zum Hauptinhalt
Wenn die Wahlkabinen leer bleiben: 900.000 Berliner*innen über 60 Jahren waren wahlberechtigt, doch nur jeder zwanzigste Senior beteiligte sich.

© dpa

Seniorenvertretungen: Frust nach der Wahl

Nur fünf Prozent der wahlberechtigen Berliner*innen gaben ihre Stimme ab - noch weniger als 2017. Die ehrenamtlichen Seniorenvertreter fordern Reformen.

Das ist ein enttäuschendes Ergebnis. Bei den jetzt ausgezählten Wahlen zu den bezirklichen Seniorenvertretungen haben sich noch einmal weniger Menschen beteiligt als bei der vorangegangenen Wahl 2017. In Tempelhof-Schöneberg gingen nur 4253 Menschen zur Wahl, das waren gerade einmal 4,1 Prozent der Wahlbeteiligten. Neukölln verzeichnete 4,72 Prozent Wahlbeteiligung, Reinickendorf 4,98 Prozent, Charlottenburg-Wilmersdorf 5,31 Prozent, Pankow 4,84 Prozent. Dabei waren in Berlin rund 900.000 Menschen über 60 Jahren wahlberechtigt.  Enttäuschend ist das Ergebnis vor allem, weil im Vergleich zu 2017 sehr viel ausführlicher und umfangreicher über die bevorstehende Wahl berichtet wurde - allerdings auch wegen zahlreicher Pannen bei der Zustellung der Wahlberechtigungen. Allein in Steglitz-Zehlendorf hat die Wahlbeteiligung zugelegt – aber nur um ein Prozent auf 7,31 Prozent.

[Das ist ein Text aus dem Newsletter Ehrensache: Der Tagesspiegel würdigt mit Deutschlands erstem Ehrenamts-Newsletter all jene Menschen, die aktiv dabei mithelfen, dass Berlin lebenswert ist und liebenswert bleibt – kostenlos und jederzeit kündbar. Melden Sie sich an unter: ehrensache.tagesspiegel.de]

Die ehrenamtlich Engagierten in den Seniorenvertretungen werden die geringe Beteiligung auch als Geringschätzung ihrer Arbeit empfinden. Das ist wahrlich nicht befriedigend, sagt Erwin Bender, der stellvertretende Vorsitzende der Landesseniorenvertretung. Er verweist darauf, dass bei Kommunalwahlen ein weit höherer Aufwand getrieben werde, die Wahlberechtigten zu informieren als bei der Seniorenvertretungswahl. „Da liegen Welten dazwischen.“  Dabei sind ein Viertel der Berliner*innen über 60 Jahre alt und stellten ein Drittel der Wahlberechtigten bei normalen Wahlen zum Landesparlament. Ein krasses Missverhältnis sei es deswegen, dass es im Vorfeld der Wahl in den Bezirken teilweise nicht einmal eine öffentliche Kandidatenvorstellung gab. Die Broschüre mit den Kandidaten wurde auch nicht mit der Wahlbenachrichtigung versendet. Die Broschüre bekam vielmehr nur, der sich vorher zur Briefwahl anmeldete – mit einem auf eigene Kosten zu frankierenden Briefumschlag. Von der Wahl abgehalten habe die Menschen möglicherweise auch, dass es nur wenige Wahllokale gab. Mancher habe den weiten Weg gescheut, mutmaßt Erwin Bender. Die vielen Wahlpannen im Vorfeld hätten Menschen – ob Wähler*innen oder auch die Seniorenvertreter*innen selbst, als einen Beleg für die Geringschätzung des Gremiums begriffen. Um so mehr, weil keine hochrangigen Landespolitiker*in  öffentlich für die Wahl geworben habe.

Erwin Bender, der seit fünf Jahren Vorsitzender der Neuköllner Seniorenvertretung ist, gibt aber auch zu, dass man „an bestimmte soziale Gruppen schwer herankommt“. Er meint damit etwa Menschen mit migrantischem Hintergrund.

