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Die damals 21-jährige Fabien Martini verstarb noch am Unfallort. Sie wollte auf dem Mittelstreifen der Grunerstraße einparken.

© picture alliance / Maurizio Gamb

Nach Aufschub wegen Corona: Prozess gegen Berliner Polizeibeamten im Fall Fabien Martini beginnt

Anfang 2018 raste ein Polizeiwagen nahe dem Alexanderplatz in das Auto einer jungen Frau. Sie starb. Ein Polizist steht wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht.

Am Dienstag beginnt am Berliner Amtsgericht Tiergarten der Prozess im Fall der getöteten Fabien Martini. Wegen der Corona-Pandemie war der Prozess verschoben worden, er sollte ursprünglich im März beginnen. Die Anklage wirft dem Berliner Polizeibeamten Peter G. fahrlässige Tötung vor.

Er soll am 29. Januar 2018 bei einer Einsatzfahrt mit überhöhter Geschwindigkeit durch „sorgfaltswidriges Verhalten“ nahe dem Alexanderplatz in den Wagen der damals 21-Jährigen gekracht sein. Martini, die gerade einparken wollte, starb noch an der Unfallstelle.

Laut Staatsanwaltschaft soll Peter G. am Steuer hinter einer Tunnelausfahrt das Fahrzeug Martinis zu spät bemerkt und dann getroffen haben. Bei der Kollision sei noch eine Geschwindigkeit von 91 Kilometern pro Stunde festgestellt worden.

Auf einer Internet-Gedenkseite drückten nun viele Menschen ihr Mitgefühl mit den Eltern der jungen Frau aus und wünschten viel Kraft für die Verhandlung am Amtsgericht Tiergarten. Die Eltern sind Nebenkläger in dem Prozess.

Laut Gericht geht es nicht um Gefährdung des Straßenverkehrs durch Alkohol am Steuer, wie zunächst von der Staatsanwaltschaft angeklagt. Dieser Vorwurf musste nach einem Gerichtsbeschluss fallen gelassen werden, weil die beschlagnahmte Patientenakte des Polizisten nicht als Beweismittel verwendet werden darf. Die Beschlagnahme sei rechtswidrig gewesen.

Gericht lässt Alkoholvorwurf gegen Peter G. nicht zu

Der Fall hatte öffentlich hohe Wellen geschlagen. Erst Monate nach Beginn der Ermittlungen wurde bekannt, dass eine im Krankenhaus genommene Blutprobe des Fahrers Alkohol enthalten haben soll. Es kam der Verdacht auf, dies habe vertuscht werden sollen. Die Polizei hatte direkt nach dem Unfall keinen Alkoholtest gemacht. Die Behörden wiesen Vorwürfe zurück, den Fall nicht intensiv genug zu untersuchen.

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Auch der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses fasste sich mit dem tödlichen Unfall, nachdem Parlamentarier mehr Aufklärung und Transparenz gefordert hatten. Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte als eine Konsequenz allen Beamten empfohlen, bei schweren Unfällen freiwillig einen Atemalkoholtest zu machen, „um jedem Verdacht vorzubeugen“.

Fabien Martini verstarb noch am Unfallort.

© Maurizio Gambarini/dpa

Doch das Gericht hatte die Anklage der Staatsanwaltschaft in seinem Eröffnungsbeschluss nur eingeschränkt zugelassen – um den Vorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs durch Alkoholgenuss kann es nach Ansicht des Gerichts nicht mehr gehen, wie ein Sprecher damals bestätigte.

Wie tiefgreifend diese Entscheidung in einem Verfahren voller Wendungen ist, zeigt sich im Rückblick. Das Verfahren stand dann im Sommer 2018 kurz vor dem Abschluss, nachdem ein Unfallexperte sein Gutachten vorgelegt hatte. Demnach habe G., der Vorfahrt hatte, optimal reagiert, es lägen keine Anzeichen für eine Verzögerung durch Alkohol vor.

Patientenakte wurde rechtswidrig beschlagnahmt

Der Anwalt der Familie Martini kritisierte, dass direkt nach dem Unfall kein Alkoholtest gemacht wurde, was aber nur bei konkretem Verdacht möglich ist. Der ermittelnde Staatsanwalt leitete dann am 30. Januar 2019, ein Jahr nach dem Unfall, ein Verfahren gegen das Klinikpersonal ein, um an die Patientenakte zu kommen.

Der Staatsanwalt erwirkte bei einem Amtsrichter einen Durchsuchungsbeschluss und beschlagnahmte die Patientenakte. In einem Laborbericht war ein Blutalkoholwert von 1,0 Promille vermerkt, gemessen in einer zwei Stunden nach dem Unfall entnommenen Probe, die vernichtet wurde. Obwohl die Charité später nicht einmal ausschließen konnte, dass Blutproben vertauscht wurden, warf die Staatsanwaltschaft G. vor, er sei durch Alkohol enthemmt gewesen und deshalb gerast.

Nun hat das Gericht, das den Fall verhandelt, entschieden: Der Nachweis der Verkehrsgefährdung durch Alkohol sei nicht möglich, weil die Patientenakte samt den Angaben zum Blutalkoholwert nicht verwertbar seien.

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Die Beschlagnahme der Akte und die Durchsuchung seien rechtswidrig gewesen. Dabei seien die ärztliche Schweigepflicht, die Grundrechte des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre sowie das Rechtsstaatsprinzip grundlegend verletzt worden.

Übersetzt heißt das: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren gegen Charité-Personal einfach fingiert, um ihre Ziele zu erreichen. Das ist nun auch gerichtfest.

Peter G. besaß illegal zwei Schlagringe

Zwar können auch rechtswidrig gewonnene Erkenntnisse genutzt werden, das muss aber in jedem Einzelfall geprüft werden. Höchstrichterlich ist bereits entschieden: Wenn die Rechtsverstöße derart schwer sind, dass sie ein rechtsstaatliches Verfahren nachhaltig beschädigen, sind Beweise nicht verwertbar.

Dennoch ist damit zu rechnen, dass der Alkoholverdacht vor Gericht eine Rolle spielen wird. Die Eltern von Fabien Martini in der Nebenklage und die Staatsanwaltschaft können Beweisanträge dazu stellen. Doch der einzige Beleg über eine mögliche Alkoholisierung fehlt nun.

Dem Hauptkommissar Peter G. ist die Ausübung der Dienstgeschäfte seit Frühjahr 2019 untersagt. Der 52-Jährige – nach eigenen Angaben seit mehr als 30 Jahren bei der Polizei – war im Juli 2019 wegen illegalen Besitzes von zwei Schlagringen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Sein Anwalt hatte angekündigt, der Polizist wolle sich seiner Verantwortung stellen und bezog dies ausdrücklich auch auf den Unfall. (mit dpa)

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