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Mark Espiner.

© Thilo Rückeis

Espiners Berlin: Volksweisen im Nahverkehr

Schlechtes Englisch in der S-Bahn, Volkslieder bei der BVG, gemeingefährliche Eiszapfen und Feuerwerk im Bagdad-Stil: Mark Espiner, unser britischer Wahlberliner, beschwert sich über so einiges und fühlt sich deshalb schon viel berlinerischer.

Hier sind wir also im Jahr 2011. Und mein zweites Silvester in Berlin war “same procedure as last year”. Der eisige Wind. Der Schnee. Die Feuerwerke im Bagdad-Stil. Das zu späte Streuen von nicht besonders wirksamem Kies. Keiner räumt seinen Gehweg frei. Ich könnte so weitermachen. Trotz alledem ist es schön, sich ein bisschen vertrauter mit der Stadt zu fühlen. Und mit diesen ganzen Beschwerden werde ich vielleicht auch etwas mehr berlinerisch.

Bevor ich mich aber weiter beschwere, muss ich Ihnen allen erst einmal für die tollen Emails danken, die mich über diese wunderbaren Öffentliche-Nahverkehrs-Melodien aufklärten. Ein Leser war überzeugt, dass diese Klänge Wagner oder eine Version von Bach‘s Brandenburgischen Konzerten wären. Falsch. Weil sie nämlich, natürlich, gute alte deutsche Volkslieder sind, wie mir Peter D und jan.dark mitteilten. Hören Sie sich aber bitte mal diese Versionen der Lieder "Jetzt kommen die lustigen Tage" und "Wer recht in Freuden wandern will" an und sagen mir, ob Sie nicht auch ein bisschen beunruhigt sind darüber, so wie ich es war.

Tom sagte in seiner Email, dass die Tschechische Republik Smetanas Ma Vlast, das von Volksliedern inspiriert wurde, als Zugansagen-Fanfare verwendet. I fand dieses Video auf YouTube und es beweist, er hatte Recht (bei 16 Sekunden kann man es hören). Und Frieder schickte mir eine Email, in der er meinte, ich solle doch nach Polen reisen – allerdings war ich mir hier nicht sicher, ob das wegen anderer grossartiger Fanfaren war oder um mich loszuwerden.

Angesichts von alledem werde ich den verschiedenen Zugunternehmen in England vorschlagen, sich mit den europäischen Nachbarn gleichzustellen und Rule Britannia vor der Ankunft in einem Londoner Bahnhof zu spielen. Obwohl, nun da die Deutsche Bahn manche Zugunternehmen und die Londoner Busse besitzt, und da die Königin teilweise deutsch ist, werde ich wahrscheinlich wohl nur dies hören.

Es scheint, als ob mein Enthusiasmus für den Berliner Öffentlichen Nahverkehr etwas voreilig war. Zuerst bemerkte ich diese ungrammatische englische Ansage. Ich weiß es zu schätzen, dass die Ansage auf Englisch ist, aber es klingt einfach falsch. (Es sollte heißen “This train terminates here”). Dann, nur ein paar Tage später, wurde die S-Bahn ganz wackelig und völlig unvorhersehbar. Und als ich die U8 gegen 1 Uhr morgens nehmen wollte, fuhr einfach keine mehr. Ich musste von Wedding nach Mitte laufen, durch den Schnee. Eigentlich war das sogar schön. Berlin sah wunderbar aus in seiner weißen Decke – sehen Sie sich nur das Rathaus an.

Einen Kinderwagen durch das weiße Zeug zu schieben, war weniger romantisch. Ich war gezwungen, meine Tochter auf einem Schlitten zum Kindergarten zu bringen. Sie lernte schnell die perfekte Position für die Fahrt durch den Schnee im Berliner Stil. Und irgendjemand, irgendwo – ich hoffe, es war nicht der Kindergarten – hat ihr beigebracht, “arschkalt” zu sagen, was sie dann auch tat, den ganzen Weg entlang. Arschteuer, arschcool, arschreich, Sie müssen zugeben, dies ist eine arschungewöhnliche Art etwas zu betonen.

Der Schnee bringt aber auch ein bisschen Kreativität und Gemeinschaftssinn hervor. In Großbritannien fiel die Kriminalitätsrate, da Kriminelle damit beschäftigt waren, alten Damen beim Einkaufen zu helfen. Hier in Berlin schrieb meine Stieftochter diese Nachricht in den Schnee, im Dachgarten unseres Blocks. Und nur ein paar Tage später bekam sie dann diese Antwort. Schneegraffiti, das die Menschen in einer Gemeinschaft zusammenbringt.

Aber dann kam das Eis.

Ich hatte bereits kapiert, dass die Gefahr, von einem herunterfallenden Eiszapfen erstochen zu werden, durchaus bestand und wechselte mal lieber die Strassenseite, als ich diesen im Prenzlauer Berg sah. Aber nichts konnte mich auf die noch größere Gefahr vorbereiten, die das Eis auf der Strasse war – und, was ich nun weiß, “Blitzeis” genannt wird.

Ein paar Tage bevor Großbritannien komplett hysterisch wurde wegen deutschen Eiern, berichtete die BBC, dass das Eis Berlin in einen Ausnahmezustand versetzte. Es gab anscheinend mehr als 170 Unfälle allein am Vormittag des Blitzeistages.

Ich kann das glauben. Innerhalb von nur einer halben Stunde Regen, der dann sofort gefror, sah ich drei Leute fallen. Eine ältere Dame schlitterte kreuz und quer durch die Gegend. Eine junge Frau suchte noch nach Halt bei ihrem Freund, stieß ihn dann aber um und schickte ihn in einem spektakulären Dreh zu Boden. Und ich bin nicht allzu stolz darauf, zuzugeben, dass ich auch hingefallen bin und es tat arschweh.

Naja, das war wohl der Gute Rutsch.

Wenn Sie dies alles nun lesen, dann ist vielleicht schon der ganze Schnee geschmolzen – obwohl, das könnte zu optimistisch sein. Um Sie warm zu halten, gibt es hier ein kurzes Update zu meinen früheren Empfehlungen. Sie können auch einen Flat White in diesem neuen Cafe in Mitte bekommen, The Barn, und hier bietet man Ihnen außerdem Single Origin Kaffee an und die neueste Art und Weise, diesen nicht wie einen Espresso zu verarbeiten. Hier wird auch der Londoner Square Mile Coffee serviert, von dem ich ganz patriotisch behaupten kann, dass dieser hervorragend ist. Ein glückliches, koffeinreiches 2011 an Sie alle.

Nächste Woche erkunde ich Neukölln. Irgendwelche Tipps zu den eher ungewöhnlichen Orten dort – oder wenn Sie sich auf einen Kaffee treffen wollen – lassen Sie es mich wissen.

Sie können Mark Espiner emailen unter mark@espiner.com oder ihm auf Twitter folgen: @deutschmarkuk.

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