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Im Team ist man besser, lautet eine der Botschaften Hochschilds. Rund 40 Jahre lang hat er Schulerfahrungen gesammelt.

© Kitty Kleist-Heinrich

„Rütli-Retter“ Helmut Hochschild im Interview: „Es fehlen Konsequenzen bei Schlechtleistungen“

Helmut Hochschild ist ehemaliger Neuköllner Schulleiter und Schulrat. Im Ruhestand gibt er in einem Podcast Tipps für bessere Schulen in Berlin.

Schulleiter, Schulrat, Lehrer-Ausbilder – und jetzt Podcaster: Helmuth Hochschild, früherer Leiter der Neuköllner Rütli-Schule, spricht im Interview über Problemschulen, Verbeamtung und Lehrermangel. Alle bisher erschienen Folgen seines Podcasts mit dem Journalisten Leon Stebe sind hier zu hören.

Herr Hochschild, Sie waren Schulleiter, Schulrat, haben Lehrer ausgebildet, kommunizieren seit 40 Jahren innerhalb des Systems Schule. Kaum sind Sie in Pension, wenden Sie sich mit einem Podcast an die Öffentlichkeit. Was treibt Sie um?
Ich habe in all den Jahren wertvolle Erfahrungen gesammelt, meine Kompetenzen ständig erweitert und in den vergangenen Jahren an die Lehramtsanwärterinnen und -anwärter weitergegeben. Wir haben den pädagogischen Alltag zusammen mit denen reflektiert und immer wieder Schlüsse daraus für das professionelle Handeln in den Schulen gezogen. Mit dem befreundeten Journalisten Leon Stebe habe ich mich häufig darüber unterhalten, sodass er meinte, dass wir die Erfahrungen und Schlussfolgerungen unbedingt in einem Podcast veröffentlichen müssen. Dem habe ich mich gefügt. Und die vielen positiven Reaktionen nach den ersten Folgen scheinen den Bedarf für einen solchen Beitrag zur Diskussion über Schulentwicklung zu bestätigen.

Sie kennen Dutzende Berliner Schulen. Zwei von ihnen haben Sie kürzlich im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint als Vorzeigeschulen bezeichnet – die Reinickendorfer Havelmüller-Grundschule und die Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule in Pankow. Weitere gute Schulen sind berlinweit bekannt. Warum übernehmen Berliner Problemschulen nicht solche erfolgreichen Konzepte? Faulheit? Dickfelligkeit? Überforderung?
Keinesfalls Faulheit oder Dickfelligkeit! Die pädagogische Arbeit in den Schulen ist aufgrund der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung immer anspruchsvoller geworden. Daher fehlt vielen die Zeit, zum Beispiel neue lerntheoretische Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen, aber auch die Fantasie dafür, Lernprozesse zielorientiert und funktional zu verändern. So werden in Schulen viele organisatorische Strukturen und Inhalte beibehalten, die den Schülerinnen und Schülern auf der einen Seite und den gesellschaftlichen Anforderungen auf der anderen Seite nicht mehr gerecht werden.

Wie könnte man das ändern?
Durch die nun bereits seit Jahren durchgeführte Schulinspektion ist bekannt, in welchen Berliner Schulen die Lernenden optimal individuell gefördert werden, wo zum Beispiel sowohl sonderpädagogisch zu fördernde als auch hochbegabte Kinder ihre Kompetenzen besonders gut entwickeln können. Über das regionale Fortbildungssystem könnten diese Schulen mit weniger erfolgreichen Schulen verbunden werden und die Kollegien gegenseitig hospitieren.

Archivbild: Im April 2006 wurde Helmut Hochschild an die Rütli-Schule geholt.
Archivbild: Im April 2006 wurde Helmut Hochschild an die Rütli-Schule geholt.

© Thilo Rückeis

Die Schulaufsicht kennt die Problemschulen – nicht nur durch die Schulinspektion, sondern auch durch Beschwerden oder durch hohe Durchfallquoten. Es gibt also kein Erkenntnisdefizit. Warum verbessert sich die Lage nicht?
Wenn die eben erwähnten Fortbildungs- und Unterstützungssysteme etabliert und dafür in den Schulen auch zeitliche Ressourcen geschaffen würden, könnten sich Problemlösungsstrategien am Vorbild anderer Schulen entwickeln. Da Schulentwicklung ein dauerhafter Prozess ist, muss solche Art von Prozessbegleitung geschaffen werden.

Warum ist es so schwer, den Schulen zu helfen? Es gibt doch inzwischen die „Pro-Schul“-Teams, die speziell dafür aus erfahrenen Schulleuten gebildet wurden. Warum haben sie nicht mehr Erfolg?
Weil solche Teams in der Regel erst eingreifen, wenn die Probleme massiv geworden sind, und dann erwartet wird, dass sich innerhalb kurzer Zeit etwas ändert. Aber ohne Veränderung von Rahmenbedingungen für die Schulen, ohne die Möglichkeit eines unterstützenden Personalmanagements kann kein noch so kompetentes Team schnelle Abhilfen schaffen. Das ist nur durch langfristige, verlässliche Prozessbegleitung möglich.

