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Auch am Kollwitzplatz versuchen Mütter, Kind und Beruf gerecht zu werden.

© Patrick Pleul/dpa

Wir Mütter vom Kollwitzplatz (II): Sie sind reich, ehrgeizig, egoistisch. Ihre größte Unverschämtheit: Sie sind Frauen

Warum haben wir kein Mitleid mit einer gestressten Mutter, wenn die ihren Sohn nach einem frauenmordenden Despoten nennt und Angst hat, eine TelKo zu verpassen?

Seit 1999 wohne ich am Kollwitzplatz und habe mit insgesamt drei Kindern hier etwa genauso viele Stunden auf dem berühmtesten Spielplatz Europas verbracht. Trotzdem würde ich mich niemals eine „Mutter vom Kollwitzplatz“ nennen. Ich lache über sie. Denn die Mütter vom Kollwitzplatz, das sind immer die anderen. Vermutlich macht mich genau das zu einer von ihnen.

Viele Frauen wollen eine werden. Bezahlen pervers hohe Mietpreise, um hier eine Wohnung zu ergattern. Zu viele. Weshalb es immer enger und immer teurer geworden ist. Dann aber eine dieser typischen „Mütter vom Kollwitzplatz“ sein will eigentlich keine.

Wann genau ist die „Mutter vom Kollwitzplatz“ zur internationalen Hassfigur geworden? Sogar in die „New York Times“ hat sie es geschafft. Das müsste ihr eigentlich gefallen. Denn Karriere macht sie genauso eifrig wie die Brotdosen für ihre Nachkommen. Denen sie Vornamen gibt, als wären sie die Monarchen der Zukunft: Karl, Friedrich, Karl-Friedrich oder Sophie-Charlotte. Tyrannen sind unsere Kinder mit den klangvollen Namen dann bereits in der Kita.

Aline von Drateln, Mutter vom Kollwitzplatz.

© Christobal

Denn tatsächlich ist in Prenzlauer Berg ja alles noch viel schlimmer, als man in Spandau glaubt: In die Kita werden sie nicht nur mit dem oft beschriebenen Geländewagen chauffiert, sondern dann auch noch die Treppen hochtragen in den ersten Stock, obwohl ihre Schuhe so viel gekostet haben wie das Monatsgehalt der Erzieherin.

Doch egal ob's getragen wird oder was es trägt: Kinder nerven überall. In Prenzlauer Berg jedoch nerven vor allem die Mütter.

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Aber warum lieben wir die „italienische Mamma“ aus dem Kino oder die Working Mom aus der Serie, während uns die Mutter vom Kollwitzplatz noch wahnsinniger macht als unsere eigene?

Zum Beispiel: Anette - die Business-Mutter. Irgendwann zwischen meinem Kind zwei und drei wurde diese Art „Mutter vom Kollwitzplatz“ geboren. Eine anstrengende Mischung aus Angelina Jolie und Mutter Beimer. Beruflich glücklich und gluckig zugleich. Um ihren schlechten Ruf wissen die Frauen hier natürlich. Das halten sie aus. Aber ihre Scham ist groß. Ihr Reichtum sichtbar.

„Heinrich, beeil dich – ich hab' gleich ne TelKo!“

Hören kann man hier wundervolle Sätze wie nirgendwo anders auf der Welt. Zum Beispiel: „Heinrich, beeil dich ich hab' gleich ne TelKo!“ Die Mutter, die das neben mir im Gruppenraum sagt, hat das Handy unters Kinn geklemmt, während sie ihrem Sohn die handgenähten Schuhe zubindet. Heinrich trödelt natürlich trotzdem weiter, denn Heinrich ist vier Jahre alt.

Der berühmteste Spielplatz Europas.

© imago stock&people

Das Zitat schafft es am nächsten Morgen zum Tweet des Tages in den Tagesspiegel Checkpoint. Weil ich den irren Satz natürlich hämisch in mein Handy gehackt habe, während ich meine Tochter die Treppe runtergetragen habe. War ja ein anstrengender Tag für die Kleine.

Warum haben wir kein Mitleid mit einer gestressten Mutter, wenn die ihren Sohn nach einem frauenmordenden Despoten nennt und Angst hat, eine Telefonkonferenz zu verpassen? Sondern nur dann, wenn sie ihn Stefan genannt hätte und zur Spätschicht gemusst?

Vielleicht auch deshalb, weil die Abkürzung für Telefonkonferenz lange Zeit angeberisch nach Großkanzlei klang, bevor wenige Jahre später heute sogar die kleine Hannah in Marzahn gestresst ihren Laptop aufklappen muss, um ihre Schalten fürs Homeschooling zu schaffen.

Die Zerrissenheit ist es, die uns angreifbar macht

Und nach Geld. Und wer hat schon Mitleid mit jemandem, der reich ist. Denn reich sein, das gilt im ehemaligen Künstlerviertel als unanständig. Reich sein darf man im Westend, aber bitte nicht hier. Also wird ständig relativiert: „Die Wohnung war damals total billig!“, „Wir haben von den Eltern nichts dazubekommen.“

Diese Zerrissenheit ist es, die uns so angreifbar und angreifenswert macht. Glauben, etwas nicht verdient zu haben, es aber dennoch nicht mehr hergeben wollen.

Was viele hier eint: Das Gefühl, ihren Status nicht verdient zu haben. Und der Wunsch, ihn nicht mehr herzugeben.

© Kai-Uwe Heinrich

An Anette provozieren nicht die blöden Dinkelkekse. Diese Mütter vom Kollwitzplatz wie Anette sind reich, ehrgeizig, egoistisch und damit das genaue Gegenteil von mütterlich.

Ihre größte Unverschämtheit ist dabei, dass sie Frauen sind. Ein Mann, der geschäftig in sein Handy spricht, während er den Boogaboo vor sich herschubst, ist ein engagierter Vater, der sich trotz seines Business noch Zeit für die Kinder nimmt.

Es ist zum Heulen, dass niemand über die „Väter vom Kollwitzplatz“ lacht.

Aline von Drateln lebt am Berliner Kollwitzplatz. Alle 14 Tage prüft sie, was am öffentlichen Bild über Frauen in Prenzlauer Berg nicht stimmen kann. Lesen Sie hier Folge I: Allein gelassen – wenn nicht vom Kindsvater, dann von der Politik

Aline von Drateln

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