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Softair-Waffen - wie hier die Pistole mit Magazin - können täuschen echt aussehen.

© Frank Sorge /Imago

Schultheiss-Quartier in Berlin-Moabit: Jugendlicher rennt mit Softair-Waffe durch Berliner Mall – na und?

Ein Jugendlicher droht anderen im Einkaufszentrum mit einer Pistole in der Hand. Der Sicherheitsdienst reagiert lax. Ein Erfahrungsbericht unserer Autorin.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen rasch in einer Mall etwas fürs Abendbrot einkaufen. Sie stehen an. Plötzlich rennt ein kräftiger Jugendlicher mit gezückter Pistole vorbei, verfolgt einen deutlich kleineren Jungen quer durchs Gebäude. Ein Verkäufer fragt hinter seiner Maske: Hat der eine Waffe? Wird hier gedreht?

Kurz drauf an der Tür nach draußen. Sie wollen die Mall verlassen. Vor ihnen gehen die beiden Jungs. Der Kleine sagt zum Großen, der schon draußen ist, so etwas wie „Lass mich endlich in Ruhe.“ Der Große dreht sich um, plustert sich auf, fuchtelt mit der Pistole herum. Was ist das für ein Ding? Der Kleine taucht zur Seite ins Gebäude ab.

Jetzt stehen sie dem Großen mit seiner Waffe gegenüber.

Also Verteidigung: „Lass‘ endlich den Mist. So was geht gar nicht.“ Verdutzt dreht der Große sich um, geht weiter auf den Hof. Fuchtelt dort weiter mit der Waffe herum. Sie gucken ihn wieder an, sagen etwas wie: „So geht das echt nicht. Mit Waffe und ohne Maske, das geht überhaupt nicht.“ Einer seiner Kumpel grinst sie an und sagt: „Sie kriegen hier gleich Hausverbot.“

Der Große fühlt sich offenbar wieder stark. Nimmt seine Waffe, richtet sie auf sie.

Guckt sie an. Sie gucken ihn an.

Der Junge reißt den Arm hoch, drückt ab

Er reißt abrupt den Arm nach oben und drückt ab, lädt nach. „Schießt“ wieder in die Luft. Lädt nach. Drückt wieder ab. Sie fixieren den jungen Mann mit ihren Augen – und denken: Bist du eigentlich wahnsinnig, den Jungen anzusprechen?

Was hat er für ein Ding in der Hand? Es sieht aus wie eine Pistole. Ist nicht ganz klein. Wenn der Große „schießt“, klickt es jedes Mal hörbar. Ladehemmung? Nix im Lauf? Spielzeug?

Sie denken: Meine Nachbarin hätte längst einen Herzinfarkt. Das alles dauert nur Sekunden.

Die Szene lockt offenbar den Wachmann aus seinem Häuschen.

Er geht auf die Jungs zu. Spricht sie an. Gesprächsfetzen wehen zu ihnen herüber. „Ja, ja … Ich habe die für zwei Euro in der Spielzeugabteilung …. gekauft … .“ Nach ein paar Sätzen steckt der Große die Waffe hinten in seinen Hosenbund unters Shirt. Er und seine Kumpel gehen.

Zurück in die Mall, der Wachmann zurück in sein Häuschen.

Sie sind perplex. Gehen zum Wachhäuschen. Der Sicherheitsmann sitzt bereits wieder an seinem Schreibtisch. „Guten Tag. Darf ich Sie bitte etwas fragen?“ Der Wachmann kommt langsam raus.

Warum darf der Jugendliche mit Pistole wieder in die Mall?

Es geht etwa so weiter:

Sie: „Warum haben Sie dem Jungen die Waffe nicht abgenommen? Und: Warum lassen Sie jemand mit einer Waffe wieder in die Mall? Er bedroht damit andere.“

Wachmann: „Das habe ich doch nicht gesehen.“

Sie: „Sie haben doch seine Waffe gesehen. Und drinnen hat er einen Jungen durch die Mall gejagt. Mit dieser Pistole in der Hand. Ich weiß nicht, was für eine Waffe das ist. Aber Sie können doch nicht einfach jemand mit einer Waffe in die Mall lassen. Mich wollte er auch einschüchtern. Andere Kunden könnten sich zu Tode erschrecken.“

Daraufhin fordert der Wachmann ihre Personalien und Telefonnummer. Sie schreiben sie ihm auf. Er holt sich eine Mund-Nasen-Maske sowie Handschuhe aus dem Schrank.