Aber dann liefert man die Schüler doch diesen unguten Verhältnissen aus. Muss man das nicht als eine Art unterlassene Hilfeleistung durch den Staat werten?
Es ist ja nicht so, dass nichts passieren würde. Es gibt ein Beschwerdemanagement in der Berliner Bildungsverwaltung. Gerade wenn Ihr Blatt über Missstände berichtet hat, ist ja reagiert worden, allerdings nicht immer rechtzeitig.

Lehrer und Eltern berichten mitunter von zahllosen Beschwerden und Hilfegesuchen bei der Schulaufsicht, weil sie unfähige Schulleiter haben. Die Schulräte hören sich bestenfalls alles geduldig an, aber es ändert sich nichts. Ist es so schwer, Schulleiter umzusetzen? Hat die Schulaufsicht so wenig Handhabe?
Aus meiner Sicht mangelt es an klaren Konzepten, wie bei sogenannten Schlechtleistungen nicht nur bei Schulleitungen, sondern auch beim gesamten pädagogischen Personal gehandelt werden sollte. Viel zu oft stehen dem Handeln personalrechtliche Bedenken entgegen. So kommt es oft nicht zu den nötigen Konsequenzen.

Welche „Konzepte“ kann es denn gegen geltendes Arbeitsrecht geben?
Es soll nicht gegen geltendes Recht gehandelt werden, sondern die arbeits- und verwaltungsrechtlichen Vorschriften müssen nur konsequent angewendet werden.

Braucht die Senatsverwaltung mehr Personal zum Kontrollieren?
Nein, weitere Kontrollen sind nicht nötig, wenn aus den Ergebnissen der Schulinspektion zielgerichtete Unterstützung folgen würde und die Kollegien in den Schulen ausreichend Zeit und Kapazitäten für schulinterne Evaluation bekämen.

Sie haben im Checkpoint-Newsletter vorgeschlagen, die operative Schulaufsicht abzuschaffen. Stattdessen sollten sich Schulleitungen im Team miteinander vernetzen. Aber dann verlören die Eltern und Lehrer ja den weisungsbefugten Ansprechpartner in der Not. Wie soll das gehen?
Gut organisierte Schulleitungsteams vermeiden schon deshalb Fehler, weil sie sich die Dinge aus verschiedenen Perspektiven ansehen. Zudem gibt es ein Beschwerdemanagement auf der Ebene der Hauptverwaltung trotz der Regionalen Schulaufsichten.

Das Podcast-Duo: Schul-Profi Helmut Hochschild (links) wird befragt vom Radiojournalisten und Moderator Leon Stebe.
Das Podcast-Duo: Schul-Profi Helmut Hochschild (links) wird befragt vom Radiojournalisten und Moderator Leon Stebe.

© Thilo Rückeis

Es gibt in Berlin Sekundarschulen, die kaum noch Fachlehrer in Mathematik oder den Naturwissenschaften haben. Schulleiter sind ebenfalls Mangelware. Die SPD-Fraktion will die Lage mit der Rückkehr zur Verbeamtung retten. Der richtige Weg?
Aus meiner Sicht argumentieren viele Betroffene mit der finanziellen Ungleichheit, dies muss nach eingehender Betrachtung auch anders auszugleichen sein als über die Verbeamtung.

Die SPD-Fraktion nennt die Abwanderung von Lehrern als Hauptargument für die Verbeamtung.
Hierzu wäre es spannend, genaue Zahlen über die Abwanderung von Berlin zu erfahren und mit Zuwanderungswünschen, die mir auch bekannt sind, aufzurechnen.

Aber wir haben einen objektiven Mangel. In Marzahn-Hellersdorf etwa waren zuletzt über 70 Prozent der neuen Lehrer Quereinsteiger. Wie kann man denn dem Mangel entgegenwirken?
Kurzfristig scheint die Bildungsverwaltung alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Mittelfristig muss die Anzahl der Studienplätze für Lehramtsstudien weiter erhöht werden. Und es muss aus meiner Sicht auch geprüft werden, ob wir nicht aufgrund zu hoher Anforderung etwa im Fach Mathematik viele potenzielle Lehrkräfte für die Grundschule verlieren.

2006 haben Sie der Neuköllner Rütli-Schule geholfen, die in einem Brandbrief ihre verzweifelte Lage beschrieben hatte. Wären Sie als Pensionär nochmals bereit, irgendwo die Kohlen aus dem Feuer zu holen?
Es wäre wunderbar, wenn das organisatorische Umfeld der Schulen so gestaltet wäre, dass es gar nicht erst zu Bränden käme. Einen kleinen Beitrag zur Prävention durch eine innovative Schul- und Unterrichtsentwicklung versuche ich zusammen mit Leon Stebe mit dem Podcast zu leisten. Für dramatische Fälle stehen bestimmt genügend jüngere hochkompetente Menschen zur Verfügung.

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