ernst Moritz Arndt. An diesem Sonntag findet eine weitere Gemeindeversammlung statt, am 6. Mai entscheidet der neunköpfige Gemeindekirchenrat.

An diesem Sonntag findet eine Gemeindeversammlung zur Umbenennung statt.
An diesem Sonntag findet eine Gemeindeversammlung zur Umbenennung statt.

© Thilo Rückeis

Die Jungen sind eher für eine Umbenennung, die Älteren eher dagegen

In den bisherigen Versammlungen hätten vor allem die Älteren den Ton angegeben, sagt Jan Mävers. „Viele identifizieren sich mit dem Namen“, weiß der 30-Jährige, der sich in der Konfirmandenarbeit engagiert. „Sie sind in der Gemeinde getauft worden und haben dort geheiratet“, die Frage der Umbenennung sei für sie „eine emotionale“ Sache. Mävers kann das verstehen, wünscht sich aber, dass auch Jüngere mehr zu Wort kommen – Jugendliche und Familien mit Kindern. Die Gegner seien bisher kaum einbezogen worden, kritisiert der Religionspädagoge, obwohl die Jungen doch die Zukunft sind. Mävers ist für die Namensänderung. Auch in der Kirchenführung, beim Superintendenten und dem Propst, gibt es große Sympathien für eine Trennung von Ernst Moritz Arndt. Doch in der Gemeinde sieht es anders aus.

„Vor allem die älteren Gemeindemitglieder sind gegen eine Umbenennung und verteidigen ihre Position auch energisch“, berichtet Hagmayer. „Einige drohen mit dem Austritt aus der Kirche, falls die Gemeinde umbenannt wird." Für die Pfarrerin ist das eine schwierige Situation. Sie arbeitet seit 30 Jahren in der EMA, derzeit leitet sie den Gemeindekirchenrat. Persönlich ist Hagmayer für die Namensänderung. Trotz seiner Verdienste um Demokratie, Bildung, Pressefreiheit und seinen Kampf gegen die Leibeigenschaft sei Arndt auch ein „Antisemit und ein Verherrlicher von Waffengewalt gewesen“. Deshalb sei der Mann für sie persönlich als Namensgeber der Gemeinde „nicht tragbar“. Als Seelsorgerin sei es aber ihre Aufgabe, die Gemeinde zusammenzuhalten. „Ich weiß daher noch nicht, wie ich abstimmen werde“.

Auch Martin Luther war Antisemit

Arndt ist nicht der einzige Theologe, der in der evangelischen Kirche für Diskussionsbedarf sorgt. Auch Martin Luther, der große Reformer, hat sich in seinen Schriften ablehnend gegenüber den Juden geäußert. Martin Niemöller, im dritten Reich Pfarrer in der Nachbargemeinde Dahlem, war Militarist und Wähler der NSDAP, bevor er sich wandelte, für seinen Widerstand gegen die Nazis in ein Konzentrationslager deportiert wurde und später zum überzeugten Pazifisten wurde.

Man müsse auch Ernst Moritz Arndt in seiner Zeit sehen, sagt Michael Häusler. Der promovierte Historiker sitzt im Gemeindekirchenrat und wirbt für die Beibehaltung des Namens. Arndts populäre nationalistische Lieder und Traktate müsse man als Instrumente im antinapoleonischen Freiheitskampf deuten, seine judenfeindlichen Äußerungen seien Teil seines auf Abgrenzung der Völker gerichteten Nationalismus und keinesfalls Ausdruck eines Rassenantisemitismus. Dass der damalige Pfarrer Ernst Geß die 1935 eingeweihte Kirche nach Arndt benannt hatte, war nach Meinung Häuslers „in keiner Weise Ausdruck eines nationalen Hochgefühls angesichts der Machtübernahme der Nationalsozialisten“, sondern im Gegenteil „ein Mittel zur Selbstbehauptung eines bekennenden Christentums in einer zunehmend antichristlichen Gesellschaft“. Die Beseitigung des Namens Ernst Moritz Arndt „käme dem Verleugnen der eigenen Gemeindegeschichte gleich“, warnt der Historiker.

Ernst Moritz Arndt war Dichter, Historiker und Theologe; er kämpfte für Pressefreiheit und Bildung und gegen die Leibeigenschaft; er war aber auch Franzosenhasser, Antisemit und Nationalist
Ernst Moritz Arndt war Dichter, Historiker und Theologe; er kämpfte für Pressefreiheit und Bildung und gegen die Leibeigenschaft; er war aber auch Franzosenhasser, Antisemit und Nationalist

© picture alliance / Stefan Sauer/

Ernst Moritz Arndt ist eine ambivalente Person

Arndt ist eine höchst ambivalente Person. Der in Rügen geborene Sohn eines vormals leibeigenen Gutsverwalters hat vehement für die Abschaffung der Leibeigenschaft gekämpft. Das hat ihm in der DDR Ansehen verschafft. Es gab die Ernst-Moritz-Arndt-Medaille für Friedenskämpfer, 1951 gründeten Eisenbahner in Ost-Berlin den Ernst-Moritz-Arndt-Chor, der noch heute diesen Namen trägt. Bei der Wahl zwischen Ernst Thälmann und Arndt habe man sich lieber für den preußischen Reformer entschieden, berichtet Chorleiter Eberhard Lorenz. Eine Namensänderung ist nicht geplant. Genauso wenig wie beim Arndt-Gymnasium in Zehlendorf. Eine Diskussion über eine Umbenennung gibt es an der Schule nicht, sagt Schulleiterin Ute Stäbe-Wegemund.

In der EMA arbeitet Ursula von Moers als Ehrenamtliche. Die 80-Jährige hilft noch immer beim großen Basar, der jedes Jahr im Advent veranstaltet wird. Sie ist stolz auf ihre Gemeinde: auf die Arbeit mit Geflohenen, die in der benachbarten Turnhalle gelebt hatten, auf die Alphabetisierungskurse, das Begegnungscafé, die Kirchenkonzerte und Zeitzeugengottesdienste. Sie weiß, dass vielen Gemeindemitgliedern der Name Arndt ans Herz gewachsen ist. Für sie ist das aber nicht entscheidend. „Wichtiger als der Name ist doch, wie lebt man in der Gemeinde?“

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