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Sport und Spiel. Viele Schüler lernen mit Bewegung besser.

© Kitty Kleist-Heinrich

Motivation für Schüler und Lehrer: Freies Spiel in der Natur hilft beim Lernen

Wenn Kinder viel in der Natur spielen, lernen sie besser. Das sagt ein Wissenschaftler, und ein Berliner Lehrer bestätigt es.

Die Löwin hat sich im hohen Gras verborgen, nur ihr Kopf ist zu sehen und ihr bedrohlicher Blick. Regungslos beobachtet sie Thomas Seifert, als er über ein Kernproblem von Schülern redet. Seifert sitzt zwei Meter vor der Löwin und sagt: „Wenn ein Kind von seinen Eltern nicht lernt, wie man sinnvoll Freizeit gestaltet, ist es auch in der Schule nicht gut. Wenn da keine Ausgewogenheit herrscht, gerät es in Schieflage.“

Seifert hat Unterarme dick wie junge Baumstämme, er unterrichtet Deutsch, Gesellschaftskunde und Sport in der Julius-Leber-Schule in Tegel, einer Integrierten Sekundarschule, er sitzt jetzt im Trainingsraum der Schule, wo links die Fenster zum Pausenhof liegen und rechts das Plakat mit der Löwin an der Wand hängt. Seifert ist seit 40 Jahren in diesem massigen Bau, früher mal eine heftige Brennpunktschule.

Bewegung ist ganz wichtig

Es geht um das Thema: Wie erreicht man, dass Kinder und Jugendliche in der Schule gut lernen? Mit welchen Methoden erzielt man gute Ergebnisse? Sport ist eine dieser Methoden, besser gesagt: Bewegung. „An jeder Schule sollte es jeden Tag eine sportliche Aktivität geben“, sagt Seifert. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Schüler jeden Tag Bewegung brauchen. Das geht bis zur zehnten Klasse.“

In seinem Sportunterricht kann er die Bewegung steuern, aber es geht ja auch um die Zeit nach der Schule. „Die Kinder sollen Fahrrad fahren oder anderweitig spielen“, sagt Seifert. Er sieht ja die Resultate, wenn Kinder ihren Bewegungsdrang ausüben. Er hat 20 Kinder, die bei ihm sowohl Deutsch als auch Sport haben. „Sportliche Jungs sind schon ganz gut drauf. Sie sind nicht so oft krank, sie haben Selbstbewusstsein entwickelt, sie gehen kreativ an Aufgaben heran.“

Natur ist eine wichtige Erfahrung

Aber Sport ist nur eine Methode, sie ist auch nicht auf jeden übertragbar. Es geht um die Entwicklung von Fantasie, es geht darum, dass Kinder spielerisch die Welt erleben und entdecken. Das ist die Grundformel. Was Thomas Seifert, der Praktiker, jeden Tag in der Schule erlebt, das bestätigt der Wissenschaftler Manfred Spitzer. Der renommierte Gehirnforscher ist Psychiater und Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm. Für Spitzer sind Sport, Theaterspiel und Kunst die wichtigsten Fächer in der Schule. „Freude, Selbstvertrauen, soziale Bindung, das bringt’s. Und das muss draußen, im Freien, stattfinden“, sagte er bei einem Vortrag in Frankfurt. Je mehr Natur ein Kind in seiner Umgebung hat, umso größer ist seine Konzentrationsfähigkeit. Kinder in diesem Umfeld leiden weniger an Aufmerksamkeitsstörungen wie ADHS, ihr Blutdruck ist niedriger als bei Kindern aus einer urbaner geprägten Umgebung. „Viele unterschätzen die positive Wirkung von Naturberührung. Im Freien, nicht digital“, sagt Spitzer. Smartphones? Da schüttelt Spitzer nur den Kopf. „In jedem Alter erzeugt dieses Gerät Störungen.“

Kinder müssen in ihrer Konzentrationsfähigkeit gefördert werden, das ist Spitzers Credo. „Wer als Kind konzentriert sein kann, hat später viele Vorteile.“ Zum Beispiel werde es als Erwachsener seltener krank als andere. Und wer glaubt, sein Kind werde leicht überfordert, wenn es zu viel lerne, dem sagt Spitzer: „Je mehr Sprachen ein Mensch spricht, umso leichter lernt er eine neue.“

