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Den Kindern gefällt es. Nach einem Umbau, bei der auf den Schallschutz besonders geachtet wurde, ist es in der Nürtingen-Grundschule in Kreuzberg deutlich leiser.

© Kitty Kleist-Heinrich

Lärm in der Schule: Lauter als eine Kreissäge

Unter Lärm in der Schule leiden Kinder und Lehrer. Es kann zu Lern- und Gesundheitsproblemen führen. Oft fehlt ein ausreichender Schallschutz.

Ein kleiner, versteckter Abschnitt zwischen zwei Glastüren im zweiten Stock zeugt noch von den vergangenen Tagen der Grundschule. Schulleiter Markus Schega dreht sich um und fragt: „Hören Sie das?“ Jeder Schritt hallt durch den kurzen Gang – das ist Schule, wie man sie kennt. Der ganze Rest der Nürtingen-Grundschule in Kreuzberg zeigt, dass es auch anders geht. Ungewohnt leise läuft man hier über die Flure und Treppen. Der Bodenbelag schluckt fast jeden Schritt, die Akustikpaneele an den Wänden absorbieren die Geräusche. Selbst die Aula bietet gute akustische Verhältnisse. „Musiker, die hier spielen, sind total begeistert“, sagt Schega.

Die Sanierung der Nürtingen-Grundschule ist zwei Jahre her. 160 000 Euro aus EU-Mitteln flossen in die Akustik. Auf Fluren und in Klassenzimmern hängen über den Köpfen von Schülern und Lehrern weiße Platten mit feinen Löchern, sie schlucken den Lärm. In deutlich unter einer Sekunde sollte der Schall abgebaut sein, damit der Lehrer sich verständlich machen kann – erst recht, wenn hörgeschädigte Kinder oder Nicht-Muttersprachler unter den Schülern sind. Doch an Berliner Schulen beträgt die sogenannte Nachhallzeit teilweise mehr als drei Sekunden. Das zeigte schon 2008 eine Studie des Berliner Akustikbüros Rahe-Kraft mit Untersuchungen in 32 Berliner Schulen. Nach und nach wird das Lärmproblem jetzt erkannt. Bei Umbaumaßnahmen und Neubauten wird der Lärmschutz berücksichtigt und Schulen richten Ruheräume ein, um Schülern und Lehrern zumindest eine Pause von der akustischen Dauerbelastung zu bieten.

Gerade wenn der Unterricht mehr und mehr Richtung Gruppenarbeit tendiert, wird der Lärmschutz wichtiger. „Wenn viele Kinder zusammen sind, wird durcheinander geschnattert, das ist einfach laut“, sagt Tamara Oetting von der Deutschen Tinnitus-Liga. Wenn dann auch noch die Akustik schlecht sei, führe das oft zu einer viel zu hohen Lärmbelastung. Schon ab einem dauernden Geräuschpegel von 40 Dezibel sind Lern- und Konzentrationsstörungen möglich. „In einer Schulmensa kommt man locker mal auf 140 Dezibel“, sagt Oetting. Das ist mehr Lärm, als eine Kreissäge verursacht. Besonders Lehrer und Erzieher, die unter diesen Bedingungen auch noch auf die Kinder aufpassen müssen, leiden unter der Lärmbelastung. „Die meisten Kollegen, die ich kenne, haben was mit dem Ohr“, sagt auch Wiebke Janzen, Lehrerin an der Nürtingen-Grundschule. Die 38-Jährige ist erst nach der Sanierung an die Schule gekommen. Sie selbst hat seit einigen Jahren „ein Schnarren“ im Ohr, wenn es besonders laut wird.

Ein ausreichender Schallschutz entspreche auch den Forderungen nach altersgerechten Arbeitsbedingungen der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), sagt Vorstandsmitglied Susanne Reiß. Sie möchte deshalb eine Gefährdungsbeurteilung für jede Berliner Schule erreichen. „Und zwar nicht irgendwann am Nachmittag, wenn es leise ist, sondern mitten rein ins Getöse.“ Ihr geht es auch darum, Bewusstsein für das Lärmproblem zu schaffen. Selbst innerhalb des Lehrpersonals gebe es zu wenig Aufklärung. Ist es in einem Klassenzimmer ständig laut, heiße es schnell, der Lehrer habe die Schüler nicht im Griff. „Niemand kommt auf die Idee, dass das am Raum liegen könnte.“ Kein Schallschutz, wenige Möbel und viele glatte Flächen können ein Klassenzimmer so laut machen, dass man flüstern müsste, um einen erträglichen Lärmpegel zu erreichen. Die Versäumnisse der vergangenen 30 Jahre könne man natürlich nicht auf einen Schlag beheben, sagt Reiß. Aber nach und nach müssten auch die technischen Voraussetzungen für guten Lärmschutz geschaffen werden.

Die Nürtingen-Schule bekommt seit ihrem Umbau regelmäßig Besuch aus anderen Schulen, die sich etwas von ihrem Konzept abgucken wollen. „Heute war eine Schulleiterin aus Paris hier“, sagt Markus Schega. Die Zahlen sprechen für sich: Seit dem Umbau gab es 75 Prozent weniger Unfälle an der Schule, die Quote der Gymnasialempfehlungen ist um mehr als 15 Prozent gestiegen – bei gleicher sozialer Zusammensetzung.

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