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Blicken mit Sorgen nach NRW: Die SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken

© imago images/Emmanuele Contini

SPD bangt um Hochburgen: Alarmstufe Rot an Rhein und Ruhr

Die Grünen geben Wahlempfehlungen für CDU-Kandidaten ab - und in der SPD tobt ein Machtkampf. Die NRW-Stichwahlen könnten die Partei in Turbulenzen stürzen.

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Intern wird in der SPD-Spitze mit großer Sorge auf das Flimmern in der früheren Herzkammer geblickt. Von zwei Zügen, die aufeinander zu fahren ist die Rede. Nicht nur der größte Landesverband sieht hochnervös der Stichwahl bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag entgegen – personelle Konsequenzen nicht ausgeschlossen.

Ausgerechnet die Hochburg Dortmund, die über 70 Jahre sozialdemokratisch regiert wurde, könnte verloren gehen. Zwar lag SPD-OB-Kandidat Thomas Westphal im ersten Wahlgang mit 35,9 Prozent vorne - zehn Prozentpunkte vor dem CDU-Mitbewerber Andreas Hollstein (25,9 Prozent).

Zäsur in Dortmund?

Doch die Grünen, deren Kandidatin Daniela Schneckenburger auf den dritten Platz kam, haben diese Woche eine Entscheidung getroffen, die das Rennen völlig offen macht. Eine Mitgliederversammlung der Grünen empfahl nach Verhandlungen mit beiden Kandidaten, am Sonntag für den CDU-Bewerber zu stimmen - eine Entscheidung, die vom Landesverband in höchsten Tönen gelobt wurde.

"In allen zentralen Konfliktpunkten gab es seitens der SPD kein Entgegenkommen", erklärte der Vorsitzende der NRW-Grünen, Felix Banaszak, und fügte hinzu: "Es gibt aber kein SPD-Abo auf den Chefsessel im Rathaus und Demokratie braucht den Wechsel. Dortmund braucht den Wechsel." In der SPD ist die Enttäuschung groß - auch weil sie etwa in Bonn in der Stichwahl die Kandidatin der Grünen unterstützt.

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Nicht nur in Dortmund müssen sich die Sozialdemokraten der Tatsache stellen, dass sie in ihrem Stammland an Zustimmung verlieren. Im Durchschnitt nur noch 24,3 Prozent stimmten im ersten Wahlgang Mitte September für die Partei, die NRW jahrzehntelang regierte.

Seither rumort es im Landesverband. Manche NRW-Genossen glauben, schon am Montag könne es zwischen dem Landesvorsitzenden Sebastian Hartmann und seinem Gegenspieler, Fraktionschef Thomas Kutschaty, zu einer Art Showdown kommen. Dann tagt der Landesvorstand. Beide sollen sich nicht viel zu sagen haben, die Machtfrage lähmt die Partei.

Wahlplakate für die Oberbürgermeisterwahl in Dortmund am Sonntag - die Grünen unterstützen den CDU-Kandidaten Andreas Hollstein.
Wahlplakate für die Oberbürgermeisterwahl in Dortmund am Sonntag - die Grünen unterstützen den CDU-Kandidaten Andreas Hollstein.

© imago images/Cord

Lähmender Personalstreit

Der Ausgang des Personalstreits dürfte darüber entscheiden, ob die SPD bei der Landtagswahl im Mai 2022 und der Bundestagswahl im September 2021 überhaupt eine Chance hat. Brisant ist: Die Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verfolgen unterschiedliche Ziele, stehen spiegelbildlich für die Zerrissenheit der Bundespartei, wie der Landes-SPD. Esken beklagte nach der ersten Runde der NRW-Kommunalwahl eine enttäuschende Niederlage; Walter-Borjans dagegen betonte, nicht die Grünen, sondern seine Partei sei entgegen den Erwartungen hinter der CDU zweitstärkste Kraft geworden.

Walter-Borjans und Esken als Schlüsselfiguren

SPD-Landeschef Hartmann streicht wie Walter-Borjans die oft von den Personen vor Ort abhängenden Erfolge heraus, die es bei der ersten Runde der Kommunalwahl durchaus gab, unter anderem in Bochum (Thomas Eiskirch), Herne (Frank Dudda) und Bottrop (Bernd Tischler) gewannen SPD-Politiker die Oberbürgermeisterwahlen gleich in der ersten Runde. Hartmann verfolgt einen pragmatischen Politikansatz: Die SPD als Kümmerer-Partei, während das linke Lager im Verbund mit den Jusos sich oft in Identitätspolitik verhakt oder in Themen, die an der Lebenswirklichkeit vor Ort vorbei gehen.

Der Nordrhein-Westfale Walter-Borjans stimmte nach der ersten Runde bis in die Wortwahl hinein mit Hartmann überein, seine Ko-Vorsitzende aber verweigerte diesem eine verbale Unterstützung. Esken setzt nach Informationen des Tagesspiels auf die Gegner Hartmanns in der NRW-SPD, welche die Partei noch weiter nach links schieben wollen und mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz fremdeln.

