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Schneller Zugriff. Der Einsatz gegen die Hells Angels in Reinickendorf – ihnen werden Gewalttaten, Waffendelikte und Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen – war der vorläufige Höhepunkt. Die Polizei geht gezielt gegen Rocker vor.

© dapd

Hells Angels und Bandidos: Schwere Geschütze gegen die Rocker

Mehrere Razzien binnen kürzester Zeit machen den Rockern zu schaffen - sie fühlen sich als Opfer der Politik. Derweil soll der Innenausschuss klären, woher die Hells Angels vom bevorstehenden Verbot wussten.

Fast zwei Meter groß, 100 Kilogramm schwer, die blau geäderten Arme tätowiert: Der Mann sieht stabil aus, dennoch wirkt er enttäuscht. „Im Ernst, ich hätte nicht gedacht, dass Politiker so an ihre eigene Propaganda glauben“, sagt der Mann in einer Kneipe in Spandau, in der noch geraucht werden darf. Er hat ein kleines Kind zu Hause, arbeitet als Handwerker und gehört einer Hells-Angels-nahen Truppe an, jenen Rockern, die in Flensburg, Frankfurt am Main, Köln und nun auch in Berlin verboten sind. Offen gibt er Anklagen wegen Körperverletzung und Widerstandes gegen Beamte zu. „Ich kenne aber kein westliches Land, in dem die Antiterroreinheit die Rockerläden stürmt. Und erschießt man Hunde, wenn ein paar Meter weiter Kinder schlafen?“

Nun ist er wütend. Am vergangenen Donnerstag erschossen Männer der GSG 9 bei einer Razzia gegen den Präsidenten des Hennigsdorfer Bandidos-Chapters „Del Este“ einen Hund – so wie kürzlich auf dem Grundstück des Chefs der Hells Angels in Hannover. Die beiden Bosse gehören international konkurrierenden Bruderschaften an. Unabhängig von einander erklärten aber beide, dass die GSG 9 hätte klingeln können, statt ihre Häuser nachts mit Blendgranaten zu stürmen. Normalerweise wird die Eliteeinheit des Bundesinnenministeriums bei Antiterroreinsätzen gerufen, für Rocker sind die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer zuständig – nur die waren ebenfalls im Einsatz.

In diesen Tagen gefragt ist Rudolf „Django“ T. Der Alt-Rocker ist Sprecher der Hell Angels: „Das grenzt an Methoden eines Polizeistaates, die GSG 9 sollte wohl an uns ganz unverblümt üben dürfen“, sagt er. Außerdem, und da stimmen Juristen dem Rocker durchaus zu, sei es in vielen Ländern üblich, Organisationen erst zu verbieten, wenn ein Gericht geurteilt hat. In Berlin hatte Innensenator Frank Henkel (CDU) kürzlich Verbote gegen zwei Sektionen der Hells Angels und gegen eine der Bandidos erlassen. „Ich spreche viel mit Hells Angels in anderen Ländern, die wundern sich, was Polizisten in Deutschland dürfen.“ T., der schon mal im Gefängnis saß, klingt empört.

Die deutsche Rockerszene in Bildern

In Justizkreisen wird zwar eingeräumt, dass Spezialkommandos massive Schäden hinterlassen. „Die Rocker haben sich den Ruf der gefährlichen Outlaws allerdings gern erworben – und nun jammern sie, weil keine Streifenbeamten zur Razzia kommen“, sagt ein Justizbeamter. „Wenn wir eine kriminelle Vereinigung sein sollten, könnten uns die Behörden nach dem entsprechenden Strafgesetzparagrafen 129 anklagen – dann aber müssten sie vor Gericht auch Beweise bringen“, erwidert Hells-Angels-Sprecher Django. Ein hierzulande übliches Verbot nach dem Vereinsrecht ist vergleichsweise schnell durchsetzbar. Erfolgreiche Klagen gegen solche Verfügungen der Landesinnenminister gelten als schwierig. Dennoch klagen Hells Angels und Bandidos gegen Verbote ihrer Sektionen. Noch im Juni entscheidet das Oberverwaltungsgericht Kiel über das Verbot der Hells Angels in Flensburg 2010.

In Berlin prüfen Anwälte, ob es sich überhaupt um einwandfrei vollzogene Verbote handelt. Die Hells Angels Nomads im Osten der Stadt wollte Henkel zwar verbieten, sie hatten sich aber zuvor aufgelöst, und Bandidos aus Weißensee traten vor dem Aushändigen der für sie bestimmten Verbotsverfügung zu den Hells Angels in Potsdam über. Die Reinickendorfer Hells Angels wiederum hatten ihr Vereinsheim schon von den Insignien der Bruderschaft befreit, als die Polizei das Haus in der Residenzstraße stürmte. „Nimmt man es genau, waren die zu diesem Zeitpunkt womöglich kein Verein mehr, Mitgliedslisten gibt es ja sowieso nicht“, sagt ein Jurist.

Woher die Rocker wussten, dass Verbote unmittelbar bevorstehen, wird an diesem Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses diskutiert. Dazu gibt es zwei Thesen: Die Rocker hatten – wie es in der Vergangenheit mehrfach der Fall war – über persönliche Kontakte von den internen Polizeiplänen erfahren. Sei es, weil sie Beamte aus dem Fitnessstudio oder noch von der Schule kannten, sei es, weil sie – wie 2010 in Hessen und Berlin – von Polizisten gegen Geld oder Gefälligkeiten gewarnt wurden.

Unter Rockern gilt etwas anderes als wahrscheinlich, zumal zuletzt mehrere Beamte wegen des Verrates von Dienstgeheimnissen verurteilt worden sind: „Aus Gesprächen weiß ich, dass allen klar war: Bald wird der neue Innensenator zuschlagen“, berichtet der Mann aus Spandau. „Es wurde wegen immer kleinerer Anlässe gerazzt.“ Als dann Polizeigewerkschafter öffentlich den Senator aufforderten, endlich loszulegen, habe man ein Verbot erwartet.

Bei den Bandidos sieht man das ähnlich: Als bei einer Razzia im Vereinsheim in der Streustraße in Weißensee im März auch Elitepolizisten aus Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen dabei waren, habe man geahnt, dass es sich um die Generalprobe für einen bedeutenden Großeinsatz handelt.

Der Grünen-Abgeordnete Benedikt Lux will im Innenausschuss fragen, welche Folgen die Razzien hatten. „Unabhängig davon gibt es vielleicht ein grundsätzliches Problem: Man verfolgt Kutten, wo es doch aber eigentlich um konkrete Straftaten geht.“ Rocker sind oft an ihren Lederwesten und Symbolen der jeweiligen Bruderschaften zu erkennen. Als Gastronomen oder Türsteher bestimmen sie, welche Geschäfte in Clubs und Bars stattfinden, doch nur ein Teil der Kuttenträger dürfte dauerhaft Illegalem nachgehen. Die Berliner Polizei hat knapp 800 Männer im Visier und spricht von Drogen- und Waffenhandel.

Viele Berliner Alt-Rocker haben vorerst genug Ärger gehabt und dürften sich dorthin zurückziehen, wo sie ohnehin meist wohnen: im Brandenburger Umland der Hauptstadt. Und was hat der Mann aus Spandau vor? „In den Urlaub fahren, danach gucken, was ansteht.“

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