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Außenansicht des Auguste Viktoria Krankenhaus Vivantes. Berlin Schöneberg, Rubensstraße.

© imago images/Joko

Nach Kündigungen bei Vivantes-Infektiologie: Politik diskutiert Lage der Berliner Kliniken

Fast 40 Fachkräfte haben die Vivantes-Klinik aus Unzufriedenheit verlassen und wechseln zum St.-Joseph-Krankenhaus. Die Politik versucht gegenzusteuern.

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Knappe Kassen, fehlende Fachkräfte und der Verlust des Vorstandes – nicht nur in der Gesundheitsbranche wird heftig über die Vivantes-Kliniken gestritten. Intern wird die Misere des landeseigenen Unternehmens in der SPD genauso diskutiert wie in der Opposition, die über die Kliniken bald im Abgeordnetenhaus sprechen will. Der Vivantes-Aufsichtsrat wird sich nächste Woche mit der Not seiner Häuser befassen.

Wie am Montag bekannt wurde, wechseln fast 40 Fachkräfte der bekannten Vivantes-Infektiologie zum kirchlichen St.-Joseph-Krankenhaus. Viele von ihnen klagten über schlechte Arbeitsbedingungen im traditionsreichen Auguste-Viktoria-Klinikum. Der Angehörige einer dort im Januar behandelten Krebspatientin berichtete dem Tagesspiegel, trotz Klingelns sei stundenlang keine Pflegekraft gekommen – stets habe es geheißen: Man habe leider zu wenig Personal.

Der Wechsel von so vielen medizinischen Fachkräften war auch Thema in der Senatssitzung am Dienstag. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) informierte ihre Amtskollegen. Kalayci ließ danach mitteilen, sie erwarte von den Krankenhäusern eine Verbesserung der Pflegesituation. Auch Vivantes werde durch den Aufbau einer Ausbildungsakademie bald mehr Nachwuchskräfte haben.

Scharfe Kritik aus der Opposition

Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), der übergangsweise Aufsichtsratsvorsitzende der Klinikkette ist, sagte nach der Sitzung: „Es ist schade, wenn ein so großes Team die Klinik verlässt.“ Ob Abwerbungen eine Rolle dabei gespielt haben, beantwortete Kollatz nicht. „Vonseiten des Senats sind wir an solchen Entwicklungen nicht interessiert.“ Das Ziel des Landes sei es, bei Vivantes „mit neuen Leuten ein noch moderneres Angebot zu entwickeln“.

Den Pflegeexperten der FDP-Fraktion, Thomas Seerig, überrascht die „Massenflucht“ der Ärzte und Pfleger nicht. „Der Wechsel von Vivantes zum St. Joseph zeigt, dass Arbeitsbelastungen und Pflegenotstand offensichtlich in den städtischen Kliniken Berlins besonders hoch sind.“ Senatorin Kalayci solle dort „mit ihrer Arbeit endlich mal anfangen“.

„Kannibalismus unter den Kliniken“

Die Station im Friedenauer Vivantes Haus ist für ihre HIV-Expertise bekannt. Die Aids-Hilfe sprach zwar von einer Zäsur bei der Zusammenarbeit und in der Patientenversorgung. Man erwarte aber keine Verschlechterung der Versorgung. Ob die Bedingungen im St.-Joseph-Krankenhaus besser sind, ist unklar. Die Gehälter für Ärzte und Pflegekräfte dürften dort nur wenig höher sein.

Allerdings gilt im Gesundheitswesen schon lange: Atmosphäre und Ausstattung zählen – und zwar gerade in den härter werdenden Abwerbeschlachten um Fachpersonal. Einige sprechen von „Kannibalismus unter den Kliniken“. So sagte der Vivantes-Betriebsratschef Giovanni Ammirabile: „Die Politik lässt zu, dass die Konkurrenz zwischen Krankenhäusern zunimmt.“ Kliniken werben Pflegekräfte mit Kopfprämien ab, Ärzten wird modernere OP-Technik versprochen.

