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Berlin: Pieter Schnell (Geb. 1969)

Mit Werbung allein ließ sich die kreative Atemnot nicht lindern

Ungewöhnlich ist das Wort, das vieles beschreibt, was Pieter betrifft.

Pieter Schnell. Das suggeriert Gewitztheit, Selbstbewusstsein – und ein gewisses Tempo im Leben. Dazu passende Haare, aufwärts gegelt, helle Brille und Bartschatten. Einen guten „Brand“ nennen das die Werbetexter. Und Pieter suchte ständig nach solchen Psycho-Kicks für die reizüberflutete Konsumentenherde. Wie ließe sich etwas Banales, Alltägliches, auch ein wenig Schmuddeliges wie die Straßenreinigung reizvoll machen? Sehr schwierig, fanden die Mitbewerber. Pieter erfand zusammen mit seinem Kompagnon eine Imagekampagne für die Berliner Stadtreinigung, die in einem einzigen denglisch-genialen Satz gipfelte: „We kehr for you!“

Das war sein Durchbruch in der Branche. Als langsam klar wurde, dass das leuchtende Orange der „Saturday Night Feger“ den stets nörgelnden Berlinern ein echtes Lächeln abrang, fragten die Medien nach dem Mann hinter diesem Zauber. Die Unternehmer fragten sowieso. Pieter nutzte den Schub und gründete seine eigene Werbefirma.

Das Tempo war nicht immer so hoch gewesen. Als Jugendlicher in Ost-Berlin träumte Pieter noch nicht von dem Leben, das er sich später im Westen aufbauen würde. In der Schule wollten sie vor allem, dass er Russisch lernt, ohne ihm den Sinn des zähen Vokabelpaukens wirklich erklären zu können. Weil es ein paar West-Tanten gab, die Bauteile für seinen Synthesizer durch den eisernen Vorhang schmuggelten, und neue Jeans, die sehr anders aussahen, als die, die es im Osten gab, bekam er eine Vorstellung vom Dasein im Kapitalismus.

Da wollte Pieter schließlich auch hin. Im September 1989 ging er an einem Montagvormittag zum Wehrkreiskommando, wo ihm sein Einsatzort bei den Grenztruppen genannt wurde – und noch am selben Tag trat er die Flucht an. Alles wohldurchdacht und streng konspirativ vorbereitet. Über Ungarn kam er unbehelligt nach Österreich und in den Westen. In Lüneburg fand er ein Zimmer und Arbeit in einem Jeansladen.

Im Sozialismus hatte er bei „HO Jugendmoden“ in der Karl-Marx-Allee gelernt und gearbeitet. Eine gute Lehre fürs Verkaufen und das ökonomische Denken, sagte Pieter später, als er längst Werbeunternehmer war.

War er wirklich Unternehmer?

Pieter wusste, wie man Karriere macht. Er wurde Filialleiter in Berlin, machte sich mit Videospielen selbstständig, paukte 3-D-Graphik und schickte zielgenaue Quereinstiegsbewerbungen in die Werbewelt aufgrund „kreativer Atemnot“. Pieters Ideen und sein Wille, sie in die Welt zu setzen, machten ihn sehr schnell zum Partner einer Werbefirma.

Sein eigenes Unternehmen führte er wie eine Familie. Er war der Chef, kehrte aber nie den Geschäftsführer heraus. Pieter wollte sich in seiner Mitarbeiterfamilie wohlfühlen.

Als sie größer wurde, fühlte er sich langsam unwohl, also ließ er sie wieder kleiner werden. Eher verzichtete er auf einen Auftrag, als eine Kampagne zu planen, die er für die zweitbeste Lösung hielt.

Mit Werbung allein ließ sich die kreative Atemnot nicht lindern. Musik wollte er machen, um unabhängig zu sein von Ideen und Vorgaben anderer. Es fing an mit Klingeltönen, die Pieter auf seinem Handy komponierte, während er am Flughafen auf sein Flugzeug wartete, zuletzt verpflichtete er eine Band, die seine musikalischen Schöpfungen in einem professionellen Studio einspielte. Ihr werdet euch noch wundern, sagte er, in der Werbung habe ich genauso angefangen.

Und es sah aus, als sollte er recht behalten. Die Auftritte seiner Band waren jedes Mal ein Erfolg. Ein Goldjunge, der Pieter, einer, dem scheinbar alles gelingen wollte, was er sich erträumte.

Als sein Glück zerbrach, schien er gerade auf einen Lebenshöhepunkt zuzusteuern. Er hatte eine neue Wohnung eingerichtet, eine Etage in einem Hinterhaus, das auch als Schlossflügel eine gute Figur machen würde. Er hatte sich in diese Wohnung verliebt. Sie sollte sein neues Familienrefugium werden. Das zweite Kind wuchs im Bauch seiner Lebensgefährtin heran.

Um 3 Uhr 25 an einem Morgen im Oktober zerbrach Pieters Welt mit einem Schlag. Er stieg aus einem Taxi, wollte die Leipziger Straße überqueren und wurde von einem Auto erfasst. Thomas Loy

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