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Claudia von Gélieu organisiert seit 30 Jahren "Frauentouren" durch Berlin. 

© Kitty Kleist-Heinrich

Stadttouren zur Frauengeschichte: Wie eine Berlinerin für mehr Sichtbarkeit von Frauen kämpft

Claudia von Gélieu organisiert seit 30 Jahren Stadttouren zur Berliner Frauengeschichte, auch durch das Frauenviertel in Rudow.

Ottilie Baader, Sozialistin und Kämpferin für das Frauenwahlrecht. Lieselotte Berger, CDU-Politikerin und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundeskanzler. Getrud Dorka, erste Leiterin eines staatlichen Museums in Deutschland. Die drei eint – neben ihrer historischen Bedeutung für die Frauenbewegung – ihre Würdigung auf Straßenschildern im Rudower Frauenviertel kurz vor der Stadtgrenze.

1996 startete die damalige Neuköllner Bezirksfrauenbeauftragte Renate Bremmert eine Kampagne, um die Straßen und Plätze des Neubaugebietes im Süden Berlins nach Frauen zu benennen. Damals gab es 682 Straßen in Neukölln – nur acht trugen weibliche Namen. 

In Rudow kamen auf einen Schlag 20 neue nach Frauen benannte Straßen hinzu. Baader, Berger und Dorka teilen sich die Ehre etwa mit Friederike Nadig, einer der Mütter des Grundgesetzes, und der Ärztin Käte Frankenthal, die in den 1920er Jahren dafür sorgte, dass an den Berliner Sexualberatungsstellen kostenlos Verhütungsmittel verteilt wurden.

Eine, die sich damals für das Frauenviertel engagierte und mittlerweile selbst dort lebt, ist Claudia von Gélieu. Die Politikwissenschaftlerin, kurze graue Haare und wacher Blick, beschäftigt sich schon lange mit Frauengeschichte. 

Seit 30 Jahren organisiert sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Beate Neubauer Frauentouren in Berlin: Stadtführungen, die sich mit der Lebensgeschichte bekannter und unbekannter Frauen, der Frauenbewegung oder auch heutigen Lebensrealitäten auseinandersetzen. 

Parallel forscht das Team aus bis zu zehn freien Mitarbeiterinnen zur Historie, hält Vorträge und Seminare, beteiligt sich an Ausstellungen und Publikationen. Sie wollen Frauengeschichte sichtbar machen – auch über Straßennamen.

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Geboren worden sei die Idee zu den Frauentouren 1988, erzählt von Gélieu bei einem Rundgang durch das Viertel. Zum damaligen 8. März organisierte sie eine Stadtrundfahrt zur Frauengeschichte in Berlin. „Das sollte eigentlich eine Aktion speziell zum Frauentag sein“, sagt sie. 

Im Rudower Frauenviertel wurde eine Straße nach der 1989 verstorbenen CDU-Politikerin Lieselotte Berger benannt.
Im Rudower Frauenviertel wurde eine Straße nach der 1989 verstorbenen CDU-Politikerin Lieselotte Berger benannt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Daraufhin sei sie dann allerdings von vielen Gruppen angesprochen worden, ob sie solche Touren nicht häufiger organisieren könne. Nach dem Mauerfall lernte sie Beate Neubauer, eine Kollegin aus Ost-Berlin, kennen und startete mit ihr die Frauentouren. Parallel organisierten sie sich im 1990 gegründeten, bundesweiten Netzwerk „Miss Marples Schwestern – Historische Spurensuche nach Frauen vor Ort“. 

Der Name leite sich davon ab, dass die Suche nach den Frauen in der Geschichte so schwierig sei wie die Tätersuche der britischen Romanfigur, das Ergebnis aber genauso spannend. „Außerdem wissen wir auch immer alles besser als die offiziellen Einrichtungen“, sagt von Gélieu und lacht. Noch eine Gemeinsamkeit mit der bekannten Detektivin von Agatha Christie.

Mittlerweile gibt es über 100 verschiedene Frauentouren in Berlin. Neben offenen Terminen, zu denen jeder vorbeikommen kann, veranstaltet das Team hauptsächlich Führungen für Gruppen. Der Altersdurchschnitt sei in der Regel etwas höher, sagt Claudia von Gélieu. 

