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Rappen im Knast. Die Häftlinge der Jugendstrafanstalt in Plötzensee haben drei Monate lang für ihren großen Auftritt geprobt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Förderprojekt: Schubert hinter Gittern

Gefangene der Jungendstrafanstalt haben Lieder der „Winterreise“ auf ihre Weise interpretiert.

Die Bretter, die einen Tag lang die Welt bedeuten, befinden sich hinter meterhohen grauen Mauern und schweren Schiebetoren. Wer die 14 jungen Männer sehen will, denen sie an diesem Donnerstagvormittag als Bühne dienen, muss am Eingang Personalausweis und Wertgegenstände abgeben und bekommt dafür einen Besucherpass. Nur mit diesem Kärtchen dürfen die 70 geladenen Gäste die Jugendstrafanstalt (JSA) am Friedrich-Olbricht-Damm in Plötzensee betreten. Die meisten der Anwesenden sind Familienangehörige und Freunde.

Zu den Besuchern, die sich kurz vor elf in dem roten Backsteingebäude einfinden, gehören auch Justizsenator Thomas Heilmann und die Musiker Herbert Grönemeyer, Peter Fox und Rapper Marteria. Sie sind gekommen, um sich eine musikalische Aufführung anzugucken, auf die sich jugendliche Straftäter seit drei Monaten vorbereitet haben. Abgearbeitet haben sie sich an Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“. Unter professioneller Anleitung verpassten ihm die Teilnehmer eine zeitgemäße Verjüngungskur. Romantik trifft Realität, Klassik trifft Hip-Hop.

Dass die von den Jugendlichen erarbeiteten Versionen des Stückes „Gute Nacht“ mit dem Original nicht mehr viel zu tun haben, wird bereits nach ein paar Sekunden klar. Der Pianist wird von einem Beatboxer begleitet, kurz darauf treten einzelne Jungs aus der Gruppe hervor und beginnen zu rappen. An Schubert erinnert nur noch der Refrain, darin heißt es: „Die Liebe liebt das Wandern / Gott hat sie so gemacht / Von einem zu dem andern / Fein Liebchen, gute Nacht !“

Schirmherr. Herbert Grönemeyer kam, um sich die Vorführung anzusehen.

© dapd

In ihren Texten erzählen die jungen Männer von Enttäuschungen in der Liebe und Beziehungen, die an den Gefängnismauern zerbrochen sind. Sie rappen über ihren Alltag hinter Gittern und zerbrochene Träume, einer singt: „Hatte so viele Ziele, hab mich auf dem Weg verfahren.“ Grönemeyer, Schirmherr des Projekts, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie vom Europäischen Sozialfonds für Deutschland gefördert wird, sitzt in der ersten Reihe und hört aufmerksam zu. Marteria, ein paar Stühle weiter, nickt begeistert mit dem Kopf. Später wird er im Gespräch die „tolle Präsenz“ der Jugendlichen auf der Bühne loben.

Nach einer knappen halben Stunde ist die Aufführung vorbei. Das Publikum erhebt sich. Applaus und Jubel. Zugabe- Rufe. Die Jugendlichen, allesamt in blaue Latzhosen und gestreifte Hemden gekleidet, verweigern sich der Begeisterung nicht. Für die Dreingabe kommen die Amateurmusiker ganz nah an den Bühnenrand und werden von Projektleiter Jörn Hedtke auf der Gitarre begleitet. Der erzählt später, dass die Teilnehmer zu Beginn des Projekts durchaus ihre Schwierigkeiten mit Schubert gehabt hätten. „Das war am Anfang das klassische Ding: voll schwul.“

Einer derjenigen, die eben noch auf der Bühne gestanden haben, nennt sich Karamell und ist 21 Jahre alt. Seit zwei Jahren sitzt er in der JSA. Warum, will er nicht verraten. Stattdessen spricht er lieber darüber, wie viel Spaß ihm die Arbeit an den Texten gemacht hat. Und dass er nach seiner Freilassung in wenigen Monaten auf jeden Fall weiterhin Musik machen will. Auf Karamells Vorschlag geht auch der Bandname zurück, den sich die Jugendlichen für ihren Auftritt gegeben haben: Artikel 5. Es ist die Passage im Grundgesetz, die die Meinungsfreiheit regelt. „Das ist das Einzige, was einem bleibt, wenn man nicht viel hat“, sagt Karamell. „Die eigene Meinung kann einem keiner nehmen.“

20 Stunden pro Woche haben die Jugendlichen in den zurückliegenden Monaten in das Projekt investiert, das auf drei Jahre angelegt ist. Demnächst sollen andere Insassen einen Kurzfilm und ein Theaterstück erarbeiten, Ende 2014 wird es eine abschließende Bühnenpräsentation geben. Die meisten Jugendlichen, die an diesem Vormittag auf der Bühne gestanden haben, werden dann längst wieder in Freiheit sein. Zumindest, wenn alles gut läuft.

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