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Ausgeraucht: Philip Morris schließt seine Neuköllner Zigarettenfabrik.

© Oliver Berg/dpa

Tabakfabrik in Neukölln: Philip Morris entlässt 950 Mitarbeiter

Zum Jahresende macht das Philip-Morris-Werk in Neukölln zu. Der Bezirk will Mitarbeitern bei der Jobsuche helfen. Die Branchengewerkschaft ist skeptisch.

Der Bezirk Neukölln hat den Mitarbeitern des Philip-Morris-Werkes Unterstützung zugesichert, um die sozialen Folgen der drohenden Fabrikschließung bestmöglich abzufedern. „Das Bezirksamt wird alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den Beschäftigten einen individuell angemessenen Übergang in andere Arbeitsverhältnisse zu ermöglichen“, schreibt Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) in der Antwort auf die Anfrage der Linkspartei in der Bezirksverordnetenversammlung.

Derzeit erarbeite die Arbeitsagentur eine Übersicht der Beschäftigtenstruktur bei Philip Morris, um eine geeignete Grundlage für die künftige Unterstützung zu erhalten – etwa Informationen über spezifische Fachkenntnisse und den Wohnort der Beschäftigten.

Das Bezirksamt Neukölln unterstützt Philip Morris in der Abwicklung

Konkret unterstützen könne das Bezirksamt die Beschäftigten etwa bei der Profilbildung und einer eventuell notwendigen Qualifizierung. Nach einer von Philip Morris selbst organisierten Jobmesse könnte zudem eine weitere Arbeitgebermesse stattfinden.

Außerdem habe er die Agentur für Arbeit gebeten, Vorbereitungen zu treffen, um die unmittelbar von Arbeitslosigkeit betroffenen Mitarbeiter zu vermitteln. Gekündigte Mitarbeiter könnten beispielsweise eine Zukunft im öffentlichen Dienst finden: Hier gebe es einen hohen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften, schreibt Hikel.

950 bis 1050 Mitarbeiter sollen ihre Arbeit verlieren

Aufbauen will das Bezirksamt dabei auf die Erfahrungen bei der Insolvenz von Air Berlin – nach der Pleite hätten zahlreiche ehemalige Beschäftigte eine neue Stelle im öffentlichen Dienst angetreten. Auch in Handwerksbetrieben würden derzeit fachkundige Mitarbeiter händeringend gesucht.

Hikel betonte zudem, dass der Standort des Werkes für die lokale Wirtschaft äußerst attraktiv sei und es bereits zahlreiche Anfragen von potenziell interessierten Unternehmen gebe. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fordert ihrerseits den Konzern dazu auf, die Schließungsankündigung zurückzunehmen.

Zigarettenherstellung im Philip-Morris-Werk in Berlin Neukölln.

© Doris Spiekermann-Klaas

„Die wesentliche Schließung des Werks hat aus unserer Sicht keine wirtschaftlichen Notwendigkeiten, sondern ist von dem Tatbestand geprägt, in anderen Werken außerhalb von Deutschland gegebenenfalls noch höhere Gewinne für die Aktionäre einzufahren“, sagte Sebastian Riesner, NGG-Geschäftsführer in der Region Berlin-Brandenburg, dem Tagesspiegel.

Er warf dem Konzern zugleich Fehler in der Kommunikationsarbeit vor. „Die Mitteilung an die Beschäftigten zur Schließung des Werkes erfolgte innerhalb weniger Minuten im Rahmen einer Belegschaftsversammlung. Viele der Dienstleistungsunternehmen, die für Philip Morris tätig sind, hatten lediglich durch eine Pressemitteilung davon Kenntnis erhalten“, sagte er.

Selbst vor Fehlinformationen schrecke der Konzern nicht zurück: „Derzeit versucht die Werksleitung die Beschäftigten bei Philip Morris mit schriftlichen Aushängen zu beruhigen. Dabei werden, jedenfalls nach unseren Erkenntnissen, auch nicht alle wirtschaftlichen Erkenntnisse und Planungen korrekt dargestellt.“ Nach Informationen der Gewerkschaft versuche der Betriebsrat des Werks derzeit, von der Geschäftsleitung noch eine Begründung der wirtschaftlichen Notwendigkeit der Werksschließung zu bekommen.

"Die Eigentümer des Werks haben eine moralische Verantwortung"

NGG-Chef Riesner befürchtet, dass die Chancen der Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt derzeit schlecht stehen: „Inwieweit gleichwertige Arbeitsplätze in anderen Unternehmen angeboten werden können, ist schwer einzuschätzen. Aufgrund der durch Tarifverträge gut ausgestatteten Arbeitsverhältnisse wird dies sicherlich nicht einfach werden.“

Riesner sieht das Unternehmen deshalb in der Pflicht: „Die Eigentümer des Werks in Berlin haben nicht nur eine finanzielle Verpflichtung, sondern auch eine moralische Verantwortung. Der Industriestandort Berlin muss erhalten bleiben. Die Interessen der Beschäftigten müssen gleichwertig zu den Interessen der Aktionäre gesehen werden. Mensch geht vor Marge!“

„Faire und sozialverträgliche Lösungen“

Der international aufgestellte Tabakkonzern Philip Morris International (PMI) hatte Ende Mai angekündigt, die Zigarettenproduktion in seinem Berliner Werk zum kommenden Jahreswechsel einzustellen. Etwa 950 von 1050 Mitarbeiter sollen ihre Jobs verlieren. „Die Veränderung des Konsumentenverhaltens erfordert eine deutliche Reduzierung der Produktionskapazitäten“, hieß es damals. Der Konzern führt derzeit Gespräche mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und Sozialplan.

Für die Mitarbeiter strebe man „faire und sozialverträgliche Lösungen“ an, hieß es. Rund 75 Arbeitsplätze verblieben am 1972 eröffneten Standort Berlin, um weiterhin den europaweiten Bedarf an Volumentabak (einem Vorprodukt der gestopften Zigarette) zu produzieren. Etwa 25 Arbeitsplätze sollten nach Dresden oder ins bayerische Gräfelfing verlegt werden.

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