zum Hauptinhalt
331159_0_d11558e3.jpg

© David Heerde

Lesecafés: Worte mit und ohne Torte

Lesecafés bieten unbekannten Literaten eine Chance, ihre Werke dem breiteren Publikum vorzustellen Fans schätzen die ungekünstelte Atmosphäre bei den Lesungen.

Das Publikum wird ruhig zwischen seinen Weingläsern und Pastatellern, als Nepomuk Ullmann die Bühne betritt. Der Schriftsteller breitet seine Texte auf dem kleinen, quadratischen Tisch aus, sieht über seine Brille hinweg das gespannte Publikum an, um dann ruhig ins Mikro zu sprechen: „Liebesgedichte werde ich lesen. Sie sind erst in den letzten Tagen entstanden“. Die junge, brünette Frau hinter der Bar öffnet leise Bierflaschen.

„Das aktuelle Wortstudio“ – eine Anspielung auf die Fernsehsendung „Das aktuelle Sportstudio“ – nennt sich die Autorengruppe, die seit etwa eineinhalb Jahren an jedem ersten Donnerstag im Monat im Treptower Café „Provinz“ liest. Neben den Stammautoren, zu denen auch Ullmann zählt, kommen immer wieder neue Gäste zu der Lesung, um selbst verfasste Gedichte und Kurzgeschichten vorzutragen. Zwischendurch ertönen live Klavierimprovisationen des Pianisten Kobi. Auf bloße Comedians mit Texten à la „Neulich stand ich bei Kaiser’s an der Kasse“ wird man beim Wortstudio nicht treffen. Die Gruppe kündigt sich nämlich als entschieden „frei vom Druck der Lachbühnen“ an – ein Seitenhieb auf Berlins Poetry-Slam-Szene, in der häufig die lautesten und frechsten Autoren das größte Renommee genießen.

Suchen muss man solche leisen Lesebühnen schon ein wenig – sowohl als Zuhörer wie auch als Nachwuchsautor. Für Letztere sind Lesungen oft der erste Einstieg in den Literaturbetrieb: Das erste Mal können sie sich einem Publikum präsentieren und sich danach mit den anderen Schriftstellern über ihre kleinen Werke unterhalten. So hat auch die 34-jährige Katja Odenthal das erste Mal vor rund einem Jahr im Café Provinz gelesen. Kleine Lesecafés wie das Wortstudio gefallen ihr besser als „hippe Berliner Metropolen-Bühnen“. „Kultur ist hier ein Teil des Alltagslebens und hat nichts Elitäres“, sagt sie. Der Reiz solcher Projekte liege in der Authentizität und der geringen Hemmschwelle für Literaten und Zuhörer, die Lesungen zu besuchen. Dass die Themen der Texte manchmal etwas lapidar sind, stört sie nicht. Odenthal veranstaltete auch schon einen eigenen Leseabend bei sich zu Hause, den „Salon Halsbonbon“, zu dem jeder „einen Kuchen, ein Lied, einen Rotwein oder ein Buch“ mitbrachte.

Genauso weiß der junge Dichter Tom Bresemann, dass nach den ersten selbst veranstalteten Lesungen zu Hause mit Freunden und Familie oftmals der Gang zur Lesebühne folgt. Für viele Literaten sind sie der erste Schritt an eine „unbekannte Öffentlichkeit“. Bresemann ist seit vielen Jahren in der Berliner Literaturszene aktiv und begründete 2007 das Kreuzberger Literaturhaus „Lettrétage“ mit. „Möglichkeiten gibt es für junge Schriftsteller in Berlin so viele wie in keiner anderen deutschen Stadt“, sagt er. „Auch ich bin damals einfach in ein Café gegangen und habe nachgefragt, schon hatte ich ’ne Lesung.“

Auch die Neuköllner Literatur- und Pianobar „Froschkönig“ und das Friedrichshainer Café Tasso, das am Wochenende dreijähriges Bestehen feiert, leben davon, noch unbekannten Schriftstellern ein erstes Gehör zu verschaffen. Das Publikum ist ungekünstelt und stammt vor allem aus der Nachbarschaft. Die Reihe „Lesezeichen“ im Café „Tasso“ wurde eigens als Forum für junge Autoren konzipiert, die neue Texte vorstellen möchten. Für Patrick Giersch, den Betreiber des Neuköllner Literatur- und Pianocafés, ist es ein besonderes Anliegen, noch unbekannten Literaten ein Forum für ihre literarischen Ergüsse zu geben. Schließlich seien diese quasi der „Sockel des Literaturbetriebs“, sagt er. Hin und wieder fanden auch Themenabende statt, etwa „Geschichten aus Neukölln“. Dann konnten auch mehrere Schriftsteller verschiedene Texte zu einem Thema vorlesen.

Frei von Humor sind die ruhigen Lesebühnen der Stadt trotzdem nicht. Als eine Leserin beim Vortrag ihrer Kurzgeschichte im Café „Provinz“ in Lachen ausbricht, nimmt das Publikum es ihr nicht übel, sondern stimmt gelassen ein. Und fast nach jeder Lesung sprechen die Zuhörer mit den Autoren, um ihre Wahrnehmung der Lesung zu schildern. Für Odenthal hat das Feedback, das man in einem kleinen Lesecafé bekommt, einen ganz eigenen Reiz: „Es ist schön, wenn man sieht, wie eine Frau an der Bar während meiner Geschichte mitfiebert.“

Jana Scholz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false