Nun ruft er bei der Polizei an. Sie hören, wie er sagt, die Polizei möge bitte eine Streife schicken. Jugendliche Person, ein Meter sechzig, 120 Kilo, dunkle Haare, sei mit einer Waffe, Softair, in der Mall.

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Dann schließt er sein Häuschen ab und geht Richtung Mall. Sind Sie in einem Film?

Oder ist das neuerdings ein normaler Spätnachmittag in Berlin-Moabit?

Polizei: eine Waffe immer „eine Gefahrenlage“

Anruf bei der Pressestelle der HGHI Holding GmbH, die das Schultheiss-Quartier betreibt: Wer bitte kann Auskunft geben? Die Sprecherin ist in der Bahn unterwegs. Bittet: „Rufen Sie das Center-Management direkt an. Die Nummer finden Sie auf der Webseite.“ Gesagt, getan. Die Dame am anderen Ende der Leitung weiß bereits von dem Vorfall. Die Polizei war da. Filmarbeiten waren das offenbar jedenfalls nicht.

Auf die Frage, wie die Vorgaben für den Umgang mit Waffen bei ihnen seien, sagt sie, es gebe ein Sicherheitskonzept. Mit Polizei, SEK und Co. Nachfrage: Was heißt das konkret, wenn ein Sicherheitsmann jemand mit einer Waffe (welcher Art auch immer) sieht? Was tut er dann? Darf er so jemand wieder ins Gebäude gehen lassen?

Darauf möchte die Dame nicht antworten. Sie werde das intern klären. Sie oder die Geschäftsführung würden sich melden. Die Bitte an sie Ihrerseits: Da es doch sehr ungewöhnlich sei, eine Rückmeldung noch am selben Tag.

Was sagt die Polizei? Für die Polizei ist eine Waffe „immer eine Gefahrenlage“. Es gebe auch echte Waffen, die aussehen wie Spielzeugwaffen, heißt es dort. Und eine Waffe – egal, ob echt, Softair oder Spielzeug – habe in einer Mall nichts zu suchen. Zudem habe jeder Mensch ein unterschiedliches Sicherheitsempfinden. Viele Leute hätten Amokläufe von Jugendlichen in Filmen gesehen, im Fernsehen, manche Menschen hätten Erfahrungen aus einem Krieg.

Die Polizei sagt, sie berate Sicherheitsdienste zu derartigen Situationen. Wie diese agierten, bleibe aber den Wachleuten und den Unternehmen mit ihrem Hausrecht überlassen. Die Polizei könne keine Vorschriften machen. Doch auch Sicherheitsleute sollten „nicht den Helden spielen“.

Wen eine Softair-Waffe trifft, kann erblinden

Zum aktuellen Vorfall in Moabit: Beamte fuhren zum Schultheiss-Quartier, die Situation sei „bereinigt“, worden. Es würden mehrere Anzeigen (etwa wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und wegen Bedrohung) geprüft. Der Jugendliche ist nach Polizeiangaben 14 Jahre alt, also strafmündig. Polizisten nahmen dem Jungen die Pistole ab, eine Softair-Waffe, wie die Pressestelle dem Tagesspiegel bestätigte. Eine Ordnungswidrigkeit. Auch dieses Modell, so ein Polizeisprecher, sehe einer echten Pistole täuschend ähnlich. Das Fabrikat könne man auf den ersten Blick nicht erkennen. „Die Waffe bekommt er nicht wieder“, hieß es von der Wache. Und: „Von seinem Vater hat er eine Ansage gekriegt.“

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Softair-Waffen können zu nicht unerheblichen Verletzungen führen. Ärzte warnen: Treffen sie das Auge, kann der Betroffene Sehkraft einbüßen oder ganz erblinden. Eltern mussten anderswo bereits Tausende Euro Strafen zahlen.

Die Verantwortlichen im Schultheiss-Quartier haben sich bisher nicht zurückgemeldet. Den ganzen Vormittag war das Telefon besetzt. Als mittags jemand abhob, wurde vom Center-Management nun eine schriftliche Anfrage gefordert. Man solle sich die Mailadresse notieren: „Sonst lege ich einfach nur auf.“ Wann mit einer Antwort der Verantwortlichen zu rechnen sei, blieb offen.

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