zum Hauptinhalt
Ein Rettungswagen der Berliner Feuerwehr.

© Imago/Sabine Gudath

Rekordjahr für die Berliner Feuerwehr: Mehr Einsätze, häufiger zu spät – Firma soll mit 18 Rettungswagen aushelfen

Die Berliner Feuerwehr legt ihre Jahresbilanz für 2022 vor: Sie ist so belastet wie nie zuvor, der Rettungsdienst ächzt. Jetzt kommt eine Teilprivatisierung ins Spiel.

| Update:

2022 war ein Rekordjahr für die Berliner Feuerwehr – nicht im besten Sinn. Die Belastung steigt, es gab mehr Notrufe und mehr Einsätze. Immer seltener kommt die Feuerwehr pünktlich zum Einsatz.

2022 ist die über Jahre aufgebaute Krise bei der Feuerwehr besonders drastisch zum Vorschein gekommen. Fast an jedem Tag wurde der Ausnahmezustand Rettungsdienst ausgerufen, weil Personal und freie Fahrzeuge fehlten. Statt Rettungswagen mussten dann schon mal Lösch-Lkw Patienten in Krankenhäuser bringen.

Der Tagesspiegel hat den Jahresbericht, der am Montag von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Landesbranddirektor Karsten Homrighausen vorgestellt wurde, ausgewertet. Das Ergebnis: Die Feuerwehr muss selbst gerettet werden. Das sind die Zahlen und Lösungsideen im Überblick.

18 neue Rettungswagen über private Firma

Private Anbieter sollen die Lage lindern.
Private Anbieter sollen die Lage lindern.

© imago images/Ralph Peters

Wie Innensenatorin Spranger und Landesbranddirektor Homrighausen am Montag am Rande der Vorstellung des Jahresberichts dem Tagesspiegel sagten, könnte nun ein privater Dienstleister engagiert werden, um die angespannte Lage zu lindern.

Nach den Überlegungen der Innenverwaltung soll ein privater Anbieter zwei Jahre lang 18 Wagen stellen. Diese sollen als „fliegender Rettungsdienst“ ständig in der Stadt unterwegs sein. Die Innenverwaltung werde einen entsprechenden Auftrag ausschreiben, sagte Spranger. Ihre Aufgabe sei es, die Sicherheit in der Stadt zu gewährleisten.

Über künstliche Intelligenz könnten die Rettungswagen nach den ersten Überlegungen so in der Stadt gesteuert werden, wo eine Häufung von Einsätzen am wahrscheinlichsten ist. Beim Koalitionspartner CDU gibt es Bedenken gegen das Vorhaben, weil eine staatliche Kernaufgabe teilweise privatisiert werden würde.

Auch die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) warnte davor, einen privaten Dienstleister für Notfälle einzusetzen. Entlastung brächte es, wenn Not-Krankentransporte von Firmen oder Hilfsorganisationen übernommen werden. Dann könnte sich der Rettungsdienst auf die wirklichen Notfälle konzentrieren. Feuerwehrchef Homrighausen sagte, der Rettungsdienst müsse zu seinen Kernaufgaben zurückkehren.

Patient Rettungsdienst

Rettungswagen der Feuerwehr während einer nächtlichen Einsatzfahrt mit Blaulicht in Spandau.
Rettungswagen der Feuerwehr während einer nächtlichen Einsatzfahrt mit Blaulicht in Spandau.

© imago/Ralph Peters

Alle 62 Sekunden, also fast jede Minute, gab es 2022 einen Einsatz eines Rettungswagens. Insgesamt 509.536 Alarmierungen wurden erfasst, ein Anstieg um 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das ist neuer Rekord: Erstmals wurde die 500.000-Marke geknackt. Daraus resultierten 474.681 Einsätze – zehn Prozent mehr als 2021.

Wie dramatisch die Lage ist, zeigt der 20-Jahres-Vergleich: Von 2002 bis 2022 hat sich die Zahl der Alarmierungen fast verdoppelt. Das habe die Feuerwehr im vergangenen Jahr „an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und stellenweise darüber hinaus gebracht“, heißt es im Jahresbericht.

Die Rettungswagen brauchten in der Notfallrettung durchschnittlich 11,1 Minuten, um am Einsatzort zu sein. Das politisch vorgegebene Ziel für die Notfallrettung lautet: 90 Prozent der Rettungswagen müssen binnen zehn Minuten am Ziel sein. Geschafft wurde das nur bei 44,8 Prozent der Einsätze.

7,5 Prozent
mehr Einsätze hatte die Feuerwehr 2022 insgesamt zu verzeichnen.

