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Am Samstag beginnen die Achtelfinalspiele der Europameisterschaft.

© imago images/GEPA pictures

Es muss nicht immer die Kneipe sein: So kreativ ist Berlin beim Public Viewing zur EM

Im Hochseilgarten oder in der Kirche: Die Stadt hat einige besondere Orte zu bieten, um gemeinsam Fußball zu gucken.

Viele sehen sich die EM-Spiele in Berlin im Biergarten oder in der Kneipe ums Eck an. Doch es lohnt sich, zur EM auch mal außergewöhnliche Übertragungsorte aufzusuchen.

In der evangelischen Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde in Schöneberg begleitet Pianist und Komponist Stephan Graf von Bothmer in diesem Jahr an der Orgel die EM-Spiele ab dem ersten Achtelfinale am 26. Juni um 18 Uhr - das zweite Spiel - und das zweite Konzert - beginnt um 21 Uhr. Der Ton ist aus, der 50-jährige Musiker ersetzt mit seinen Improvisationen den Kommentator.

Bei seinen Stummfilmkonzerten untermalt Graf von Bothmer mittlerweile seit mehr als einem Jahrzehnt bewegte Bilder mit Instrumentalmusik. Daher sei für ihn die Idee, auch Fußballspiele musikalisch zu begleiten, gar nicht so außergewöhnlich gewesen, erinnert sich der Pianist.

2008 gab er in der Emmauskirche in Berlin sein erstes Fußballkonzert an der Orgel. Von Bothmer erzählt, er habe "erstmal auf acht Gäste gewettet" und diese Konzerte vor allem auch in musikalischer Hinsicht zunächst nicht wirklich ernst genommen.

Doch es kam anders. Schon bei der ersten Vorstellung sei der Saal voll gewesen. In den Folgejahren begleitete er bei Auftritten in ganz Deutschland viele weitere EM- und WM-Spiele an der Orgel oder am Klavier. Im Schnitt verfolgen zwischen 500 und 650 Zuschauer:innen seine Fußball-Improvisationen mit, erzählt er.

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Die Partien werden beispielsweise in Kirchen auf großen Leinwänden und immer ohne Ton übertragen. Der Pianist übernimmt mit seiner Musik also die Rolle des Kommentators. Er greife auf, so der 50-Jährige, was

auf dem Bildschirm und im Zuschauerraum passiere.

Stephan Graf von Bothmer, Komponist und Stummfilmpianist.
Stephan Graf von Bothmer, Komponist und Stummfilmpianist.

© Mike Wolff

Abgesehen von Improvisationen mit eigenen Kompositionen spielt er auch bekannte Musikstücke und Lieder. So wählt er etwa den Imperial March von Star Wars, wenn ein Spieler eingewechselt wird, "Oops, I dit it again" von Britney Spears, wenn einer der Fußballer zum wiederholten Mal foult oder auch "Spiel mir das Lied vom Tod", sollte Deutschland haushoch verlieren.

Seine Darbietung sei eine Mischung aus Liedern von Pink Floyd, über Filmmusik bis hin zu Kompositionen von Beethoven und vielen weiteren Komponist:innen. Kurzum: "Eine ganz eigene Melange, die offenbar gut ankommt."

Der Eintritt ist frei (um Spenden wird gebeten). Besucher müssen einen negativen Test vorweisen oder voll geimpft oder genesen sein - auch Kontaktdaten müssen hinterlassen und Masken auf den Gängen getragen werden.

Ein Fußballvergnügen für alle

Was gefällt den Zuschauer:innen an dieser "ganz eigenen Melange" so sehr, dass sie das Konzert einer normalen Live-Übertragung vorziehen? Von Bothmer zufolge versuche er, "die Aufmerksamkeit auf das Spiel zu

konzentrieren."

Seine Musik sei generell archetypisch angelegt. Das heißt, der Pianist greift mit seinen Kompositionen Grundemotionen auf, wie etwa die Freude über ein gefallenes Tor oder auch den Ärger über den Sieg des

Gegners. Dabei traue er sich in musikalischer Hinsicht "auf der emotionalen Ebene mehr als andere."

Wer um den Sieg ringt, kann durchaus auch aggressiv werden. Komponist von Bothmer betont, diese gewalttätige Seite von Fußballspielen verschwinde durch seine Klavier- oder Orgelbegleitung.

Stattdessen stehe der Sport im Mittelpunkt. Mit seinen Improvisationen arbeite er "nie gegen das Spiel", sondern stünde in ständigem Austausch mit dem Publikum. Zudem greife er auf, was auf dem Rasen passiert.

