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Projektleiterin Amelie Schwermer, Pia Meier und Mia Linthe (von links) beim packen der Babybags.

© Tsp

Second-Hand Klamotten für bedürftige Eltern: Verein in Mitte organisiert Kleiderspenden für Babys

Ein Verein in Mitte packt gebrauchte Babykleidung in Welcome-Baby-Bags für Schwangere in Notsituationen. Ab November braucht es vor allem Winterkleidung.

Es ist ein Kommen und Gehen in der Großen Hamburger Straße am Hackeschen Markt. Permanent klingelt es an der Tür. Pakete werden gebracht, Spenden abgegeben und abgeholt. „Das ist hier immer so“, erklärt Projektleiterin Amelie Schwermer, die dennoch den Überblick behält. Jeden Dienstagvormittag klingeln auch die Helferinnen, die in den Räumen des Frauenzentrums Evas Arche die „Welcome-Baby-Bags“ packen.

Heute sind es allerdings nur zwei, die neben den beiden fest angestellten Sozialarbeiterinnen Amelie Schwermer und Susanne Bodemann Hand anlegen. Es ist noch Urlaubszeit – dennoch gibt es hier einiges zu tun. Bodys, Höschen, Windeln, Spucktücher und weitere Babykleidung – liegen auf einem großen Tisch im Gemeinschaftsraum bereit, gut sortiert in durchsichtigen Kisten und ordentlich beschriftet.

Praktikantin Mia Linthe und Ehrenamtlerin Pia Meier, beide Anfang 20, nehmen jedes Kleidungsstück einzeln in die Hand, wählen farblich passende Kombinationen aus und packen diese dann ganz liebevoll und ordentlich zusammengelegt in die roten und blauen Sporttaschen. Die gefüllten Taschen, das sind die „Welcome-Baby-Bags“. Die Idee: Frauen oder Familien mit wenig Geld und in prekären Lebenslagen bekommen für die ersten Monate eine Babygrundausstattung geschenkt. Der Inhalt: gespendet. Von Menschen, Initiativen und Unternehmen aus ganz Deutschland.

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Projektleiterin Amelie Schwermer, Nasenring und hochgestecktes Haar, hilft ebenfalls beim Packen und ist an den anderen Tagen mit der Organisation des Ganzen beschäftigt. Wer ein Baby erwartet, benötigt für das Wochenbett und die Zeit danach viele neue Sachen, erklärt sie. Und: „In Berlin gibt es viele Frauen in Notsituationen, die mit der Anschaffung überfordert sind oder denen schlicht das Geld dafür fehlt.“

Empfänger bleiben häufig anonym

Geflüchtete Frauen, obdachlose Frauen, Frauen mit finanziellen Schwierigkeiten oder mit psychischen Erkrankungen. Manche sind Deutsche, andere kommen aus Osteuropa, Afrika, Syrien, Afghanistan. Manche sind alleine, andere haben Mann und Kinder. Anfangs richtete sich das Projekt an schwangere geflüchtete Frauen. Doch mittlerweile werde hier allen geholfen. „Uns ist schnell aufgefallen, dass der Bedarf weitaus größer ist“, sagt Schwermer.

60 bis 70 Baby-Bags geben sie monatlich heraus. Über die Empfänger wissen sie nicht viel – die Annahme erfolgt anonym, seinen richtigen Namen muss niemand nennen, und meistens holen die Männer oder Freundinnen der Frau die Spende für ihre hochschwangere Partnerin ab.

Mützchen und Lätzchen. Viele Nähinitiativen aus Berlin unterstützen das Projekt mit selbst gemachten Kleidungsstücken und Spielzeug.
Mützchen und Lätzchen. Viele Nähinitiativen aus Berlin unterstützen das Projekt mit selbst gemachten Kleidungsstücken und Spielzeug.