Die Pragmatiker im Landesverband halten Kutschatys Büroleiter Peter Marchewski für die treibende Kraft hinter den Versuchen zur Akzentverschiebung, die von den NRW-Jusos und ihrer bisherigen Chefin Jessica Rosenthal gestützt werden. Rosenthal will im November Kevin Kühnert an der Spitze der Bundes-Jusos ablösen. Der frühere NRW-Justizminister Kutschaty war wie die Jusos ein erbitterter Gegner der erneuten großen Koalition im Bund.

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NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann (rechts) mit Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Rande einer Kommunalwahl-Debatte
NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann (rechts) mit Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Rande einer Kommunalwahl-Debatte

© dpa

Austritte und Verluste

Kommunalpolitiker und Pragmatiker in der NRW-SPD fürchten, eine weitere Ideologisierung führe ins Abseits. In Bonn, wo Rosenthal seit März Vorsitzende ist, kam die SPD auf 16 Prozent. In Essen, wo Kutschaty die örtliche SPD führt, stürzte sie um fast zehn Punkte auf 24 Prozent ab. Fast nirgends fahren Sozialdemokraten mit einem strammen Linkskurs Erfolge ein. Der Essener SPD-Vizechef Karlheinz Endruschat trat im Streit mit dem Essener SPD-Chef Kutschaty Anfang des Jahres aus, das Stadtratsmitglied ist der klassische Kümmerer vor Ort, weiß die Menschen ticken, was sie bewegt - er kritisierte fehlende ehrliche Debatten in der SPD, zum Beispiel die Gefahr durch libanesische Clans und in der Migrationspolitik.

An dieser Basis wird der Einsatz für die Aufnahme von Flüchtlingen nicht nur bejubelt, viele frühere SPD-Wähler in NRW sind zur AfD übergelaufen, allein rund 50.000 bei der letzten Landtagswahl. Zwar gibt es nicht mehr wie früher die großen Arbeitermilieus und festen sozialdemokratischen Strukturen, gerade im Ruhrgebiet fehlen heute aber auch immer öfter Köpfe in der Partei, die nicht aus Akademikermilieus kommen. Und junge Leute wählen vor allem grün.

Hartmann war vor zwei Jahren mit dem Slogan "Rot pur" angetreten. Er steht für eine eigenständige Sozialdemokratie mit langfristig angelegten Konzepten, die den Grünen nicht hinterherläuft und in Fragen der inneren Sicherheit einen strengen Kurs vertritt, für ein klares Schutzversprechen eintritt. Als eher spröder Typ entfaltet der Bundestagsabgeordnete wenig emotionale Bindewirkung.

Kümmerer oder Identitätspolitik?

Er sammelt, so heißt es intern, Unterstützer – und stellt Erfolgsbeispiele heraus, wie Martin Mertens, seit sechs Jahren Bürgermeister von Rommerskirchen im Rheinland. Er wurde wiedergewählt mit 88,6 Prozent. Hartmann verweist auf das Erfolgsrezept von Mertens, wie der es mal im "Vorwärts" skizziert hat: "In meiner Gemeinde haben wir dort die größten Erfolge, wo Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sich einsetzen. Wo sie sich um die Parkbank, den Mülleimer oder den Kindergartenplatz kümmern – genau so, wie um die Entwicklung des neuen Baugebietes oder der Umgehungsstraße."

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Genau jene Gruppe, die nun Zweifel an Hartmann streut, war es, die Esken und den früheren NRW-Finanzminister Walter-Borjans, der kein expliziter Parteilinker ist, früh unterstützte und so ihre Wahl erst möglich machte. Walter-Borjans weiß, dass es so nicht weitergeht in der NRW-SPD – die Frage ist nur: Setzt sich Kutschaty durch oder Hartmann oder müssen beide ihre Posten räumen, um einen Neuanfang zu ermöglichen. Und der Konflikt zwischen den beiden hat das Zeug, auch die öffentliche Harmonie der Bundesvorsitzenden auf eine Probe zu stellen.

Die Leiden eines alten Sozialdemokraten

Axel Schäfer (68) ist ein Sozialdemokrat von Schrot und Korn, seit 18 Jahren im Bundestag, soeben hat er erneut seine Kandidatur erklärt. Er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. „Der Landesverband NRW hat ganz klar ein Problem", sagt er mit Blick auf die Querelen. Auch er hält konkrete Kümmerer-Politik für den Erfolgsfaktor.

Das Problem habe damit angefangen, dass Hannelore Kraft einfach alles hingeschmissen hat. Kaum jemand wolle noch bei der SPD Verantwortung übernehmen, das fange schon beim eines Ortsvereins an. Hier zeigt sich auch der Wandel – die Grünen können sich kaum retten vor Leuten, die sich engagieren wollen. Dass die nun in Dortmund gemeinsame Sache mit der CDU machen, bringt Schäfer in Rage. „Das ist purer Opportunismus, das ist prinzipienlos, wie die sich den Schwarzen an den Hals werfen."

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