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Bettina Jarasch (links, Bündnis 90/Die Grünen), Verkehrs- und Umweltsenatorin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin, und Klaus Lederer (Die Linke), Berlins Senator für Kultur und Europa, stehen nach einer Pressekonferenz zur Bilanz der Arbeit des rot-grün-roten Senats für die ersten 100 Tage zusammen.

© Foto: dpa/Carsten Koall

Update

„Sie sehen uns hier in guter Stimmung“: Berliner Senat bilanziert sein 100-Tage-Programm

Giffey sieht bei 90 Prozent der Vorhaben schon ein „grünes Häkchen“, SPD, Grüne und Linke geben sich krisenfest. Einen Knackpunkt gibt es dennoch.

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100 Tage nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags zwischen SPD, Grünen und Linken haben die Spitzenvertreter:innen der drei Parteien im Senat ein positives Fazit gezogen. Die Opposition dagegen wirft der Regierung vor: „Bisher hat die Koalition nur Überschriften produziert.“ Das sagte Oppositionsführer Kai Wegner (CDU) dem Tagesspiegel.

Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag erklärte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) dagegen: „Wir haben 100 gute Tage gehabt.“

Ihre beiden Stellvertreter Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) ergänzten, es gebe eine „wirklich gute Kultur des Miteinanders“, die Koalition funktioniere „menschlich gut“ und auf „stabilem Fundament“.

Einig waren sich die drei darin, dass vor allem die Krisen – erst Corona, dann der Ukraine-Krieg – die neue Koalition der alten Partner zusammengeschweißt hätten.

Von einer „Regierung im Krisenmodus“ sprach Giffey und lobte die Senatsmitglieder explizit für deren Arbeit. „Wir haben haben geliefert und gezeigt, dass wir Krise können“, sagte Verkehrssenatorin Jarasch. Lederer betonte, die ersten Monate der Koalition seien „alles andere als politisches Alltagsgeschäft“ gewesen.

Wohnungsbau-Bündnis, Senatskommission, Lehrer-Verbeamtung

40 Projekte wollte die Koalition in den ersten 100 Tagen auf den Weg bringen. Über 90 Prozent seien mit einem „grünen Häkchen“ versehen worden, sagte Giffey. Inhaltlich betonten die drei jeweils die Erfolge der eigenen Partei. Das für die SPD wichtige Bündnis für Wohnungsbau und bezahlbaren Wohnraum sei gegründet worden, genau wie die Senatskommission für Wohnungsbau, die Hindernisse beim Bau aus dem Weg räumen soll.

Die Metropolregion Berlin-Brandenburg werde gestärkt, die Zusammenarbeit zwischen Land und Bezirken durch eine am Mittwoch unterzeichnete politische Erklärung der Ebenen verbessert, erklärte Giffey. Die Verbeamtung von Lehrkräften sei auf den Weg gebracht, der stärkere Ausbau der Sprachkitas vorbereitet worden.

Im Bereich der inneren Sicherheit gebe es ein Umsetzungskonzept für die sogenannte „Kotti-Wache“, eine stationäre Polizeipräsenz am Kottbusser Tor. Sie soll Ende 2022/Anfang 2023 auf der Brücke über der Adalbertstraße eröffnet werden.

Jarasch lobte die Vorlage eines Haushaltsentwurfs durch Finanzsenator Daniel Wesener, ihr Parteikollege investiere und sorge so für künftige Krisen vor. Klimaschutz sei eine Querschnittsaufgabe im Senat, betonte Jarasch. Die Landesregierung übernehme dafür gemeinsam Verantwortung.

„Turbo für Radwege“ in neun Bezirken

„Wir beschleunigen die Mobilitätswende und bringen sie auf die Straße gemeinsam mit den Bezirken“, sagte Jarasch. Neun Bezirke würden den „Turbo für Radwege“ einschalten. In diesen Bezirken sind Grüne für das Thema Verkehr zuständig. „Wir wollen trotz Krisen auch gemeinsam gestalten in der Stadt.“ Berlin müsse unabhängig von fossilen Energieimporten werden.