© Doris Spiekermann-Klaas / Tsp

Etwa 45 Teile landen in jeder Baby-Bag. „Es gibt die Basis, den Mittelbau und das Topping“, erklärt Schwermers Kollegin, Projektkoordinatorin Susanne Bodemann, heute im blauen Kleid. Sie präsentiert drei verschiedene Listen. Die Basis: Das sind zum Beispiel Windeln in den kleinsten Größen oder Hygieneeinlagen für den Wochenfluss der Mütter. Zum Mittelbau gehört die notwendige Babybekleidung je nach Jahreszeit – die auch jeder bekommt. Das „Topping“ bekommt in der Regel auch jeder, wenn genug vorhanden ist. Das sind zum Beispiel Babyflaschen, Rasseln, Greiflinge und Geschenke für die großen Geschwister.

„Das Baby ist drei Wochen zu früh gekommen“

Während Sozialarbeiterinnen und Helferinnen fleißig die roten Taschen für die Mädchen und die blauen Taschen für die Jungen befüllen, klingelt es erneut an der Tür des Altbaus. Eine Mitarbeiterin des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes des Bezirks möchte eine Baby-Bag abholen. Sie benötigt sie für eine alleinstehende Frau, die gerade entbunden hat. „Das Baby ist drei Wochen zu früh gekommen“, erklärt die Sozialarbeiterin und klingt dabei leicht gehetzt. Die junge Mutter – mit der Situation vollkommen überfordert – habe vor der Geburt keine Zeit gehabt, sich zu kümmern. Keine Babykleidung. Keine Stillkleidung. Nichts.

Das sei ein typischer Fall, erklärt Susanne Bodemann, während sie ins Lager läuft und für die Frau vom Bezirksamt eine vollgepackte Tasche aussucht. „Manche Frauen verdrängen die Schwangerschaft so lange, bis es zu spät ist, und dann stehen sie nach der Geburt da ohne nichts.“ Susanne Bodemann koordiniert die Arbeit mit den Partnern des Projekts. Der Verein kooperiert mit etwa hundert sozialen Einrichtungen, die sich um Frauen in prekären Lagen kümmern. Ein enger Kooperationspartner sind die Babylotsen der Krankenhäuser.

Wichtige Ersthilfe. Abgeholt wird die Kleidung im Laufe der Woche.
Wichtige Ersthilfe. Abgeholt wird die Kleidung im Laufe der Woche.

© Doris Spiekermann-Klaas / Tsp

Die Frau vom Bezirksamt nimmt fröhlich eine blaue Sporttasche entgegen. „Dieses Projekt ist einzigartig“, sagt sie. Zwar gebe es in Berlin auch viele Kleiderkammern für Bedürftige, „doch da muss man sich alles alleine zusammensuchen“. So praktisch gepackt, auf die Bedürfnisse von Müttern wie Neugeborenen zugeschnitten, das gebe es nur hier, bedankt sie sich und geht wieder.

Das Projekt ist eine „Notversorgung“ und „Ersthilfe“, das betonen die Sozialarbeiterinnen des Vereins mehrmals. Wie sich das Leben der jungen Mütter weiterentwickelt, wissen sie hier nicht. Dass sie dringend gebraucht werden, bekommen sie dennoch fast täglich zu spüren.

Gründerinnen arbeiteten anfangs im eigenen Wohnzimmer

Die Idee für die Welcome-Baby-Bags hatten ursprünglich drei Berliner Mütter, die 2015 schwangeren Frauen in Flüchtlingsunterkünften helfen wollten. Mittlerweile sind sie nicht mehr bei dem Projekt dabei. „Ihnen ist damals unter anderem aufgefallen, dass die Frauen in den Heimen noch nicht einmal Stilleinlagen besaßen und sich Plastiktüten in die BHs stopften, um die auslaufende Milch aufzuhalten“, erinnert sich Susanne Bodemann.

