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Erinnerungsort. Inge Deutschkron im Museum für Otto Weidt, der auch Juden in seiner Blindenwerkstatt Arbeit gegeben hatte.

© John Macdougall/AFP

Sorge um Berlins Ehrenbürgerin Inge Deutschkron: Freunde berichten von „skandalöser Versorgung“ im Heim

Die Shoa-Überlebende Inge Deutschkron befindet sich laut Zeugen in einem erschreckenden Zustand. Das Pflegeheim nennt die Versorgung „ausgezeichnet“.

Noch im August haben ihr Politiker zum 99. Geburtstag gratuliert, sie als eine „hochgeachtete Zeitzeugin“ gewürdigt, die Bewunderung und Respekt verdiene. 

Jetzt schlagen Freunde Alarm: Inge Deutschkron, Shoa-Überlebende und Berliner Ehrenbürgerin, werde in ihrem Pflegeheim nicht ausreichend versorgt und befinde sich mittlerweile in einem erschreckenden Zustand. Ein Sprecher des Heims dementiert dies.

Wie der Tagesspiegel erfuhr, lebt Inge Deutschkron im Heim Pro Seniore am  Kurfürstendamm. Sie bewohnt dort ein Zwei-Bett-Zimmer. Aus ihrem Umfeld heißt es, Deutschkron sei stark abgemagert, nehme zu wenig Flüssigkeit zu sich, werde zu wenig mobilisiert. 

Durch falsche Lagerung habe sich Inge Deutschkron dieses Jahr einen sehr schmerzhaften Dekubitus, ein Druckgeschwür, zugezogen. Fotos belegen dies. Darüber hinaus habe sie sich im Heim zwischenzeitlich mit Corona angesteckt, die Infektion überstanden.

Ein Freund sagt, er verspüre große Wut auf das Heim

Der Tagesspiegel konnte mit mehreren Personen aus Inge Deutschkrons direktem Umfeld sprechen. Sie nennen die Versorgung der 99-Jährigen „skandalös“ und „sehr besorgniserregend“. Einer sagt, er verspüre große Wut auf das Heim. 

Ein anderer sagt, er habe sich bereits bei der Heimaufsicht beschwert, jedoch ergebnislos. Als Ursache vermuten sie Überlastung und Überforderung des Personals auf der Station. Ein Zeuge spricht von einem „offensichtlichen Pflegenotstand“. 

Das Pflegeheim weist alle Vorwürfe zurück

Der Heimsprecher bestreitet dies. Inge Deutschkron werde „nicht nur ausreichend, sondern ausgezeichnet versorgt“. Jede Stunde werde ihr Flüssigkeit angeboten. Das Personal kümmere sich intensiv und hingebungsvoll um Frau Deutschkron. Zudem gebe es einen engen Austausch mit ihrem Bevollmächtigten und ihrem behandelnden Hausarzt.

Bei Inge Deutschkrons Bevollmächtigtem handelt es sich um Berlins ehemaligen Kulturstaatssekretär André Schmitz. Auf Anfrage des Tagesspiegels sagt er, dank zweier professioneller Zusatzkräfte, die von einem Freundeskreis um Deutschkron beauftragt wurden, seien Missstände „immer auch zeitnah aufgefallen und konnten korrigiert werden“. 

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Freunde der 99-Jährigen, die anonym bleiben möchten, sagen, von einem Abstellen der Missstände könne gar keine Rede sein. Die Zustände derart zu verharmlosen, verärgere sie.

Eine Bekannte, die Deutschkron jüngst mehrfach besuchte, sagt: „Es kann doch nicht sein, dass sich Politiker mit ihrer Ehrenbürgerin rühmen und  große Reden schwingen, sich aber gleichzeitig nicht um eine bestmögliche Betreuung kümmern.“ Sie fordert, Inge Deutschkron in einem Hospiz unterzubringen, in dem sie lebenslang eine Rundumbetreuung erhalte: „Dass dies nicht bereits passiert ist, macht mich fassungslos.“ 

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André Schmitz, der Deutschkron seit Jahren als Bevollmächtigter betreut, sagt dagegen, von einer Überweisung in ein Hospiz habe der Hausarzt „angesichts des hohen Alters von Frau Deutschkron und ihrem Zustand abgeraten“.

Inge Deutschkron wurde 2018 zur Ehrenbürgerin des Landes Berlin ernannt, es ist die höchste Ehrung der Hauptstadt. Michael Müller würdigte damals, Deutschkron habe als Zeitzeugin des Holocausts „den Kampf gegen das Vergessen zu ihrem Lebensthema gemacht“. Ihr seien zahlreiche Gedenkorte wie etwa die Gedenkstätte Stille Helden zu verdanken. Auch die jährliche Gedenkveranstaltung am Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald, von wo 1941 die ersten Berliner Juden ins Ghetto Litzmannstadt deportiert wurden, geht auf ihre Initiative zurück.

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