Der 50-Jährige fügt hinzu, er befände sich mit Zuschauer:innen und Spiel in einer Art Kommunikations-Dreieck: Das Publikum reagiere auf das Spiel und auf seine musikalische Begleitung - er wiederum reagiere auf die Zuschauer:innen und das Spielgeschehen.

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Manchen Besucher:innen komme es mitunter sogar so vor, als würde das Spiel auch auf den Komponisten reagieren, erzählt er. In zähen Spielphasen sei es schon passiert, dass ein Zuschauer ihm "Spiel mal

schneller, man!" zugerufen habe.

Dem Musiker gelingt es, alle seine Zuhörer:innen zu begeistern: von echten Fußballfans, die mit seinem musikalischen Format erst einmal warm werden müssen, über diejenigen, die nur beim Public Viewing sind, um Freunde zu treffen und sich für das Spiel nicht interessieren.

Der 50-Jährige selbst konzentriert sich während seiner Fußballkonzerte voll und ganz auf die Musik. Neben der Orgel wartet seine Bierflasche darauf, nach dem Auftritt geleert zu werden.

Erst klettern, dann gucken

Bier für die Fußballfans gibt's auch beim Public Viewing im Waldhochseilgarten Jungfernheide in Charlottenburg am Heckerdamm 260 - aber natürlich erst nach dem Klettern.

Nach einer Tour durch den Kletterparcours kommen hier vor allem Familien beim gemeinsamen Fußballschauen zusammen: "Public Viewing für Familien - da liegt uns viel dran", betont Geschäftsführer Paul Blecker, der den Hochseilgarten gemeinsam mit vier Freunden betreibt.

Im Waldhochseilgarten Jungfernheide können Familien erst klettern gehen und dann entspannt zusammen die EM-Spiele mitverfolgen.
Im Waldhochseilgarten Jungfernheide können Familien erst klettern gehen und dann entspannt zusammen die EM-Spiele mitverfolgen.

© Paul Blecker

Im Sommergarten auf dem Gelände der Kletteranlage ist genug Platz für die ganze Familie. Eltern können von Liegestühlen oder Bierbänken aus das Spiel mitverfolgen. Für die Kinder gibt es rund um einen alten Wasserturm eine große Rasenfläche, auf der sie sich austoben können.

Im denkmalgeschützten Turm befindet sich die Gastronomie, die die Fußballfans während der Spiele mit Essen und Getränken versorgt. Blecker zufolge sei der Ort "einzigartig in Berlin durch diesen Wasserturm."

Ist die Nachfrage groß genug, werden alle EM-Spiele übertragen. Eine Voranmeldung über die Homepage des Klettergartens ist erforderlich. Melden sich für eine Partie zu wenig Leute an, sagen Blecker und sein Team den angemeldeten Gästen rechtzeitig ab.

Im Klettergarten werden beim Achtelfinale nur die 18-Uhr-Spiele übertragen, aber alle Deutschlandspiele. Ab dem Viertelfinale ist geplant, alle Spiele zu übertragen.

Hoch oben für das ganze Spiel

Wer nicht nur vor dem Spiel hoch oben sein will, kann in der Dachlounge "Studio 14" des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) vorbeischauen. Die Lounge befindet sich im obersten Stockwerk des Rundfunkhauses in der Masurenallee 20. Über den Dächern von Berlin befinden sich eine Bar und ein Restaurant. Außerdem gehen hier immer wieder Fernsehmoderator:innen und Radiosprecher:innen des rbb auf Sendung.

In der Dachlounge des rbb können Fußballfans nicht nur die EM-Spiele mitverfolgen, sondern auch die tolle Aussicht genießen.
In der Dachlounge des rbb können Fußballfans nicht nur die EM-Spiele mitverfolgen, sondern auch die tolle Aussicht genießen.

© rbb/Thomas Ernst

Wer gerade in der Lounge zu Besuch ist, kann die Aufnahmen mitverfolgen. Live sehen lassen sich hier auch die EM-Spiele. Braucht man zwischendurch eine Pause von der Fußballpartie, bietet es sich an, mit einem Cocktail in der Hand den Blick über Berlin schweifen zu lassen. Reserviert werden muss vorab online auf der Homepage des "Studio 14". Dann steht dem Fußballvergnügen mit Ausblick nichts mehr im Wege.

Wichtig: Sobald man nicht draußen guckt, sondern drinnen, muss ein negativer Test vorgelegt werden.

Anja Neu

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