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Wilde Camps werden immer wieder geräumt

© dpa

Plan gegen wilde Zelte: Obdachlose sollen in Berlin auf Campingplatz umziehen

Campingplätze mit sanitären Anlagen statt wilder Camps von Obdachlosen, die früher oder später geräumt. Die Idee sorgt für Wirbel.

Der Müll stapelte sich, die hygienischen Bedingungen waren miserabel, so konnte es nicht weitergehen, das war klar. Also wurde das wilde Zeltcamp von Obdachlosen im Tiergarten geräumt. Eines von vielen Dutzend, die in den vergangenen Jahren aufgelöst wurden. Aber die Obdachlosen ziehen ja nur um, ins nächste Camp, das dann möglicherweise wieder geräumt wird. Ein Kreislauf, der hochgradig unbefriedigend ist, für alle Beteiligten.

Deshalb gibt es jetzt den Plan, Obdachlose in einer Art offiziellem Campingplatz unterzubringen, in dem ganz andere sanitäre Bedingungen herrschen. Die Idee ist in der Senatssozialverwaltung entstanden, sie ist erst einmal in einem Arbeitspapier dokumentiert, das in Kürze ausgiebig diskutiert wird.

Plattform für diese Debatte ist die Arbeitsgruppe "Umgang mit Obdachlosencamps", die am 20. Februar gegründet wurde und in der Experten der Bezirke und der Senatsverwaltung sitzen. Am Ende der Diskussionen sollen Antworten auf die zentralen Fragen stehen: "Wie geht man einheitlich in Berlin mit diesen wilden Camps um, wie verhindert man sie am besten?!"

Auf dem Campingplatz müssten Sozialarbeiter sein

Ein Campingplatz für Obdachlose könnte eine Antwort sein. Ob und wie sie verwirklicht werden kann, ist offen. Aber ein paar Rahmenbedingungen sind schon klar. "Es sollen Brachfläche sein, die nicht in der Nähe von Wohnhäusern liegen", sagt Regina Kneiding, die Pressesprecherin der Sozialverwaltung, "der Platz muss natürlich sanitäre Anlagen haben, das ist entscheidend, und dort sollen Sozialarbeiter sein, die sich um die Menschen kümmern." Deshalb müsse auch ein Träger dazwischen geschaltet werden. So ein Camp soll allerdings nur "vorübergehend eingerichtet werden, es soll auf keinen Fall eine Dauerlösung sein".

Ziel der Idee ist nicht nur, die Menschen hygienisch angemessen unterzubringen, sondern sie in das Regelsystem der vielfältigen Hilfsmöglichkeiten, das Berlin bietet, einzugliedern. Die Obdachlosen sollen in Not- oder in Gemeinschaftsunterkünfte gehen und nicht unter freiem Himmel übernachten. Oder sie sollen andere Unterkünfte beziehen, die von den Sozialämtern per Gesetz bereitgestellt werden müssen.

Denn die Zielgruppe dieser Idee ist eine Klientel, das dieses Hilfssystem bewusst nicht annimmt, aus verschiedenen Gründen. Es gibt Menschen, die haben Angst, dass sie ausgeraubt werden oder sie kommen nicht, weil sie ein Tier haben. Es gibt aber auch Obdachlose, die fürchten, sie könnten in ihre Heimat zurückgeführt werden, wenn sie Angaben zur ihrer Herkunft und den persönlichen Verhältnissen in ihrem Heimatland machen sollen.

Die Idee, sagt Regina Kneiding, "ist an das Projekt Rummelsburger Bucht angelehnt". Dort haben noch rund zwei Dutzend Obdachlose ihr Zuhause eingerichtet. In Absprache mit den Behörden wird dieses wilde Camp erstmal nicht geräumt, und vor Ort versuchen Sozialarbeiter, die Menschen wieder im Regel-Hilfssystem unterzubringen. "In ein paar Fällen ist das auch gelungen", sagt die Pressesprecherin.

Grüne fühlen sich übergangen

Innerhalb der Koalition sorgt die von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) aufgebrachte Idee für Verstimmung. Die Bündnisgrünen beschweren sich über den vorher nicht abgestimmten Vorstoß. "Ich habe mich sehr darüber gewundert und hoffe, dass das jetzt nicht Schule macht", erklärte Fatoş Topaç, Sprecherin für Pflege- und Sozialpolitik ihrer Fraktion, in Richtung Breitenbach. "Campingplätze für Obdachlose sind keine angemessene sozialpolitische Antwort", lautete ihre Reaktion auf den Vorschlag der Senatorin.