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Kultursenator Lederer lobte den Einsatz von Parteifreundin und Sozialsenatorin Katja Kipping im Umgang mit den Ukraine-Flüchtlingen. Er erwähnte die umgesetzte Anhebung des Landesmindestlohns auf 13 Euro sowie das Anfang der Woche gemeinsam mit Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD) vorgestellte 330 Millionen Euro umfassende „Neustartprogramm“ für Wirtschaft und Kultur. Neben Corona-Hilfen und Management der Pandemie habe man am Kultursommer gearbeitet. Einen „Party-Sommer“ werde man nicht organisieren, wenn „nebenan“ ein Krieg tobe.

Dass die Frage des Umgangs mit dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ weiter der umstrittenste Punkt der Koalition bleibt, zeigten die Wortmeldungen der drei Bürgermeister:innen zu dem Thema.

Während Giffey die gelungene Einsetzung der Kommission zwar lobte, aber dennoch erklärte, der Schwerpunkt müsse auf der Schaffung bezahlbarer Wohnungen liegen, warb Lederer für eine breite gesellschaftliche Debatte und Seriosität. „Wir haben einen Schuss frei“, sagte er und forderte, Wege zu beschreiben, wie man „das Ganze macht“. Jarasch erklärte, Baubündnis und Expertenkommission gehörten zusammen, wenn das Problem fehlender Wohnungen in der Stadt geklärt werden soll.

Uneinigkeit bei Enteignungen

Trotz der ausgetauschten Freundlichkeiten zwischen SPD, Grünen und Linken aber wird sich insbesondere die Linke von ihrer Basis daran messen lassen müssen, was die Enteignungskommission an Ergebnissen vorbringt.

An diesem Punkt ist die Koalition nicht einig. Lederer sagte, die Vergesellschaftungskommission sei eine „hochkarätige Kommission“ geworden. „Ich würde mich freuen, wenn sich die Initiative in diese Debatte reinbegibt“, sagte Lederer. Man müsse bei der Umsetzung des Grundgesetz-Artikels 15 seriös vorgehen.

In allen Fragen stimme die Koalition zwar nicht überein. Aber man könne trotzdem Wege beschreiben, wie man „das Ganze macht“. Über Enteignung und Volksentscheid werden auch etliche Debatten auf dem Parteitag der Linken am kommenden Sonnabend erwartet.

Kritik von der Opposition

CDU-Landes- und Fraktionschef Kai Wegner warf der Koalition vor, nicht voranzukommen. „In erster Linie steht Ideologie, dann kommt der Streit, dann verständigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.“ Rot-Grün-Rot habe sich bislang nur auf Überschriften geeinigt. „Wir brauchen aber einen Machermodus für Berlin“, sagte Wegner dem Tagesspiegel.

Nach seinem Eindruck laste die Koalition vor allem auf Rathauschefin Franziska Giffey: „Dieses Amt wiegt schwer auf ihren Schultern, offenkundig vor allem dann, wenn es um ihre Partner geht. Man möchte Frau Giffey zurufen: Augen auf bei der Partnerwahl!“

Gleichzeitig versprach Wegner, sich in der Krise als „konstruktive Opposition“ zu zeigen und bot erneut eine Zusammenarbeit für einen Verfassungskonvent an, um Land und Bezirke besser aufzustellen.

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Ähnlich äußerte sich FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja: „Nach 100 Tagen Rot-Grün-Rot kann man festhalten, dass der neue Senat für altbekannte Lieferschwierigkeiten steht.“ Mit der Expertenkommission habe man sich den Koalitionsfrieden erkauft, obwohl aus seiner Sicht klar sei, dass Enteignungen nicht machbar seien. „Trotzdem wird man sich genau darüber nun wohl bis tief ins Jahr 2023 streiten und massive Leistungsverluste für den Wohnungsbau verantworten“, sagte Czaja.

Der Liberale, der gern mit Franziska Giffey eine Berliner Ampel-Koalition gebildet hätte, lobte die Sozialdemokraten für ihren „pragmatischen Ansatz“, Grüne und Linke dagegen hätten nur die Stadtmitte im Blick.

Versöhnlicher fällt die Bilanz der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) aus: „Vieles von dem, was der Senat für diese erste Etappe der Legislaturperiode versprochen hat, wurde zumindest angegangen“, sagte der IHK-Vorsitzende Daniel-Jan Girl. Insbesondere in der Fachkräftegewinnung und in der Bildungspolitik sieht Girl großen Nachholbedarf. Er schränkte aber ein: „Natürlich darf man bei der Beurteilung nicht vergessen, dass Berlin durch den Krieg gegen die Ukraine immense zusätzliche Aufgaben zu bewältigen hat.“

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