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Geburtstagskind: Ben Wagin präsentiert ein Gemälde zu seinem Geburtstag.

© Felix Hackenbruch

Skurrile Party trotz Coronavirus: Ben Wagin feiert 90. Geburtstag

Es gibt Kuchen mit Ginkgo-Keksen, Blumen werden gepflanzt und wirre Reden gehalten. Künstler und Baumpate Ben Wagin hat am Freitag 90. Geburtstag gefeiert.

Wer alt wie ein Baum ist, den bringt so schnell nichts zu Fall. Und so wuselt am Freitag ein weißhaariger, kleiner Mann mit blauer Schiebermütze, verdreckter Schürze und ausgelatschten Lederschuhen über das Gelände am Anhalter Güterbahnhof und schleppt Gemälde ins Freie. Der Künstler Ben Wagin, der nicht Künstler genannt werden will, hat 90. Geburtstag – oder hatte schon. So richtig sicher ist sich selbst seine Biografin nicht. Irgendwann im März 1930 wurde Wagin im polnischen Jastrow geboren und nun möchte er feiern. Trotz Coronavirus, aber nicht wie Miss Sophie. Und so wird es vor seinem Atelier kein Dinner for One, sondern ein etwas skurriles Fest mit Abstand.

Abstand bitte. Wagin verteilt Stöcke an seine Gäste, mit denen sie Abstand halten sollen.
Abstand bitte. Wagin verteilt Stöcke an seine Gäste, mit denen sie Abstand halten sollen.

© Felix Hackenbruch

Für den sorgt das Geburtstagskind höchstselbst. Ein paar Dutzend Stöcke hat der Künstler besorgt und sie an der Spitze mit Handschuhen bestückt. „Das ist euer Abstand“, sagt Wagin und verteilt die Stöcke unter den rund 20 Gästen. Ob das der Polizei angesichts von Kontaktverbot und Ausgangsbeschränkungen ausgereicht hätte, ist zweifelhaft. „Das ist keine Veranstaltung, wir sind alle zufällig hier“, betont Stephan Natz, Sprecher der Wasserbetriebe, die Wagin seit Jahrzehnten unterstützen.

Aber das stimmt nicht. Natz hatte in einer E-Mail auf das Treffen hingewiesen und geschrieben, Wagin freue sich über jeden, der komme, um „mit ihm und für ihn in seinem Anhalter Garten zu säen, damit es im Sommer grünt und blüht“.

Die Corona-Krise als Warnung der Natur

Ob er als Mitglied der Risikogruppe nicht Angst vor dem Coronavirus habe, wird Wagin von Reportern gefragt. „Wir bekommen jetzt die Anweisung, dass wir uns wegen ein paar Mücken in die Hose machen sollen“, antwortet er den verdutzten Gästen, zu denen auch der langjährige Präsident der Universität der Künste, Martin Rennert und der stellvertretende Direktor des Technikmuseums, Joseph Hoppe gehören. „Jetzt zeigt sich, wer die Hosenscheißer sind“, raunt Wagin seiner Biografin zu. Eigentlich wollte auch der Regierende Bürgermeister kommen, der Bundespräsident und die Kulturstaatsministerin haben immerhin Briefe geschrieben.

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Wagin nimmt das Coronavirus nicht so ernst, das mit dem Abstand fällt ihm sichtlich schwer. Die Krise sieht aber er als Warnung der Natur an die Menschheit. „Wenn wir aus unserer Bequemlichkeit nicht herauskommen, werden wir die Rechnung bekommen.“

Sein Werk wächst von Jahr zu Jahr

Ben Wagin setzt sich seit Jahrzehnten für die Natur ein. Anlass sei ein Bombenangriff 1945 gewesen. Er habe sich hinter einen Baum geworfen, nur dadurch überlebt. „Deswegen bin ich in den Dialog mit den Bäumen getreten“, sagt Wagin. Hunderte Ginkgos und viele andere Bäume hat er in Berlin, wo er seit 1957 lebt, gepflanzt und pflanzen lassen, darunter das „Parlament der Bäume“ am Schiffbauerdamm. Politiker und Investoren hat er wiederholt dazu gebracht, Bäume nicht zu fällen. Sein Werk wächst von Jahr zu Jahr.

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Zu seinem Geburtstag bleibt er sich treu, pflanzt ein paar Blumen vor seinem Atelier. Vierzig verschiedene Sorten, im Sommer sollen sie blühen. Als ein paar Samen auf das Kopfsteinpflaster fallen bückt er sich flink, sammelt sie sorgfältig auf und setzt jedes einzelne Korn in das Beet. Dann wird der Streuselkuchen mit Ginkgo-Keksen angeschnitten. Wagin lacht und ruft: „Jetzt kann die Party beginnen.“

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