Topaç kritisierte, dieser Stelle eine Absenkung des bisher nach dem Allgemeinen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnungen (ASOG) geltenden Standards bei der Unterbringung obdachloser Menschen dar, "der mit uns Grünen nicht zu machen ist". Statt über die Schaffung von Campingplätzen zu reden, sollten die Ergebnisse der Strategiekonferenzen aus dem Jahr 2018 mit "dringender Priorität" vorangetrieben werden, sagte Topaç. Bei den Konferenzen war es darum gegangen, hilfebedürftigen und -willigen obdachlosen Menschen Angebote zu schaffen. Breitenbach dagegen hatte ihren Vorschlag der Campingplätze explizit auf jene bezogen, die partout keine Hilfsangebote in der Form von Übernachtungsstätten annehmen wollen.

Ein Experte findet die Idee "sehr clever"

Robert Veltmann, Pressesprecher des Sozial-Unternehmens Gebewo, findet die Idee mit dem Campingplatz "sehr clever". Im ersten Moment freilich "klingt sie ein bisschen kurios". Auch Veltmann weiß, "dass es keinen Sinn macht, die Leute von einem illegalen Camp zu vertreiben, wenn sie dann ins nächste illegale Camp wechseln". Die Gebewo kennt sich aus beim Thema, sie bietet in verschiedenen Wohnformen rund 1000 feste Schlafplätze für Wohnungslose, zudem rund 1000 ambulante Plätze in Tagesstätten und Arztpraxen.

Aber natürlich, das sagt Veltmann auch, funktioniere das Konzept nur, wenn bestimmte Punkte erfüllt seien. Die Fläche, auf der die Zelte dann stehen, müsste innerstädtisch angebunden sein und S-Bahnanbindung haben, es müssten sanitäre Anlagen vorhanden sein, ebenso wie die Möglichkeit, Essen zuzubereiten. Und natürlich dürfe eine Müllabfuhr nicht fehlen. Ohne flankierende Betreuung durch Sozialarbeiter sei das Ganze auch ziemlich sinnlos. Die müssten Beratung anbieten, sie müssten erklären, wo Hilfe im Regelsystem zu finden sei, aber alles ohne Druck und Zwang.

Die Suche nach passenden Flächen ist nicht einfach, gibt Veltmann zu. Klassische Campingplätze, "touristisch geprägt", schieden aus. "Aber ich kann mir schon vorstellen, dass man in Berlin geeignete Brachflächen findet." Zu groß, zu unübersichtlich, dürfe das Ganze aber nicht werden. Zelte für 30 bis 40 Personen, das ist die Größenordnung, die ihm vorschwebt.

Die Berliner Stadtmission begrüßt den stadtweiten Blick auf obdachlose Menschen in Berlin. Endlich sei es gelungen über die Bezirksgrenzen hinweg neue Ideen und Ansätze zu diskutieren, so Ortrud Wohlwend, der die Öffentlichkeitsarbeit der Stadtmission leitet. "Oft trauen sich obdachlose Menschen selbst nicht mehr zu, an ihrer Situation etwas ändern zu können." Ihre Lebensumstände endeten in einer Sackgasse, aus der sie nicht mehr zu entrinnen glauben. Viele hätten sich damit abgefunden, auf der Straße zu sterben, weil sie jede Hoffnung aufgegeben haben. Wohlwend sagt: "Wer ihnen auf Augenhöhe begegnet und um ihr Vertrauen ringt, kann Hilfen einleiten."

In Seattle funktioniert "Camp City"

Wie das Ganze funktionieren kann, hat er schon auf Fotos gesehen. Die hatte ein Kollege von ihm in Seattle, USA, gemacht. Bei der Gebewo ist auch die Kältehilfe-Koordinierungsstelle angesiedelt, der Mitarbeiter, der in Seattle war, arbeitet dort. In Seattle betrachtete er sich die so genannte "Camp City", die Zeltstadt, die man für die Obdachlosen der Stadt gebaut hat. Und, funktioniert dort das Projekt? Offenbar. "Der Mitarbeiter", sagt Veltmann, "war ganz begeistert."

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