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© DAVIDS/Darmer

Quartier 206: Edle Mode zwischen Trend und Twitter

Im Quartier 206 an der Friedrichstraße bietet „Cabinet“ jetzt junge Luxuslabels. Nikolaus Jagdfeld führt den Shop gemeinsam mit Mutter und Freundin.

Für die einen ist Berlin die ewig arme Stadt, die für immer unter dem Wegzug der Industrie leiden wird. Für Nikolaus Jagdfeld ist Berlin die Stadt der Möglichkeiten. Das von Politikern oft beklagte Fehlen von Industrie betrachtet er eher als Vorteil: "So haben wir keine Altlasten." Der 30jährige ist jetzt Mitgeschäftsführer im Quartier 206 Zusammen mit seiner Partnerin Johanna von Boch und kümmert sich um die jungen Kunden, die haben wollen, was in der Welt gerade angesagt ist und das auch bezahlen können. Obwohl Berlin eher für die Anarcho-Szene und arme Künstler berühmt ist, sammelt sich hier offenbar auch eine neue Jeunesse Dorée.

Als seine Mutter Anna Maria Jagdfeld vor 12 Jahren den Departmentstore in der damals noch tristen Friedrichstraße eröffnete, gab es viele Zweifel, ob sich so ein Geschäft mit hochwertiger internationaler Mode, Accessoires, Innendesign und Kosmetik überhaupt halten könnte in einer Stadt, die immer arm war. Zumal die Dresscodes als die entspanntesten östlich des Wilden Westens galten. Tatsächlich waren die internationalen Gäste, die in immer größeren Scharen nach Berlin kamen, anfangs mit die besten Kunden. Manche von ihnen beließen es nicht beim Erwerb einer schicken Klamotte. Sie legten sich gern auch noch einen Zweitwohnsitz zu. Anno August Jagdfeld, der Vater des jungen Unternehmers kennt sich in dem Gewerbe besonders gut aus.

Aber Berlin hat sich verändert in diesen Jahren. Viele junge Künstler und Kreative, die vor zehn Jahren gekommen sind, haben heute arrivierte Galerien oder Agenturen. "Erst kommen die Künstler, dann das Establishment." In zehn Jahren, da ist Jagdfeld sich ziemlich sicher, wird Berlin teurer sein. Der Sohn des Unternehmer Anno August Jagdfeld hat in London Immobilienökonomie studiert, aber den Immobilien widmet er derzeit nur einen Teil seiner Arbeitszeit. Er beobachtet genau, wie neue Gegenden populär werden, derzeit Moabit, aber auch Wedding.

"Wedding wird nie populär", wirft Anna Maria Jagdfeld ein. Die Gründerin des Departmentstores ist seit 25 Jahren im Modegeschäft tätig, hat erlebt wie die Branche immer schneller wurde, spricht in dem Unternehmen aber auch bei anderen Themen mit. Sie hat ein Vetorecht bei den Geschäften, überlässt aber vor allem "Cabinet" das neue Geschäft im Souterrain mit angesagten jungen Labels aus aller Welt ihrem Sohn und seiner Freundin Johanna von Boch. Die beiden haben sich im Internat Schloss Salem kennen gelernt, da waren sie 14 und 15 Jahre alt. Später sind sie ein Paar geworden, heute sind sie 29 und 30 Jahre alt, und auch ihre Geschwister sind miteinander befreundet. Als nach einer Soft-Opening-Phase zum ersten Mal ein Fest stattfand im "Cabinet", legten die jungen Chefs als DJs Niki und Johanna auf, und die Gäste tanzten zu Crocodile Rock und alten Bee-Gees-Nummern auf dem Leopardenteppich, der die Tanzfläche markiert. Vicky Leandros hatte ihre drei Kinder mitgebracht und Anna Maria Jagdfeld plauderte mit Johannas Mutter, Brigitte von Boch, bekannt für das Porzellan Villeroy & Boch. Erstaunlich war die große Ansammlung von um die 30jährigen mit alten Adelsnamen.