Aber alles eine Frage der Dosis. Schüler brauchen geistige Ruhepausen, vor allem aber müssen sie einen strukturierten Alltag lernen. Deshalb fordert der Pädagoge Seifert, dass Kinder möglichst früh Vereinssport betreiben sollen, egal in welcher Sportart. „Im Verein lernen Kinder Regeln, sie lernen auch, mit ihnen umzugehen.“ In dieser Umgebung lernen die Schüler soziales Verhalten. Aber auch jede Sportstunde in der Schule, sagt Seifert, „ist eine Stunde in Sozialkompetenz“.

An der Leber-Schule kann man den Erfolg dieses Konzepts besonders gut erleben. Vor ein paar Jahren führte die Schule zusätzliche Sportstunden ein, um die typischen Probleme eine Brennpunktschule zu verringern. Es funktioniert – nicht schnell, aber kontinuierlich. Die typischen Probleme haben sich zumindest verringert. In der Schule lernen Kinder, die im Fußballverein gut organisiert sind. „Bei uns ziehen die Starken die Schwächeren mit. Es ist nicht so, dass die Schwächeren andere runterziehen“, sagt Seifert.

Auch viel Lesen erhöht die Kreativität

Doch der Gedanke, wer Sport treibe, sei automatisch besser in der Schule und besitze soziale Kompetenz, funktioniert so einfach nicht. Seifert belegt das mit einem Beispiel, das er besonders gut erläutern kann. „Meine Tochter hat sehr viel Sport gemacht, aber in Deutsch war sie trotzdem nicht besonders gut. Da war sie keine Überfliegerin.“

„Es gibt Schüler, die lesen sehr viel und haben eine ähnlich große soziale Kompetenz wie bewegungsstarke Schüler“, sagt Seifert. „Auch unsportliche Schüler können viel Kreativität entwickeln. Es kommt darauf an, was sie in ihrer Freizeit machen.“ Lesen zum Beispiel ist auch eine Methode, mit der Schüler ihre Fantasie und ihre Kreativität entwickeln.

Für viele Schüler ist das ja durchaus eine gute Nachricht. Sie müssen nicht die Topsportler sein, um sich in der Schule gut entwickeln zu können. Es gibt sogar mitunter Probleme, wenn Schüler sportlich besonders gut sind. „Wenn sie zu viel Selbstbewussten aufgebaut haben, kann das zu Konflikten führen“, sagt Seifert. „Wenn sie glauben, dass sie alles können, dann führt das zu einer gewissen Selbstüberschätzung.“ Er selber habe diese Konflikte nicht erlebt, sagt Seifert. „Aber ich kenne Kollegen, die das beobachtet haben.“ An diesem Punkt müsse dann der Lehrer eingreifen.

Aber die größte Verantwortung, das betont Seifert immer wieder, liege bei den Eltern. „Die müssen Vorbild sein.“ Auch dabei, ihrem Kind eine realistische Rückmeldung zu geben. Wer sein Kind über die Maßen lobe, verstärke dieses ungesunde Selbstbewusstsein. „Und wenn ich dann sehe, wie Eltern sich gerade im Fußball benehmen, dann ist das nicht vorbildlich“, sagt Seifert. Sie kritisierten den Trainer, pöbelten am Spielfeldrand, beschimpften Schiedsrichter. Von sozialer Kompetenz keine Spur. So ein Verhalten beeinflusst natürlich auch die Kinder, die das alles beobachten und hören.

Das sind dann jene Schüler, bei denen die Pädagogen wieder mühsam versuchen müssen, soziale Defizite auszugleichen. Das ist generell nur bedingt erfolgreich, aber Seifert hat den Vorteil langer Berufserfahrung. „Das Wichtigste, was man braucht“, sagt der 63-Jährige, „ist Empathie für den Einzelnen. Das spüren auch schwierige Schüler. Wenn man diese Empathie nicht besitzt, kann man einpacken.“ Kurze Pause. Der nächste Satz kommt dann als Seufzer: „Das geht manchmal aber auch an die Substanz.“

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