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Alleine nicht zu stemmen: Berlin bittet Bundesländer um Hilfe bei der Aufnahme von ukrainischen Kriegsflüchtlingen.

© Fabian Sommer/dpa

Regierende sieht Berlin kurz vor Überforderung: Giffey bittet Länder um Hilfe bei Unterbringung von Menschen aus der Ukraine

Sozialsenatorin Kipping spricht Bundesregierung an und zeigt sich „fassungslos“ über Entscheidungen des Bundesinnenministeriums.

Von Sonja Wurtscheid

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat die anderen Bundesländer zur Mithilfe bei der Unterbringung ukrainischer Kriegsflüchtlinge aufgefordert. Berlin habe in den vergangenen Tagen jeden Abend "über 1000 Übernachtungsplätze" schaffen müssen, sagte die SPD-Politikerin am Freitag im Bundesrat. Dies führe die Stadt "an die Grenze der Belastbarkeit".

"Es bedarf jetzt vor allem einer bundesweiten Koordinierung, Registrierung und auch Organisation dieser Lage", sagte die Berliner Regierungschefin. Kein Bundesland könne eine solche Belastung allein stemmen. In der Nacht auf Freitag sei die Berliner Messe zur Unterbringung der Menschen geöffnet worden. Damit gebe es "erstmals im großen Stil eine Hallensituation" für die Geflüchteten. Das zeige, "dass wir an die Grenzen der Kapazität kommen".

Deutliche Worte richtete auch Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping an die Bundesregierung. Zu Beginn des Krieges habe sie das Gefühl gehabt, die Bundesregierung erst „wachrütteln“ zu müssen, sagte Kipping in der ZDF-Sendung "Maybritt Illner" am Donnerstagabend. Fast täglich hatte Berlin den Bund um Unterstützung bei der Verteilung und Unterbringung der Menschen gebeten.

Doch auch nach mehr als zwei Wochen kämen noch immer Nachrichten, die Kipping "fassungslos" machten: So habe das Bundesinnenministerium entgegen der Bitten Berlins am Donnerstag erneut 17 Busse mit je 60 Menschen aus Polen direkt nach Berlin geleitet - "anstatt die woanders hin weiterzuleiten, wo es auch noch ganz andere Unterbringungsmöglichkeiten gibt", sagte Kipping und betonte: "Ich glaube, da ist der Ernst der Lage noch nicht überall verstanden worden". Sie wisse aus anderen Städten in Deutschland: "Dort warten Gemeinden darauf, den Menschen zu helfen".

Täglich kommen schätzungsweise bis zu 15.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nach Berlin. "Seit Beginn des Krieges ist jeder Tag und jede Nacht für mein Team, für den Krisenstab, aber auch für die vielen Ehrenamtlichen in Berlin, ein Wettlauf", sagte Kipping. Ein Wettlauf zwischen der Zahl der Unterkünfte und der steigenden Zahl der Ankünfte. "Und das Schlimme ist: Wir sind erst am Anfang."

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Lars Klingbeil, Co-Chef der SPD, stellte Hilfe von Seiten des Bundes in Aussicht. "Es geht um eine faire Verteilung, die wir in Deutschland brauchen. Da sind alle 16 Bundesländer in der Pflicht", sagte Klingbeil. "Berlin leistet da gerade wahnsinnig viel. Ich habe da tiefen Respekt vor, aber das muss sich ändern." Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bereite seit Langem ein Zusammenwirken mit den Ländern vor. "Der Bund", sagte Klingbeil, "ist da ganz klar mit in der Verantwortung. Aber es ist eine Situation, die uns alle jetzt fordert".

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Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) sagte, es sei gut, dass zu Fragen der Unterbringung von Flüchtlingen inzwischen eine Abstimmung mit der Bundesregierung laufe. Es sei wichtig, "dass wir das besser hinbekommen". Deshalb müsse über die Versorgung der Flüchtlinge auch bei der Konferenz der Ministerpräsidenten und -präsidentinnen in der kommenden Woche diskutiert werden.

LAF: Sind nur für fünf Prozent der Menschen zuständig

Trotz teilweise bereits laufender Verteilungen auf andere Bundesländer reichen die Unterkunftsplätze in Berlin nicht aus. Das neu eröffnete Ankunftszentrum in der Messe soll Menschen nur kurzfristig als Schlafplatz dienen, bis sie einen Platz in einer regulären Unterkunft haben, sagte Giffey am Freitag beim Besuch von Halle 11.1.

Auch das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) betonte am Freitag den Übergangscharakter der Ankunftszentren. Kriegsflüchtlinge, die sich dort melden, "werden in andere Bundesländer verteilt", schrieb das LAF bei Twitter. "Vorteil: Mehr Chancen auf Wohnraum und schneller Zugang zu Leistung und med. Versorgung, Grund: Berlin ist nur für fünf Prozent der Menschen zuständig." Die fünf Prozent beziehen sich auf den Königsteiner Schlüssel, der angibt, wie viele Geflüchtete jedes Bundesland aufnehmen sollte.

Giffey: "Wir werden schlicht vom Geschehen überholt"

Und trotzdem: Der Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten kann Giffey zufolge bei Weitem nicht gedeckt werden. "Wir werden schlicht vom Geschehen überholt", sagte sie.

Giffey kündigte an, die Stadt werde deshalb weitere Unterkünfte für Flüchtlinge in Betrieb nehmen. Fünf sind bereits fest geplant. Es werde auch überlegt, einen stillgelegten Terminal am Hauptstadtflughafen BER im brandenburgischen Schönefeld als Notfallunterbringungsmöglichkeit zu nutzen. Auch der ehemalige Flughafen Tempelhof werde in Betracht gezogen. (mit AFP, dpa)

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