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Gegen den Mangel: Bildungssenatorin Sandra Scheeres und Bäcker Klaus Wiedemann verteilten am Montag Brötchen und Tüten mit dem Aufdruck: „Kümmer dich um unsere Krümel.“ Mit der Kampagne will Scheeres Lehrkräfte und Erzieher werben und auf den Berlin-Tag am 22. September aufmerksam machen, eine Informationsmesse für angehende Pädagogen. Auch die Bäckerei Wiedemann sucht Fachkräfte.

© Thilo Rückeis

Lehrermangel in Berlin: Jedes Fach ist ein Mangelfach

Neue Zahlen belegen: Quereinsteiger sind jetzt überall zu finden. Über 100 Masterstudenten im Projekt „Unterrichten statt Kellnern“.

Ohne Quereinsteiger geht es nicht – so viel steht fest, nachdem Berlin seit rund zehn Jahren weniger Lehrer ausbildet als gebraucht werden. Aber wie verteilt sich der Mangel über die Fächer? Diese Frage beantwortet jetzt erstmals eine Übersicht über die aktuellen Einstellungen, die die Bildungsverwaltung auf Anfrage des Tagesspiegels erstellt hat. Demnach gibt es in diesem Schuljahr – außer ein paar Fremdsprachen – kein Unterrichtsfach mehr, in dem die Lücken ohne Quereinsteiger gefüllt werden könnten, denn immer mehr Lehrer verlassen Berlin, ohne dass entsprechend Nachwuchs nachkäme.

In Berlin sind fast Fächer vom Lehrermangel betroffen.
In Berlin sind fast Fächer vom Lehrermangel betroffen.

© Tabelle: Tagesspiegel/Böttcher

Die auszugsweise Tabelle der wichtigsten Fächer zeigt, dass selbst die früher stets im Überangebot vorhandenen Disziplinen wie Deutsch und Geschichte auf Quereinsteiger angewiesen sind. Zudem offenbart sie, dass in Physik, Chemie und Informatik sogar mehr Quereinsteiger als Lehramtsabsolventen eingestellt werden mussten.

800 Quereinsteiger und 900 "Lovl"

Wobei das ganze Ausmaß des Mangels noch nicht einmal deutlich wird. Denn in der Tabelle fehlen die Angaben zu den 900 Lehrern ohne volle Lehrbefähigung (LovL), die dieses Jahr zusätzlich zu den 800 Quereinsteigern eingestellt werden mussten. In welchem Umfang sie in den einzelnen Mangelfächern aushelfen, ist überhaupt nicht bekannt, weil man dazu jede einzelne Schule befragen müsste. „Wir haben es mit einer kompletten Blackbox zu tun“, lautet die Einschätzung eines Sekundarschulleiters, der es seit zehn Jahren nicht schafft, seine vakanten Mathematik- und Physiklehrerstellen durch Fachleute zu besetzen: Wenn er den Großteil seines naturwissenschaftlichen Unterrichts jetzt durch neu eingestellte „LovL“ abdeckt, tauchen sie in dieser Tabelle nicht auf, weil sie nicht als Quereinsteiger gelten.

Seit mehreren Jahren reichen nicht einmal die Quereinsteiger, um die freien Stellen zu besetzen.
Seit mehreren Jahren reichen nicht einmal die Quereinsteiger, um die freien Stellen zu besetzen.

© Tagesspiegel/Böttcher

Fachlehrer gehen massenhaft in Pension

Die Vereinigung der Oberstudiendirektoren (VOB) versuchte schon vor sieben Jahren, das Ausmaß des Fachlehrermangels zu beziffern. Damals ergab eine entsprechende Umfrage unter den Gymnasien, dass zwei Drittel der Mangelfachlehrer innerhalb der nächsten zehn Jahre pensioniert würden, erinnert sich der VOB-Vorsitzende Ralf Treptow. Die Vereinigung habe damals von der neu ins Amt gekommenen Bildungssenatorin Sandra Scheers (SPD) gefordert, bei der Vergabe der Studienplätze zu „lenken“, wie es etwa in Schweden üblich sei, um alle Fächer abdecken zu können. Diese Forderung sei ebenso verhallt wie der Ruf nach der Rückkehr zur Verbeamtung, um die Abwanderung zu stoppen.

Auch die Universitäten trugen nicht dazu bei, dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Da sie sich jahrelang gezwungen sahen, den Spagat zwischen Exzellenz und Einsparungen zu vollbringen, wurden teure und für die Exzellenzinitiativen unbedeutende Studienrichtungen wie das Lehramt an Grundschulen oder die Didaktik ausgedünnt. „Wir haben nicht für das Mathematik-Lehramtsstudium geworben, weil wir gar keine Leute gehabt hätten, sie in Didaktik zu unterrichten“, berichtet Brigitte Lutz-Westphal, Mathematik-Didaktikerin an der Freien Universität. Erst neuerdings versuchen die Universitäten zusätzliche Professuren zu besetzen, weil sie vom Senat dazu gezwungen werden, ihre Lehramtsabsolventenzahlen zu erhöhen.

Krach: Man hätte Vorgaben machen sollen

"Man hätte vorgeben müssen, in welchen Fächern ausgebaut werden soll", sagt auch Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach (SPD) im Rückblick: Erst mit den neuen Hochschulverträgen hat der Senat angefangen, Vorgaben zu machen - zumindest im Hinblick auf die gewünschte Zahl von Lehramtsabsolventen.

Zur schulischen „Blackbox“ gehören aber nicht nur die präzisen Zahlen über die tatsächlich fehlenden Fachlehrer in allen Schulen. Vielmehr erstreckt sie sich auch auf die Qualifikation der erwähnten 900 LovL. Zu diesen LovL gehören nicht zuletzt die Lehramtsstudierenden, die im Rahmen des Programms „Unterrichten statt Kellnern“ erstmals reguläre Lehrerverträge bekamen statt wie bisher nur als Vertretungskräfte zu fungieren: Seit August wird ihnen angeboten, neben dem Masterstudium bis zu 14 Stunden – eine halbe Lehrerstelle – zu übernehmen.

In Spandau unterrichten die meisten Studenten

Was das praktisch bedeutet und wie das Angebot tatsächlich aufgenommen wurde, hat jetzt erstmals die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Hildegard Bentele, erfragt. Aus der Antwort von Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) geht hervor, dass schon über 100 Masterstudierende von der Bildungsverwaltung eingestellt wurden. Die meisten von ihnen unterrichten demnach in Bezirken, die – weil sie zur Peripherie gehören oder soziale Brennpunkte sind – nicht genug genuine Lehrer finden können. Daher landen sie vielfach in Spandau (25) gefolgt von Neukölln (15) und Mitte (11). In Steglitz-Zehlendorfer und Charlottenburg-Wilmersdorfer Schulen sind sie noch nicht zu finden. Auf die Schulformen bezogen unterrichten die meisten der Studierenden an Grundschulen (47) und Sekundarschulen (40).

In jedem Fall könnten sie als vollwertige Lehrkraft eingesetzt werden, schreibt Rackles. Dazu gehöre, dass sie eigenständig Noten vergeben. Welche Aufgaben sie konkret erhalten, entscheiden die Schulleiter. Theoretisch können sie auch als Klassenlehrer fungieren. Das Programm schaffe durch die guten Verdienstmöglichkeiten „Fehlanreize“, findet Bentele.

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