Diese Gründungsfrauen, die anfangs im eigenen Wohnzimmer die Taschen packten und dann eigenständig an Notunterkünfte lieferten, konnten dies irgendwann alleine nicht mehr stemmen. Sie wollten aber das, was sie aufgebaut hatten, in sichere Hände übergeben. So stießen sie auf den Verein Evas Arche, der sich auch sonst um die Bedürfnisse von Frauen kümmert. Trotz vorerst unsicherer Finanzierung beschlossen die Sozialarbeiterinnen in einer Krisensitzung, dass sie das Projekt übernehmen möchten.

Mützen, Schals und Schneeanzüge. Ab November wird vor allem Winterkleidung benötigt.
Mützen, Schals und Schneeanzüge. Ab November wird vor allem Winterkleidung benötigt.

© Doris Spiekermann-Klaas / Tsp

Mittlerweile wird es von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung finanziell unterstützt. Unternehmen spenden regelmäßig Retour- oder B-Ware. Wichtige Partner sind der Windelhersteller Lillydoo, Spiele Max oder der Stillproduktehersteller Lansinoh.

Eine private Initiative schickt selbst genähte Babydecken, die sie aus recycelter Kinderbettwäsche herstellt. Andere Frauen nähen Mützen. Und so gibt es sehr viele weitere Helfer und Helferinnen. „Es ist ein Wunderwerk, dass es immer genug Spenden für jede Tasche gibt“, sagt Bodemann. Denn lagern können sie hier kaum etwas. Bodemann führt in eine Kammer und zeigt auf fünf deckenhohe Regale, die für die gebrauchte Kinderkleidung zur Verfügung stehen. Für Kinderwagen oder Babybetten, die immer wieder nachgefragt werden, hätten sie hier leider keinen Platz.

Erfolg auch durch Social Media

Wie für den Artikel bestellt klingelt es erneut an der Tür. Diesmal eine Spenderin. Eine junge Mutter mit Kleinkind, Anfang 30, möchte alte Babysachen loswerden und übergibt eine vollgepackte Ikea-Tüte. Helferinnen Pia und Mia beginnen sofort mit dem Ausräumen. Amelie Schwermer betont bei der Gelegenheit den Gedanken der Nachhaltigkeit, der dem Projekt ebenfalls zugrunde liege. „Wir wollen explizit gebrauchte, aber gut erhaltene Kleidung weiterverwenden und verhindern, dass diese weggeworfen wird“, sagt sie. Den Kreislauf, so lange es geht, erhalten. So wie Schwermer denken auch viele der Eltern, die hier ihre alten Babysachen umsonst abgeben.

[Spenden können während der Öffnungszeiten, Mo–Fr 10–16 Uhr, vorbeigebracht werden. Bei: Ökumenisches Frauenzentrum Evas Arche, Große Hamburger Straße 28 , Mitte, www.welcomebabybags.de.]

Weshalb das Projekt so viele Spender anzieht, hat allerdings auch mit der erfolgreichen Social-Media-Präsenz zu tun, um die sich Amelie Schwermer mit viel Eifer kümmert. Fast täglich postet sie Fotos von glücklichen Vätern, die ihre Welcome-Baby-Bag in den Armen halten. Oder wenn sich irgendein Kleidungsstück dem Ende zuneigt, es zu wenig Strampler, Socken oder Mulltücher gibt, wird sofort ein Aufruf bei Facebook gepostet. „Wir brauchen dringend Bodys in Größe 50“, heißt es dann zum Beispiel.

Ab November werden dann wieder unbedingt Wintersachen, Schneeanzüge und warme Schlafsäcke benötigt. Das wissen die Sozialarbeiterinnen jetzt schon. Wie sehr sich die jungen Mütter und Väter über die Spenden freuen, bekommen sie zum Glück ebenfalls häufig übermittelt. Es ist ein Kommen, Nehmen und Geben in der Großen Hamburger Straße.

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