Dabei gelte es doch, „den Erfahrungsschatz der älteren Generation“ zu nutzen. Bender wünscht sich deshalb mehr Kompetenzen, um das Gremium aufzuwerten.  Dazu gehöre auch, die Seniorenvertreter*innen zumindest geringfügig finanziell zu unterstützen. „Ehrenamt muss man sich leisten können“, sei ihm stattdessen schon aus der Verwaltung entgegnet worden, erzählt Bender. Weder würden die Kosten für ein Mobiltelefon übernommen werden, noch Fahrkosten oder auch Papier – oder Kopierkosten. „Menschen, die sich ehrenamtlich einbringen, werden so demotiviert.“

Dabei hätten die Seniorenvertreter*innen in den vergangenen fünf Jahren einiges bewegt, sagt Johanna Hambach. Die studierte Verfahrenstechnikerin aus Treptow-Köpenick ist seit 2012 Vorsitzende der Landeseniorenvertretung. Geschafft hätten es die ehrenamtlich arbeitenden Vertreter*innen etwa, dass das Thema Barrierefreiheit durch ihren intensiven Einsatz im Berliner Mobilitätsgesetz verankert wurde. „Die Barrierefreiheit wird uns immer beschäftigen“, sagt Johanna Hambach: „ob für Menschen mit Rollator oder auch für Jüngere mit Kinderwagen“.

Damit weist sie dezent darauf hin, dass die Arbeit der Seniorenvertretungen auch die Lebensqualität von Menschen verbessert, die keine Senior*innen sind. Wahlberechtigt sind alle Berliner*innen, die über 60 Jahre alt sind – auch wenn sich viele in diesem Alter längst noch nicht als alt empfinden. Die bezirklichen Gremien setzen sich für die gesellschaftliche Teilhabe dieser Altersgruppe ein und sorgen beispielsweise für mehr altersgerechte, sportliche oder kulturelle Angebote im Bezirk. Außerdem unterstützen die Seniorenvertreter*innen bei einem selbstbestimmten Leben im Alter und bei wichtigen aktuellen Themen wie Wohnen/ Miete, Klima, Mobilität, ÖPNV, Pflege, Gesundheit, Verbraucherschutz, Selbsthilfe, Ehrenamt, Kultur, Bildung und Begegnung.

Erst kürzlich haben die Seniorenvertreter*innen den Entwurf eines „Landesaltershilfestrukturgesetz“ vorgelegt, dessen Umsetzung auch von der rot-grün-roten Landesregierung im Koalitionsvertrag festgehalten ist. Festgeschrieben werden sollen damit Ansprüche auf Beratungsleistungen als auch bei der Wohnungshilfe. Die Seniorenvertretungen fordern auch, dass die Bezirke mehr Orte für Begegnungsmöglichkeiten schaffen, etwa in den Stadtteilzentren oder Kiezclubs. Ein neues Thema sei der Klimawandel, etwa wegen der gesundheitlichen Probleme älterer Menschen im Zusammenhang mit Hitzewellen.

Besonders setzen sich die Seniorenvertreter*innen für eine digitale Teilhabe ein. Dr. Hambach fordert etwa für die elf Kiezclubs in ihrem Bezirk Treptow-Köpenick ein freies WLAN, um älteren Menschen den digitalen Kontakt mit ihren Enkeln oder eine elektronische Kontoführung zu erleichtern.

„Mit Blick auf die weiter sinkende Wahlbeteiligung können wir nicht zur Tagesordnung übergehen und auf die nächste Wahl hoffen“, sagt Neuköllns Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU): „Berlin muss handeln und die Mitwirkung von Seniorinnen und Senioren auf vollkommen neue Füße stellen.“ Wie Bender hält auch Liecke es für notwendig, das Berliner Seniorenmitwirkungsgesetz zu reformieren und die Seniorenvertretungen sichtbarer zu machen. Konkret schlägt er vor, eine Aufwandsentschädigung und Sitzungsgelder zu zahlen, bezirkliche Geschäftsstellen zur Unterstützung und ein Berlinweit einheitliches Budget für bezirkliche Seniorenvertretungen einzurichten. Außerdem sollten die Seniorenvertretungen ein Antrags- und Rederecht in den Bezirksverordnetenversammlungen erhalten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false