Auch Vivantes zahlt erfahrenen Krankenpflegern bis zu 9000 Euro bei Vertragsabschluss. Dabei sollten doch alle Krankenhäuser so ausgestattet sein, dass die Beschäftigten gern in ihnen arbeiteten, sagte Ammirabile. Immer noch fehle bei Vivantes einiges an Ausstattung, weil der Senat lange zu wenig investiert habe.

Gesetzlich gilt, die Krankenkassen zahlen für Ärzte und Pflegekräfte, der Staat für Technik und Bauten. „Wir brauchen solide Investitionen“, sagte Ammirabile. Tatsächlich waren die Investitionen des Landes in die Kliniken zu letzt gestiegen.

2021: 235 Millionen für Plankrankenhäuser

Der Senat will dieses Jahr 180 Millionen Euro für 50 sogenannte Plankrankenhäuser ausgeben, darunter die Vivantes-Kliniken. 2021 sollen es 235 Millionen Euro sein. Plankrankenhäuser sind Kliniken, die für die Versorgung der Bevölkerung als nötig eingestuft werden. Berlin aber wächst, und die Zahl der Patienten steigt auch wegen des medizinischen Fortschritts stetig. Immer mehr Kranke wollen komplexer versorgt werden.

Letztlich herrscht in den meisten Krankenhäusern immer irgendwo Mangel – Fachkräfte fehlen, Technik müsste modernisiert werden, Bauten sind oft alt. Dass Vivantes aber unter besonderem Druck steht, hat mit Lage und Auftrag der landeseigenen Kliniken zu tun.
Vivantes ist mit 17 000 Beschäftigten der größte staatliche Krankenhauskonzern Deutschlands. Die Vivantes-Häuser versorgten 2018 zirka 583 000 Fälle, nur die Charité hatte mehr Patienten. In den Vivantes-Kliniken landen dabei oft jene Fälle, deren Behandlung mehr kostet, als die Kassen dafür bezahlen, schon weil jeder Berliner ein Vivantes-Haus in der Nähe hat: Verletzte aus Kneipenschlägereien; Kinder, die sich beim Spielen etwas verstaucht haben; Hypochonder, die sich irgendwas attestieren lassen wollen.

Hohe Kosten für Wachpersonal

Privat betriebene Kliniken, deren Rettungsstellen nicht in der ganzen Stadt verteilt sind, können sich besser auf planbare Operationen und Patienten mit Zusatzversicherungen konzentrieren. Aus den Kiezen und Milieus, die Vivantes versorgt, leitet sich ganz unmittelbar eine kostspielige Erschwernis ab: Weil in die Rettungsstellen immer wieder Großfamilien oder Betrunkene randalieren, sind Wachmänner im Einsatz.

Das kostet fast zwei Millionen Euro im Jahr, die Vivantes nicht erstattet bekommt. Zudem können Ärzte, Pflegende, Techniker heute deutlich mehr von ihren Arbeitgebern fordern als noch vor einigen Jahren. Alle Krankenhäuser suchen Personal; Vivantes aber kann wegen der strengen politischen Kontrolle schlechter auf individuelle Wünsche reagieren. In privaten und kirchlichen Kliniken gelten nicht die Tarifbestimmungen des öffentlichen Dienstes, für teure Technik und Neubauten müssen diese Unternehmen keinen Senat fragen. Selbst Senatorin Kalayci entscheidet nicht allein. Sie ist auf die Abgeordneten der rot-rot-grünen Koalition angewiesen.

Bei Vivantes stört der Druck aus der Politik seit jeher einige. Im Dezember hatten die Aufsichtsratsvorsitzende Vera Gäde-Butzlaff und Vivantes-Personalchefin Corinna Jendges aufgehört. Die Vorstandschefin, die Internistin Andrea Grebe, wird im Juni 2020 die Klinikkette verlassen. Der neue Aufsichtsratsvorsitzende Kollatz lässt nun einen Nachfolger für Grebe suchen. Und aus Vivantes-Kreisen heißt es, man habe für die abgeworbenen Kollegen immerhin Nachfolger im Blick. Bald wolle man sie vorstellen.

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