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Der Fall von Maryam H. erinnert an den Tod Hatun Sürücüs, die 2005 in Berlin von ihrem Bruder erschossen wurde. An der Stelle steht heute ein Gedenkstein.

© imago/Christian Ditsch

Kontakte zu Imamen, Gespräche mit Betroffenen: So soll Gewalt gegen Frauen aus verletztem Ehrgefühl verhindert werden

Nach dem Mord an Maryam H. mutmaßlich wegen angeblich verletzter Ehre wird in ihrer früheren Unterkunft das Gespräch gesucht – es geht auch um Prävention.

Zuerst sind die Frauen aus Afghanistan an der Reihe. Das ist naheliegend, Maryam H., die 34-jährige Mutter, die mutmaßlich von ihren Brüdern getötet wurde, weil sie die Lebensweise ihrer Schwester ablehnten, stammt aus Afghanistan. Bis zu ihrem Tod lebte sie in einer Gemeinschaftsunterkunft des Betreibers Albatros in Berlin-Lichtenberg, zusammen mit ihren beiden Kindern.

Fünf Einrichtungen betreibt Albatros in Berlin, 1200 Menschen insgesamt werden täglich betreut. Friedrich Kiesinger, der Geschäftsführer von Albatros, will mit möglichst allen Bewohnerinnen und Bewohnern die schreckliche Tat aufarbeiten lassen, mit den Frauen natürlich vor allem. Aus zeitlichen Gründen reden die Sozialteams aber zuerst mit den Bewohnern und Bewohnerinnen aus Afghanistan.

Viele der Frauen sind verstört, aufgeschreckt, verängstigt. „Wir wollen offensiv mit dem Thema umgehen, denn die Bedrohungssituation kann jederzeit wiederkommen“, sagte Kiesinger. Er ist nicht bloß Geschäftsführer, er ist auch ein erfahrener Psychologe und Psychotherapeut. Seit Jahren arbeitet er in Berliner Beratungsstellen.

Das Reden über die Tat, über Hintergründe, über viele Aspekte hat auch einen präventiven Charakter. „Wir möchten durch unsere offene Aussprache die Frauen, aber auch die Kinder, ermutigen, dass sie sich an uns wenden, wenn sie Probleme wegen des Themas Familienehre oder Gewalt haben“, sagt Kiesinger. „Wir möchten, dass sie uns darüber informieren.“ Noch gebe es bei vielen massive Hemmungen, diesen Schritt zu gehen.

„Diese Frauen müssen sich öffnen“, sagt Kiesinger. „Es ist ganz wichtig, dass sie lernen, außerhalb der eigenen Familie zu sagen, dass sie geschlagen wurden und dass sie mit dieser Mitteilung keinen Verrat an der Familie verüben.“

Offenheit dient dem Selbstschutz

Eine solche Offenheit dient dem Selbstschutz, sie kann in bestimmten Fällen sogar Leben retten. „Wir werden das massiv anstoßen, der Fall Maryam H. wird sonst kein Einzelfall bleiben“, sagt Kiesinger. In den Gesprächen über die Tat wird den Betroffenen auch erklärt, wie sich deutsche Frauen im Alltag gegen potenzielle Attacken wehren können.

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Kiesinger, der erfahrene Therapeut, hat aber auch Männer im Blick. „Die werden ja auch zwangsverheiratet. Und sie stehen unter dem Druck der Familie, dass sie die angeblich verletzte Ehre wieder herstellen müssten.“ Kiesinger will in den Gesprächen auch herausfinden, „weshalb sich die Männer nicht gegen den Auftrag der Familie wehren“. Das kann helfen, Attacken zu verhindern.

Der Therapeut hat auch die Arbeit mit Männern im Blick

Das Ziel der Bemühungen ist von Kiesinger klar definiert: „Wir wollen Männer auf eine solche Art und Weise stärken, dass sie irgendwann sagen, sie nähmen einen Mordauftrag, sollte er von der Familie kommen, nicht an.“ Kiesinger weiß natürlich, dass er das nicht allein schaffen kann. Es ist ein Projekt, an dem viele mitarbeiten müssen.

Imame sind bei dieser Arbeit enorm wichtig. „Wir suchen Imame, die offen sind für diese Probleme, mit denen wir diese Thematik besprechen können“, sagt Kiesinger. „Wir brauchen diese Imame als Multiplikatoren.“ Er baut jetzt bestehende Kontakte mit schiitischen, sunnitischen und anderen Religionsgelehrten aus. Darüber hinaus sind auch zivilgesellschaftliche Akteure wichtig.

Beim Islamforum wird über die Problematik geredet

Anfang September tagt wieder das Islamforum, das sich mit diversen Themen der Muslime und Musliminnen befasst. Diese Treffen gibt es seit langem, verschiedene Parteien sind beteiligt. Und Kiesinger versucht das nächste Treffen dazu zu nutzen, die Fragen und die aktuellen Themen, die ihn umtreiben, einzubringen. Nur in Zusammenarbeit, das ist ihm klar, können Fortschritte erzielt werden. Auch die offenen Gespräche in den Einrichtungen können durchaus erfolgreich sein, Kiesinger weiß das aufgrund eines anderen schrecklichen Vorfalls, der sich vor fünf Jahre ereignete.

Eine Frau wäre von ihrem früheren Mann fast erwürgt worden

Eine Frau, die in einer Albatros-Einrichtung gelebt hatte, wäre von ihrem Mann damals fast erwürgt worden, weil er sich in seiner Ehre verletzt gefühlt hatte. Die Frau hatte sich von ihm getrennt, er hatte das nicht verkraftet, er kam damit nicht zurecht, hatte sie immer wieder bedroht, und irgendwann in einem Park attackiert. Nur weil ein Rentnerehepaar mutig einschritt, ist die Frau noch am Leben. Der Mann wurde wegen des Mordversuchs zu einer Haftstrafe verurteilt, wird jedoch in diesem Jahr entlassen.

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Die Sicherheitsmaßnahmen in der betroffenen Albatros-Einrichtung sind nach dem Mord an Maryam H. verstärkt worden. Aus gutem Grund: Denn nach dem Mord an der 34-jährigen Mutter soll eine andere Frau in einer Gemeinschaftsunterkunft in einem östlichen Bezirk, eine Iranerin, Morddrohungen von ihrem früheren Mann, einem Afghanen, erhalten haben. Sie lebt seit drei Jahren getrennt von ihm. Und nun, wenige Tage später, soll der Mann der Iranerin erneut telefonisch mit Mord gedroht haben.

Der Fall von Maryam H. erinnert an den Tod Hatun Sürücüs. Am 7. Februar 2005 war die damals 23-Jährige in einer Bushaltestelle in Tempelhof von ihrem jüngsten Bruder mit drei Kopfschüssen ermordet worden. Sie hatte sich aus der Ehe mit ihrem Cousin befreit und war mit ihrem Sohn Can von Istanbul zurück nach Berlin gezogen.

Myria Böhmecke, Referentin für „Gewalt im Namen der Ehre“ bei der Frauen-Hilfsorganisation Terre des Femmes, kennt Fälle, in denen Männer nach einem Mord wegen vermeintlich verletzter Ehre genau jene Tat als Argument eingesetzt hätten. „Die haben ihren Frauen gesagt, dass ihnen genau das gleiche passieren könne wie dem Opfer, wenn sie sich nicht unterwürfen.“ Bis jetzt, sagt Kiesinger, gibt es leider weitere begründete Vermutungen.

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