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Der Berliner Egon Brandstetter spielt an der Seite von Cate Blanchett eine Rolle in „Tár“.

© Henning Moser

Schneider Egon Brandstetter in „Tár“: Ein Berliner Maßanzug für Hollywood

Herrenmaßschneider Egon Brandstetter aus Berlin spielt eine Rolle im Hollywood-Film „Tár“. Als die Anfrage kam, lehnte er zunächst ab. Wie es doch dazu kam.

Für entspanntes Bummeln mit schöner Aussicht ist die Chausseestraße zwischen Mitte und Wedding auf den ersten Blick ungeeignet: Auf der einen Seite der wehrhafte Komplex des Bundesnachrichtendiensts, auf der anderen Seite anonyme Neubauten, die Luxuswohnungen für Expats versprechen. Dazwischen das Gehupe und Gedrängel der vielen Autos, die sich durch zahlreiche Baustellen in die Innenstadt schieben. Und trotzdem, Berlin wäre nicht Berlin, wenn es nicht auch hier etwas zu entdecken gäbe.

Einer von Deutschlands letzten echten Herrenmaßschneidern zum Beispiel, der in der Hauptstadt einen Hauch von modischer Handwerkstradition verbreitet, wie man sie sonst vielleicht eher von Städten wie London oder Paris erwarten würde. Diesen Tipp muss auch die Kostümbildnerin Bina Daigeler beherzigt haben, als sie die Empfehlung an die Verantwortlichen eines Filmprojekts, für das sie kürzlich eingestellt wurde, weiter gab.

Es dauerte nicht lange und im Maßschneideratelier von Egon Brandstetter tauchte ein sogenannter Location-Scout auf und schien überzeugt: Nur eine Woche später kam er wieder, im Schlepptau einen bekannten Regisseur und seine Entourage.

Erstmal Nein gesagt

Dass es sich hier um Hollywood handelt, wusste Brandstetter bis dahin nicht, erzählt er am Schneidertisch in seiner Werkstatt, die gleichzeitig Laden und Showroom ist. „Todd Field suchte nach einem Drehort für die Anfangsszene seines Films und fragte mich spontan, während ich ihn durch die Werkstatt führte, ob ich die Rolle des Maßschneiders spielen wolle. Ich dachte nur: Was will der von mir? Und habe erstmal Nein gesagt. Woraufhin er mich fragte, ob ich mir sicher sei, immerhin, ich würde mit Cate Blanchett drehen“.

Jetzt läuft der Film, der „Tár“ heißt, seit einigen Wochen in den Kinos, mit über 50 internationalen Filmpreisen ausgezeichnet und oscarnominiert. Cate Blanchett spielt die Hauptrolle – Lydia Tár, eine skrupellose Stardirigentin. Eine der wenigen Frauen in der männerdominierten Musikwelt mit Macht. Für das Plattencover einer Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern, deren Chefin sie ist, möchte Tár ein maßgeschneidertes Hemd tragen, nach Vorbild eines Covers des italienischen Dirigenten Claudio Abbado. Für dieses Hemd ist Egon Brandstetter in der Rolle des Egon Brandstetter verantwortlich.  

So kam es, dass in den ersten Sequenzen des packenden Dramas Brandstetter und seine Arbeit prominent zu sehen sind. Ebenso seine Arbeitsschürze, die er auch beim Treffen mit dem Tagesspiegel trägt. Auf der Schürze prangt in großen Lettern sein Name. Die beste Werbung möchte man meinen. Der eigentliche Plan war aber, dass Brandstetter Anzug trägt, wie die berüchtigten Schneidermeister in der Londoner Luxusstraße Savile Row. Das wurde dann überworfen: Tár spielt in Berlin, nicht in London.

Auch wenn Brandstetter nie an Werbung dachte, dafür sei eh alles viel zu schnell gegangen, nutzt er die Aufmerksamkeit gekonnt und präsentiert sich gerne der interessierten Presse. Dabei geht es ihm weniger um seinen Betrieb, als um seine Zunft und die Modemetropole Berlin. Die ehemalige Modemetropole, wie er betont: „Berlin ist die Hauptstadt eines der wichtigsten Länder in Europa, trotzdem haben wir nur drei echte Herrenmaßschneider und eine Handvoll Damenmaßschneider“. Und auch bezogen auf die Mode allgemein stehe die Stadt nicht besonders gut da: „Wie viele erfolgreiche Designer mit internationalem Renommee sind denn in Berlin präsent?“, fragt er. Seit zehn Jahren halte er hier eine Bastion hoch, er sei, neben der Oper, der einzige Ausbildungsbetrieb für Maßschneiderei. Wenn Brandstetter ausholt, wird er leidenschaftlich.

Dabei scheint es ihn am meisten zu stören, dass sein Handwerk hierzulande nicht die Wertschätzung erfährt, die es verdient. Laut Brandstetter gehe es in Sache Mode in Berlin immer nur um Labels und um Namen, aber: „Ein Modelabel sind drei, vier Leute, die sich in Kreuzberg ein Büro anmieten, die Musterschneiderei ist dann in Polen oder Rumänien und in Asien wird produziert.“ Seit über 30 Jahren arbeite er als Herrenmaßschneider und auch wenn die Berufsbezeichnung nicht geschützt ist, sie setzte eine harte Ausbildung und unglaublich viel Erfahrung voraus.

Um das zu verstehen, muss man in den Stoff greifen, der mindestens dreilagig, mit 10.000 Stichen und in über 80 Arbeitsstunden Handarbeit irgendwann zur beweglichen, atmenden, flexiblen und vor allem langlebigen zweiten Haut des Trägers wird. Ein Luxus, den die Leute nicht zu schätzen wissen. Bezeichnenderweise erscheine sein Atelier immer mal wieder ungefragt in Immobilien-Exposés von Luxuswohnungen. „Die wollen sich dann mit unserem Namen schmücken, aber von den Leuten, die diese Wohnungen mieten oder kaufen, kommt hier dann fast keiner rein“, erzählt Brandstetter.

Trotzdem: Das Interesse an seiner Arbeit gibt es, Egon Brandstetter klagt nicht über fehlende Kunden. Und wer die Erfahrung gemacht hat, sich einen Anzug anfertigen zu lassen, der nicht steif auf dem Körper sitzt, sondern mit jeder Bewegung mitgeht, der jeden körperlichen Makel kennt und auch kaschiert, der kommt wieder.

Und es gibt noch einen Punkt, der ihm wichtig scheint: Schon vor dem Film, aber jetzt verstärkt, interessieren sich Frauen für maßgeschneiderte Anzüge. Zu seinen Kunden gehören auch Ministerinnen und Geschäftsfrauen. Das Spannende dabei sei, dass er immer wieder mit den gleichen Klischees konfrontiert werde. Egal welchem Vorstand sie angehören, immer wieder fordern die Frauen von ihm: „Wenn ich in einen Raum komme, muss ich zehnmal männlicher wirken als die männlichen Kollegen.“ Die Beine müssen gradbeinig sein, die Absätze dürfen nicht zu hoch sein, sie tragen immer Hosen, nie Röcke. Mit seiner Arbeit hilft Brandstetter ihnen dabei.

Und auch wenn Blanchetts Rolle, die der Lydia Tár, ein Bild von ausufernder Machtversessenheit darstellt, Brandstetter scheint sie menschlich zu verstehen: Umstände formen Menschen im Guten wie im Schlechten. Und Egon Brandstetter formt das auf Maß passende, äußere Erscheinungsbild dazu.  

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