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Welches Wechselmodell praktiziert wurde, entschieden die Schulen in Eigenregie.

© Frank Rumpenhorst/dpa

Halbe Klassenstärke, halbierter Lehrplan?: So verlief der Wechselunterricht an Berlins Schulen

Ein halbes Jahr lang bekamen Berlins Schüler einen verkürzten Unterricht. An manchen Schulen klappte das besser, an anderen eher schlechter. Eine Bilanz.

Seit knapp einer Woche kommen Berlins Schüler wieder in voller Klassenstärke zusammen. Die Kinder freut das, weil sie alle ihre Schulkameraden wieder sehen, die Klassengemeinschaft wiederbelebt wird und manche Abschlussklassen in Ruhe Lebewohl sagen können.

Doch blickt man auf eine Zeit mit hohen Inzidenzen und vollbelegten Intensivstationen zurück – so hat das Wechselmodell, dass das Verwaltungsgericht am 31. Mai für rechtswidrig erklärt hat, auch viel Gutes gebracht. Immerhin ist ein halber Schultag deutlich besser, als gar keinen Unterricht zu bekommen. Ein halbes Schuljahr wurde das hybride Unterrichtsmodell berlinweit angewandt. Bis auf die Vorgabe, dass der Präsenzunterricht in halber Klassenstärke stattfinden sollte, hatte die Senatsbildungsverwaltung den Schulen für die Umsetzung freie Hand gelassen. Zeit Bilanz zu ziehen, welches Konzept sich am besten bewährt hat und mit welchen Erfahrungen Schulleitungen und Lehrkräfte zurückblicken.

In der Grunewald-Grundschule in Charlottenburg-Wilmersdorf hatte man sich beispielsweise – wie zahlreiche andere Schulen – für das Modell „A- und B-Gruppen/tageweiser Wechsel“ entschieden. Der Entschluss dazu sei nach „ausführlichen Diskussion in Gremien“ gefallen, sagt Schulleiterin Ruth Stephan. „Von Eltern kam die Rückmeldung, dass sie dieses Modell aus organisatorischen Gründen besser geeignet fanden. Sie wollten mehrheitlich lieber einen vollständigen Arbeitstag haben, als das Kind ab 11 Uhr wieder bei sich im Homeoffice sitzen zu haben“.

An den präsenzfreien Tagen habe es für die Kinder, „vertiefende Aufgaben für die eingeführten Lerninhalte“ gegeben. Manche Eltern brachten ihre Kinder in dieser Zeit bei den Großeltern unter, eine kleine Gruppe war ohnehin in der Notbetreuung. Ganz klar habe man sich in der Grunewald-Grundschule gegen das wöchentliche Wechselmodell entschieden, bei dem jedes Kind nur jede zweite Woche in die Schule geht. „Eine ganze Woche zu Hause empfanden wir für Kinder im Grundschulalter als zu lang“, sagt Ruth Stephan. Auch sei es für Eltern schwierig, eine ganze Woche aus dem Job auszusteigen.

In manchen Stadtteilen brauchen die Kinder mehr Struktur

Die Senatsentscheidung, dass jede Schule selbst ein Modell wählen durfte, begrüßten im Prinzip alle Schulleitungen. Es sei auch wichtig, die Wohnlage in die Entscheidung miteinzubeziehen, meint Ruth Stephan. „In manchen Stadtteilen kann es sinnvoll sein, jeden Tag drei Schulstunden anzubieten, damit die Kinder weiter regelmäßig aufstehen und jeden Tag soziale Kontakte haben“. Das sei bei ihrer Grundschule in Wilmersdorf allerdings kein großes Thema.

Welches Modell aus psychologischer Sicht für Kinder oder Jugendliche am besten geeignet ist, lässt sich schwer beurteilen, meint die Psychologin Julia Asbrand von der Humboldt-Universität zu Berlin. „Dafür bräuchte es Studien, die aufgrund des ganzen Hin- und Her nicht möglich waren und sich auch nicht rückblickend durchführen lassen“, sagt Asbrand.

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Je nach Kind könnten die Bedürfnisse sehr unterschiedlich sein. Manche Kinder bräuchten tägliche Kontakte, andere kämen auch eine ganze Woche mit weniger Bezugspersonen aus und profitieren von einem strukturierten Ablauf. Auch die familiäre Situation müsse man berücksichtigen. „Wenn eine Familie zwei Kinder hat und das eine kommt genau dann aus der Schule, wenn das andere weggebracht werden muss, kann das sehr viel Stress in der Familie verursachen, der auch für das Kind nicht gut ist“, sagt sie.

Wenn es hingegen um den reinen Lernerfolg und die schulische Betreuung der Kinder geht, dann hält Schulleiterin Antje Lükemann vom Gymnasium Steglitz das wochenweise Wechselmodell für am besten geeignet – insbesondere für die etwas älteren Kinder. Während andere Schulen sich in der Zeit zwischen Februar und Juni hauptsächlich auf die Kernfächer (Mathe, Deutsch, Englisch) konzentrierten, fand hier der Unterricht nach dem regulären Stundenplan statt.

Nur an ganz wenigen Schulen gab es für die andere Hälfte digitalen Unterricht

Die Schülergruppe, die nicht am Präsenzunterricht teilnahm, arbeitete sich zu Hause durch den Wochenplan oder nahm an digitalen Schulstunden teil. In einigen Klassen streamten Lehrer über ein Tablet den Unterricht zu der anderen Klassenhälfte nach Hause und beantworteten über das Mikrophon Fragen. „Dazu muss man sagen, dass unsere Schule eine sehr gute Internetleitung hat und das Streaming auch nur in kleinen Kursen gut funktioniert“, sagt Lükemann. Säßen zu Hause 16 Schüler und in der Schule nochmal 16 sei es für Lehrer schwierig, alle im Blick zu behalten. Aber für kleinere Gruppen habe das gut funktioniert.

