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Robert Rauh.

© Mike Wolff

Schule in Berlin: Geschichtsunterricht – ungekürzt!

Historische Unbildung spielt Populisten wie Björn Höcke in die Hände. Das Schulfach Geschichte darf deshalb nicht der Auflösung preisgegeben werden, schreibt unser Gastautor.

Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Auch im Geschichtsunterricht. Immer öfter stellen Schüler historische Fakten infrage und berufen sich dabei pauschal auf das Internet. So sei der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 „kein gültiger Vertrag“, weil ihn der DDR-Außenminister nicht unterschrieben habe, behauptete ein Schüler. Und ein Kollege berichtete, er hätte im Unterricht aus einem Gutachten über den Nachweis von Zyklon B in den abgeschnittenen Haaren der Ermordeten in Auschwitz zitiert, weil Schüler beharrten, die Vergasung sei „eine Erfindung der Alliierten, um die Deutschen kleinzuhalten“.

Jugendliche wissen zu wenig über Geschichte

Diese Tendenz korrespondiert mit einem anderem Phänomen: Jugendliche wissen laut Umfragen immer weniger über Geschichte oder verwechseln Prozesse und Personen. So habe die Aufklärung im Mittelalter begonnen und Hitler die Mauer gebaut.

Jedes Mal sprechen Politiker mahnende Worte. Dabei sind sie mitverantwortlich: Seit Jahren betreiben die Länder eine Entwertung des Faches Geschichte. Es werden Stunden gekürzt, oder das Fach wird mit Politik und Geografie verschmolzen, was zwangsläufig zum Verlust historischer Inhalte führt und fachfremdes Unterrichten fördert. In Berlin wird im Geschichtsunterricht zu einem Drittel auch „Politische Bildung“ vermittelt, weil dafür ein eigenes Fach fehlt. In Berlin-Brandenburg konnte 2015 knapp verhindert werden, dass Geschichte in Klasse 5 bis 8 nur noch in Längsschnitten und nicht mehr chronologisch vermittelt werden sollte.

Höcke reißt historische Ereignisse aus dem Zusammenhang

Die historische Unbildung erleichtert es Populisten wie Björn Höcke, ihre Thesen zu verbreiten. In seiner berühmt-berüchtigten Dresdener Rede reißt Höcke eine Reihe historischer Ereignisse und Bewertungen hemdsärmlig aus dem Zusammenhang. Begründungslos behauptet er, die „rhetorisch wunderbare“ Weizsäcker-Rede von 1985 sei „eine Rede gegen das eigene Volk“. Überhaupt werde in den Schulen, so unterstellt der gelernte Geschichtslehrer, die deutsche Geschichte „mies und lächerlich gemacht“.

Man möchte sich gar nicht ausmalen, wie Geschichte unterrichtet würde, wenn die AfD an die Macht käme. Dass sie das will, spricht Höcke klar aus. Mit Grundwissen über das 20. Jahrhundert ließe sich voraussagen, wie seine Partei als „die letzte friedliche Chance für unser Vaterland“ sich „unser Deutschland Stück für Stück zurückholen“ würde.

Entwertung des Faches darf nicht voranschreiten

Die Auseinandersetzung mit der Historie ist in einer Zeit großer Verunsicherungen wie Globalisierungsängste, Terrorismusgefahr, Flüchtlingskrise, Populismus existenziell für die freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Daher darf das Fach Geschichte nicht der Auflösung preisgegeben werden. Wenn dessen Entwertung weiter voranschreitet, behandeln wir in 20 Jahren eine Epoche mehr: das postfaktische Zeitalter. Das sollte bitte nicht das Ende der Geschichte sein.

Der Autor ist Geschichtslehrer, bildet Lehrer aus und war 2013 Lehrer des Jahres.

Robert Rauh

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