Das ist ein deutlicher Rückschritt für die Bundeshauptstadt. Damit schnitt der Rettungsdienst vier Prozent schlechter ab als 2021. Als Gründe führt die Feuerwehr steigende Einsatzzahlen, fehlende Standorte im Stadtgebiet, Mehrbedarf der Einsatzmittel sowie die angespannte Personalsituation an.

Die Feuerwehr hat mehrere weitere Gründe für den Einsatzrekord beim Rettungsdienst ausgemacht: die Alterung der Gesellschaft, Berlin sei eine wachsende Stadt und alternative Versorgungsstrukturen im Gesundheitssystem seien „unterdimensioniert“. Heißt im Klartext: Die wohnortnahe ärztliche Versorgung, die frühe Hilfe durch andere Angebote, fehlt. Vor allem aber: Die Feuerwehr habe beim Rettungsdienst „nach wie vor einen Mangel an Ressourcen und Einsatzmitteln“.

Rekord bei Notruf 112

Notrufannahmeplätze in der Leitstelle der Berliner Feuerwehr.
Notrufannahmeplätze in der Leitstelle der Berliner Feuerwehr.

© imago/Seeliger

Alle 26 Sekunden klingelte es in der Leitstelle der Feuerwehr, weil der Notruf 112 gewählt wurde. 2022 gingen insgesamt 1.222.955 Notrufe in der Leitstelle ein. Das sind knapp zwölf Prozent mehr als 2021.

Rekord bei Einsatzzahl

Insgesamt verzeichnete die Feuerwehr im vergangenen Jahr 528.895 Einsätze. Das sind 7,5 Prozent mehr als 2021. Und auch das ist ein neuer Rekord. Pro Tag musste die Feuerwehr 101 Einsätze mehr als 2021 bewältigen. In den vergangenen zehn Jahren stieg die Zahl der Einsätze um 40 Prozent.

Alle 28 Minuten brennt es

Die Feuerwehr bei einem Brand in einem Haus in Wedding.
Die Feuerwehr bei einem Brand in einem Haus in Wedding.

© picture alliance/dpa/Dominik Totaro

Auch bei Einsätzen, die nicht den Rettungswagen zugerechnet werden, gab es einen Zuwachs. Dabei geht es um die sogenannte technische Gefahrenabwehr. Erfasst werden Brände, technische Hilfeleistung, Erkundung und Fehleinsätze. Hier stieg die Zahl von 46.077 im Jahr 2021 auf 54.214 im vergangenen Jahr. Das ist ein Zuwachs von 18 Prozent.

Im Schnitt wurde die Feuerwehr zu mehr als zwei Bränden pro Stunde gerufen. Alle 28 Minuten rückt die Feuerwehr zu einem Brand aus. Im Vergleich zu 2021 stieg die Zahl der Brände um 2735 auf 9578.

Wachsende Gefahr durch Klimawandel und Wetterextreme

Ein Baum wurde am 19. Februar 2022 durch Sturmtief  Zeynep an der Warschauer Straße umgelegt.
Ein Baum wurde am 19. Februar 2022 durch Sturmtief Zeynep an der Warschauer Straße umgelegt.

© dpa / Annette Riedl

Neue Wetterextreme und der Klimawandel machen sich laut Jahresbericht bemerkbar: Die Zahl der Einsätze zur technischen Hilfeleistung stieg um 20 Prozent auf 21.700. Grund waren vor allem mehrere Orkane, die im Februar 2022 durch die Hauptstadt fegten. Binnen vier Tagen gab es 10.500 Einsätze, davon waren 3.800 wetterbedingt.

Brand im Grunewald

Einsatz beim Brand in Grunewald.
Einsatz beim Brand in Grunewald.

© dpa/Christophe Gateau

Das Feuer auf dem Sprengplatz der Polizei in Grunewald war der größte Einsatz für die Feuerwehr. Er dauerte 27 Tage oder 662 Stunden – vom 4. bis 31. August. 266 Einsatzwagen wurden alarmiert, 716 Kräfte der Feuerwehr waren im Einsatz. 60 Hektar Wald brannten im Grunewald. Die Temperaturen am Boden betrugen zeitweise bis zu 700 Grad Celsius. Wegen der dort gelagerten Bomben und Granaten bestand auf dem Sprengplatz Explosionsgefahr.

Silvesternacht

 Berlin: Feuerwehrmänner löschten an der Sonnenallee einen Reisebus.
Berlin: Feuerwehrmänner löschten an der Sonnenallee einen Reisebus.

© dpa/Paul Zinken

Bei den Angriffen auf die Feuerwehr in der Silvesternacht entstanden Schäden in Höhe von 30.000 Euro an Einsatzfahrzeugen. Es kam zu 69 Angriffen auf Einsatzkräfte, 15 wurden von ihnen wurden verletzt. 395 Fahrzeuge und 1500 Mitarbeiter waren im Einsatz – fast drei Mal so viel wie an durchschnittlichen Tagen. Die Leitstelle war mit 70 Mitarbeitern statt wie sonst 24 besetzt.