So werde man auch künftig Quarantäneschüler hinzuschalten können oder Kinder, die aus anderen Gründen von zu Hause aus lernen müssen. Das Gymnasium Steglitz ist aber tatsächlich eine von wenigen Schulen, die parallel zum Wechselunterricht in Präsenz auch digitalen Unterricht oder Betreuung für die andere Klassenhälfte zu Hause angeboten hat. Auch bei der Grunewald-Grundschule und anderen Schulen hätten einige Lehrer seit Pandemiebeginn auch für Risikogruppen digitalen Unterricht angeboten.

In der präsenzfreien Zeit sollten die Kinder zu Hause lernen, was nicht immer so vorbildlich wie hier geschah.
In der präsenzfreien Zeit sollten die Kinder zu Hause lernen, was nicht immer so vorbildlich wie hier geschah.

© picture alliance/dpa

Doch in sehr vielen Berliner Schulen blieb es lediglich bei dem halbierten Unterrichtsplan, wie Tagesspiegel-Recherchen ergaben: An den Tagen, an denen sie nicht in der Schule waren, hatten die Schüler keine – digitale – Betreuung durch Lehrkräfte. An vielen Schulen gibt es nicht einmal W-Lan. Mehrere Eltern kritisierten in Mails, dass es keine einheitlichen Vorgaben für Lehrer gab, wie der Fernunterricht in der präsenzfreien Zeit zu Hause gestaltet werden sollte.,

Bei einigen gab es viel zu viele Hausaufgaben, andere Kinder bekamen überhaupt kein Unterrichtsmaterial. Und auch zahlreiche Eltern beschwerten sich, dass in den Notbetreuungen keine Hausaufgaben gemacht wurden, sondern Kinder nur „gelangweilt herumgesessen“ hätten. Ein Grund dafür war auch, dass Erzieher sich in der Notbetreuung häufig überfordert fühlten, weil sie parallel für unterschiedliche Altersstufen Aufgaben zu erklären hatten und viele Kinder auch keine Lust dazu hatten.

Studien zeigen: das regelmäßige Testen macht den Schulbesuch sicherer

Aus epidemiologischer Sicht befürworten es Experten, wenn Kinder durchgängig zur Schule gehen und nicht jede zweite Woche, weil sie dann alle zwei bis drei Tage getestet werden können, was das Infektionsrisiko verringert, wie eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München nahe legt. Die Schnelltests sind somit eine der effektivsten Maßnahmen, um einen pandemiekonformen Unterricht ohne Schulschließungen durchzuführen. Dieses Argument würde auch in gefährlichen Pandemiezeiten für das Wechselmodell sprechen, bei dem die Kinder täglich für drei Unterrichtsstunden, von 8 bis 10.30 Uhr oder von 11 bis 13.30 Uhr, in der Schule waren. Das Modell, in dem die Kinder nur zwei Tage pro Woche in der Schule sind, ist in diesem Zusammenhang dann sinnvoll, wenn sie zwei Mal pro Woche getestet werden.

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Die meisten Grundschulen in Tempelhof-Schöneberg praktizierten das Modell, bei dem die Kinder täglich in der Schule sind. Mehrere Lehrer erzählen, dass man sich dazu entschieden habe, da die Kinder dadurch täglichen Kontakt zu Lehrkräften hatten und somit auch eine geordnete Tagesstruktur. Einige meinen sogar, dass die Kinder in der Hälfte der Zeit in kleineren Gruppen fast genauso viel lernen konnten, wie in der doppelten Zeit in größeren Gruppen. Doch viele Fächer – Sport, Kunst, Musik, Religion – fanden in vielen Schulen während der Pandemie so gut wie gar nicht mehr statt.

Wie in allen anderen Modellen blieb das Problem, dass die meisten Kinder in der übrigen Zeit auf sich selbst gestellt waren. Sowie dass Kinder aus gutsituierten, bildungsbürgerlichen Familien zu Hause viel Unterstützung erhielten, dafür in vielen anderen Familien überdurchschnittlich viele Medien konsumiert wurden, die rein gar nichts mit Wissensvermittlung zu tun hatten.

Die Bildungsverwaltung untersucht, welche Elemente aus der Corona-Zeit übertragen werden können

Nicht nur deshalb ist man im Prinzip überall froh, dass nach den Sommerferien der normale Betrieb weitergehen darf. Sollte es wider Erwarten eine neue Infektionsdynamik oder gar eine ganz neue Pandemie geben, ist es gut, dass auf das erprobte Wechselmodell zurückgegriffen werden kann. Gespräche mit Grund- und Oberstufenschülern haben gezeigt, dass die meisten lieber vor Weihnachten früher in den Hybrid-Unterricht gegangen wären, als monatelang ohne soziale Kontakte zu Hause zu lernen.

Der Senat hat vergangene Woche den auf drei Jahre angelegten Schulversuch „Hybrides Lernen“ gestartet, an dem mehrere Schulen teilnehmen werden. Dabei geht es der Bildungsverwaltung zufolge darum zu untersuchen, welche pädagogischen Elemente und digitalen Lernmöglichkeiten aus der Zeit der Corona-Pandemie im regulären Schulalltag und Unterricht verankert werden sollten.

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