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Nicht nur wegen des Feuerwerks scheiden sich an Silvester die Geister.

© dpa/Britta Pedersen

Jahreswechsel: Silvester in Berlin: Feiern oder fliehen?

Silvester löst bei Berlinern konträre Reaktionen aus. Vier Tagesspiegel-Autoren über ihr schön-schwieriges Verhältnis zu dieser besonderen Nacht.

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DER USEDOM-IRRTUM

Das Klischee sieht so aus: Innenstadt: Krawummplatzheuldonnerpeng! Außenbezirk: Plopp. Für meinen Außenbezirk im Nordwesten kann ich nur sagen: Es stimmt nicht. Nachdem wir den letzten Jahreswechsel nach längerer Pause mal wieder zuhause verbracht haben, war das auch vorerst das letzte Mal. Denn es war eine Art Krieg. Von drinnen – raus haben wir uns nicht getraut – war ab etwa halb zwölf ein stetes Crescendo von Explosionen hörbar, das zum Jahreswechsel eskalierte und mehrere Stunden andauerte.

Keine Ahnung, wie viele Familien- oder Jugendverbände dafür verantwortlich waren, aber mit den heute verfügbaren Explosivstoffen schaffen es ja vier oder fünf Verrückte durchaus, ein ganzes Wohnviertel in Angst und Schrecken zu versetzen. Ich sage bewusst: Verrückte, denn normale bürgerliche Sprengfreunde würden ja zumindest nicht derartige Müllberge aus verbrannter Pappe in Grünanlagen und auf Kreuzungen hinterlassen, die dann noch ein paar Tage im Januarregen durchfeuchten, bis die BSR mal Zeit hat.

Meine Konsequenz: Ich habe rechtzeitig ein paar Tage Usedom gebucht, getragen von einem gewissen Vertrauen in die beruhigende Wirkung des Seeklimas und der Urlaubsstimmung. Allerdings hat mir kürzlich jemand erzählt, das sei ein Fehler, weil dort jeder mit dem Fahrrad eine ganze Kiste Böller aus Swinemünde holen und damit für ein paar Euro die Hölle losbrechen lassen kann. Wir werden sehen – wenn es schief geht, fahren wir im Jahr drauf auf eine Insel mit viel Reetdächern, Amrum vielleicht oder Sylt. Da gibt es nicht nur ein Feuerwerksverbot, sondern es wird auch befolgt. (Bernd Matthies)

ABSCHIED UND ANFANG

Ich mag Silvester. Ich mag die lustigen Schornsteinfeger im Kleeblatttopf und das großartige Feuerwerk über Berlin. Um das zu sehen, muss ich nicht mal auf die Straße. Ich mag es, mit Freunden bei Raclette oder Fondue und viel Wein das Jahr Revue passieren zu lassen. Drei Minuten vor zwölf wird der Fernseher angeschaltet, um sich gemeinsam über die Touristen vorm Brandenburger Tor lustig zu machen. Kein Berliner würde da freiwillig hingehen. Die letzten Sekunden – drei, zwei, eins – werden runtergezählt.

Das hat Tradition, die ich in diesem Jahr meiner Tochter überlasse. Inklusive meiner Wohnung. Sie wird für ihre Freunde Gastgeberin sein, während ich mich diesmal total egoistisch bei einem feinen Galadinner um nichts kümmern muss. Das Feuerwerk am Brandenburger Tor kann ich aus sicherer Entfernung und ohne den Menschenauflauf auch genießen. Für mich bedeutet Silvester Abschied vom Alten und der Anfang von etwas Neuem. Jedes Jahr. (Kitty Kleist-Heinrich)

DER RICHTIGE DREH

Schweizer Bergdorfidylle Ende der 80er Jahre, ein verängstigter Hund und dessen nicht minder schissiges Frauchen, eine Doppel-Automatiktür und ich: So geht die Geschichte, die mir, meiner Mutter und dem armen Hund jegliches Silvesterfeuerwerk für immer verleidet hat.

Dabei fand ich es damals natürlich fantastisch! Auch weil mein älterer Bruder immer extra für mich noch „was Schönes mitgebracht“ hat, wie er sagte. Traditionell war das ein Feuerrad, das mein Opa beim Familienurlaub in den Schweizer Bergen an den Baum gegenüber der Hoteltür anbrachte, größtmögliche Aufmerksamkeit, es soll sich schließlich lohnen.

Diesmal aber hatte mein Bruder noch einige von diesen frei herumsirrenden Drehscheiben organisiert, die ich sehr mochte, da weniger laut, dennoch funkelnd – und unberechenbar, wie sich herausstellen sollte. Wegen des mehr als irritierten Hundes wartete meine Mutter zwischen den beiden Automatikglastüren. Gemeinsam mit ihr wollte ich die Show meines Bruders bewundern, doch dann ging plötzlich die Tür auf, die Drehscheibe flog hinein, die Tür ging wieder zu. Und drehte und drehte und drehte, die panische Kleinfamilie ignorierend, bis sie neben einer Topfpflanze erlosch.

Seither knallen bei mir Silvester nur noch die Sektkorken. Dass ich jobbedingt meist in dieser Stadt voller Idioten sein muss, die bei Verkaufsstart das zündelnde Zeug kurz nach Mitternacht kistenweise aus dem Laden schleppen, ist ein wenig tragisch. Hier traue ich mich inzwischen nicht mal mehr auf den Balkon, auch in bürgerlichsten Gegenden wird gerne mal quergeschossen. Also Tür zu (zum Glück ohne Automatik), drinnen gibt es ABBA, Freddie Frinton und Tischfeuerwerk, und die einzige Regel ist: Egal, wo wir sind, dort bleiben wir. Morgens, wenn sich der Nebel gelichtet hat, kann man den Walk of Shame antreten – für eine Stadt, die es nicht schafft, diesem krachenden Unsinn ein Ende zu bereiten. (Anke Myrrhe)

NUR FÜR MICH

Diese Nacht ist etwas ganz Besonderes. In Berlin. Überall. Für alle. Auf der ganzen Welt. In Deutschland redet am Abend die Kanzlerin im Fernsehen, die Leute feiern drinnen und draußen. Ekel Alfred macht Punsch. James serviert Mulligatawny-Suppe, Fisch, Hühnchen, Obst und jede Menge Alkohol. Böller, Raketen, laute Lieblingsmusik bis tief in den Morgen. Alles für mich. Freunde kommen extra von weit her in die Hauptstadt und feiern mit oder rufen an, die Familie auch. Kirchenglocken läuten. Ich feiere diese Nacht immer, zum 18. Mal in Berlin. Und die Berliner mit mir. Ausgelassen. Intensiv. Und lange – mindestens bis um 3.50 Uhr. Zu der Zeit wurde ich am 1. Januar 1969 geboren. (Lutz Haverkamp)

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