Die Antwort der Politik auf die Krise

Besonders im Rettungsdienst versprach der Senat Hilfe, die Politik war wegen des Dauerausnahmezustands im vergangenen Jahr aufgeschreckt. Obendrein attestierte der Rechnungshof Mängel bei der Errechnung des Personalbedarfs. Es wären „66 Rettungswagen und 24 Noteinsatzfahrzeuge mit 1000 zusätzlichen Dienstkräften erforderlich“.

Die Feuerwehr hat deshalb bei Innensenatorin Spranger für den Doppelhaushalt 2024/25 mehr als 700 neue Stellen beantragt. Doch der Haushaltsentwurf, den der Senat am Dienstag beschließt, soll nur ein Plus von knapp 70 Stellen vorsehen.

Feuerwehrchef Homrighausen kritisierte, dass mit diesem geringen Stellenzuwachs die 2022 gestartete Ausbildungsoffensiv für 500 Nachwuchskräfte im Jahr verpuffe – weil für die Mitarbeiter dann schlicht keine Stellen vorhanden seien.

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) versprachen der Feuerwehr Unterstützung.
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) versprachen der Feuerwehr Unterstützung.

© dpa/Hannes P Albert

Ein Versuch im Kampf gegen die Krise war eine Gesetzesänderung vor der Wahl im Februar. Seither muss nicht mehr jeder Rettungswagen mit einem Notfallsanitäter fahren. Zu 25 Prozent der Einsätze, es sind die leichten, kommen seit Frühjahr nur noch zwei Rettungssanitäter – davon einer mit größerer medizinischer Erfahrung. Besser ausgebildete Notfallsanitäter, an denen es mangelt, sollen für schwere Fälle frei werden.

Das führte zu einer leichten Entspannung. Dennoch ist der Ausnahmezustand, 2022 fast täglich ausgerufen, zurück – nur etwas weniger drastisch. Die Gründe: Die Hilfsorganisationen melden ihre Rettungswagen wegen Personalmangel häufiger ab, die Zahl an Notrufen und Einsätzen bleibt hoch – und es kamen neue hinzu: Weil die Kassenärztliche Vereinigung seit Ende Januar keine Krankentransporte mehr vermittelt, muss die Feuerwehr einspringen. Die Zahl aller von der KV zur Feuerwehr übergebenen Fälle stieg um 80 Prozent.

Die Reaktionen

Innensenatorin Spranger sagte, sie stehe fest an der Seite der Feuerwehr. Zu Frage, warum dennoch und trotz des vom Rechnungshof bestätigten Mangels nur knapp 70 neue Stelle vorgesehen sind, sagte Spranger: „Das ist keine Schwäche der Senatorin.“ Sie habe hart verhandelt. Richtig sei auch, dass sie mehr Stellen haben wolle. Im Abgeordnetenhaus werde sie darauf drängen, dass es nicht bei nur 70 Stellen bleibt. Ansonsten habe sie sehr viel im Haushalt erreicht, so werde nach dem Brand in Grundwald nun ein Löschroboter angeschafft. Zudem gebe es die Rettungsdienstpauschale pro Einsatz für Mitarbeiter.

Lars Wieg, Landeschef der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG), sagte, im Ergebnis geben es eine „Pro-Kopf Belastung-von 150 Prozent für jede einzelne Frau und jeden einzelnen Mann im Einsatzdienst“. Und weiter sagte er: „Der bestehende Personalmangel und die als unzuverlässig zu bewertende Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen und der Kassenärztlichen Vereinigung treibt uns weiterhin fast jeden Tag in den Ausnahmezustand Rettungsdienst.“ Lediglich die neuen Vorgaben zur Besetzung der Rettungswagen „haben bislang verhindert, dass 2023 ähnlich katastrophale Verhältnisse herrschen, wie im vergangenen Jahr“. Dass nur 70 neue Stellen vorgesehen seien für die Feuerwehr, sei ein herber Schlag und nicht hinnehmbar. „Welcher Bedarf existiert, zeigt der Rechnungshofbericht und zur Not auch ein Blick aus dem Fenster“, sagte Wieg.

Oliver Mertens vom Landesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sagte zur Lage im Rettungsdienst: „Die ersten kleinen Weichenstellungen sind erfolgt, aber die umfassende Novellierung des Rettungsdienstgesetzes ist nach wie vor bitternötig.“ Mertens wies daraufhin, dass nun die Rettungswagen zu 100 Proeznt besetzt seien, dafür aber Personal von Löschwagen abgezogen werde und „wir uns bei der Brandbekämpfung nicht ständig nackig machen“ So entstünden Risiken, „die uns irgendwann um die Ohren fliegen“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false