Auch Johanna von Boch hat in London studiert, Philosophie, und für sie ist die neue Geschwindigkeit der Modewelt Normalität. Trends verbreiten sich über Bloggs und Twitter in dem Moment, wo sie aufkommen. Schnell zu sein, reicht nicht mehr. Moden zu erkennen auch nicht. "Es gibt ja immer alles, und alle fünf Minuten kommt was angeflogen." Sie reist viel, versucht zusammen mit Anna Maria Jagdfeld zu erklären, was die Kriterien sind beim Finden besonderer Kleidungsstücke. Was ist einen Schritt vor der Zeit? Was ist kleidsam? Was ist Zeitgeist und gleichzeitig qualitativ wertvoll. Neben T-Shirts, deren Stoff so hauchdünn ist, dass man fast durchgucken kann, gibt es auch fast konservativ wirkende Schulmädchenkleider in dem Laden.

Nachhaltigkeit ist dem Trio besonders wichtig. Was im Departmentstore verkauft wird, ist schließlich nicht billig, aber es hält auch eine Zeit. Johanna von Boch holt sich Anregungen gern in Paris. "Die Mädchen da sind so elegant." Früher sei sie in Delhi auf die Messe gegangen", erinnert sich Anna Maria Jagdfeld. "Inzwischen lassen wir alles selber produzieren Letztens hat sie mit Johanna von Boch drei Tage auf dem Boden einer Fabrik in Nepal gesessen und den Produzenten erklärt, welche Entwürfe benötigt werden für eine Kollektion von Decken und Schals. Über die Jahre hat sie sich ein großes Netzwerk geschaffen: "Trends werden uns auch immer wieder zugetragen." Sie weiß aber auch, dass viele international berühmte Designer die Straßen und Second Hand Shops von Berlin nach Anregungen durchstreifen. Die rosa Jeans aus der letzten Dior-Kollektion könnte im Jahr zuvor noch in einem Friedrichshainer Laden für gebrauchte Klamotten gehangen haben. Sie selbst trägt ein auffällig schönes Brillengestell. Auf die Frage nach dem Designer lacht sie: "Ich habe es auf dem Flohmarkt gefunden und dann nachfertigen lassen."

Nikolaus Jagdfeld kümmert sich vor allem um die Herrenmode, er selbst mag sie am liebsten klassisch und ist überzeugt: "Man kann auch Klassik jung machen." Ums Handgelenk trägt er Armreifen von Aurora Lopez einer New Yorker Freundin seiner Mutter und ein rotes Schutzbändchen aus Kambodscha. "Deutschland hat großen Bedarf an Design", glaubt er. "Ästhetisch sind uns andere Länder weit voraus."

Der größte Vorteil an Berlin, so sehen es alle drei, ist die offene Gesellschaft. "Man sieht sich, jeder hat Zutritt. Was anderswo langer Absprachen und Verabredungen bedarf, geht hier ganz spontan." Er weiß, dass viele junge Leute aus anderen europäischen Ländern sich in Berlin ansiedeln, dass viele wohlhabende Familien sich einen Zweitwohnsitz in Berlin zulegen. Wie lange er sich selber mit um die Mode kümmern wird, weiß er noch nicht. "Wenn ich fertig bin damit, dann spüre ich das." Man merkt im Laufe des Gesprächs immer wieder, dass hier drei starke Persönlichkeiten oft auch Konflikte austragen. "Sie ist hart, aber gut", sagt Nikolaus Jagdfeld über seine Mutter. Und dass sie mit ihrem Vetorecht auch schon Dummheiten verhindert habe. Die Gefahr, dass es dem Trio zu eng wird, besteht wohl nicht, weil es so viel zu tun gibt. O-Ton. Nikolaus Jagdfeld: "Hier liegt unglaublich viel Potential."

 Elisabeth Binder

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