Die Führung zu Marlene Dietrich ist in der queeren Community beliebt

Jüngere hätten eher andere Formen, sich mit der Frauengeschichte auseinanderzusetzen oder sich feministisch zu engagieren. Auch Männer nehmen selten an den Führungen teil. Eine Ausnahme sei die Führung zu Marlene Dietrich – die sei in der queeren Community sehr beliebt.

Besonders gefragt seien auch Touren etwa zu Rosa Luxemburg oder zu antifaschistischen Frauen, sagt von Gélieu. 

Besonders gerne führt sie über Friedhöfe

Und ihre Lieblingstour? Besonders gerne führe sie über Friedhöfe – „weniger wegen berühmter Frauen, die da liegen, sondern eher auch wegen der Begräbniskultur“. Alte Skulpturen und Grabsteine würden zu Fantasie und eigenen Interpretationen einladen, auch das Publikum sei sehr vielfältig. „Es kommen oft Menschen zu Friedhofstouren, die einen anderen Blick haben oder anderes Wissen“, sagt Claudia von Gélieu. 

Alte Skulpturen und Grabsteine auf Friedhöfn würden zu Fantasie und eigenen Interpretationen einladen, findet Claudia von Gélieu.
Alte Skulpturen und Grabsteine auf Friedhöfn würden zu Fantasie und eigenen Interpretationen einladen, findet Claudia von Gélieu.

© Kitty Kleist-Heinrich

Außerdem stoße sie immer wieder zufällig auf Frauengräber, die Ausgangspunkte für Recherchen sein können. „Das sind Frauen, die völlig vergessen sind, aber eine super spannende Geschichte haben.“ So fände sich manchmal beispielsweise das Grab des Dienstmädchens im Familiengrab – und sie frage sich dann: Wo sind eigentlich die anderen beigesetzt?

[330.000 Leute, 1 Newsletter: Die Autorin dieses Textes, Madlen Haarbach, schreibt den Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Neukölln. Den gibt es hier: leute.tagesspiegel.de]

Gerade diese Alltags- und Sozialgeschichten faszinieren die Politikwissenschaftlerin. „Es geht auch darum, einen anderen Ansatz zur traditionellen und männlichen Geschichtsherangehensweise zu betreiben“, sagt sie. Denn in der allgemeinen Geschichtsschreibung fänden sich auch heute noch in erster Linie Männer – „und irgendwo in einer Fußnote dann vielleicht eine Alibi-Frau“.

Fortschritte gibt es ihrer Ansicht nach bei den Straßennamen. Vor 30 Jahren hätte es etwa 150 Straßen in Berlin gegeben, die nach Frauen benannt worden seien – und dann vor allem nach Königinnen, Kurfürstinnen, Kaiserinnen oder Schauspielerinnen, „der modernen Variante der Prinzessin“, wie von Gélieu es ausdrückt. 

Mittlerweile gibt es über 500 weibliche Straßennamen

Mittlerweile gäbe es stadtweit mehr als 500 Straßen, die an Frauen erinnern. „Das Positive ist, dass selbst ich den Überblick verloren habe“, sagt sie. Sehr schwer sei es allerdings nach wie vor, Ehrengräber für Frauen durchzusetzen. Der Senat fordere, dass nur solche Personen ein Ehrengrab bekommen, die einer breiten Öffentlichkeit bekannt seien. „

Aus meiner Sicht werden da Frauen zum dritten Mal bestraft“, sagt Claudia von Gélieu. „Das erste Mal hatten sie nicht die gleichen gesellschaftlichen Möglichkeiten und Chancen, das zweite Mal kümmerte sich niemand um ihren Nachruhm – das Einzige, was es jetzt noch gibt, ist ihr Grab, und das möchte man erhalten.“ Und dann werde gesagt, die Frau kenne ja niemand. Wie auch?, fragt sich Claudia von Gélieu. Genau das will sie für die Zukunft ändern. Weitere Infos zu den Touren gibt es auf www.frauentouren.de

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