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Peter Raacke wird am Donnerstag 90.

© Thilo Rückeis

Peter Raacke im Technikmuseum Berlin: Der einfachste Löffel der Welt

Der Designer Peter Raacke hat moderne Klassiker wie das Besteck „mono“ geschaffen. Zu seinem 90. Geburtstag zeigt das Technikmuseum eine Werkschau.

Peter Raacke sieht nicht mehr so gut. Er hat sich tief über einen Schaukasten gebeugt, seine Nasenspitze berührt fast das Glas. Darunter, das erkennt er jetzt, liegt ein schlichtes vierteiliges Besteck: Messer, Gabel, großer und kleiner Löffel. „Mein mono“, sagt er und klingt dabei, als sei er selbst immer noch überrascht, sein Besteck in einem Museum ausgestellt zu sehen.

Dabei ist die geradlinige Besteckserie „mono“ so berühmt, dass sie nicht nur einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat, sondern bereits im MoMa, dem Museum of Modern Art in New York, gezeigt und auf eine Briefmarke gedruckt wurde. Fast 60 Jahre ist es her, dass die mono-Bestecke erstmals vom Band liefen, und noch heute decken damit unzählige Familien den Abendbrottisch. Immerhin war mono das meistverkaufte deutsche Designbesteck der Nachkriegszeit.

Das Besteck "mono-ring" findet sich noch heute in vielen deutschen Haushalten.
Das Besteck "mono-ring" findet sich noch heute in vielen deutschen Haushalten.

© Thilo Rückeis

Am Donnerstag wird sein Schöpfer Peter Raacke 90 Jahre alt. Im Technikmuseum werden deshalb noch bis zum 15. Oktober seine wichtigsten Arbeiten ausgestellt. Geboren wurde Peter Raacke im hessischen Hanau. In seinem Leben zog er fast 20 Mal um. Nun lebt er aber schon seit fast 20 Jahren mit seiner Frau Susanne in einem Reihenhaus in Zehlendorf. Im Alter wollte Raacke zurück nach Berlin, wo er schon zu Zeiten der Wende gelebt hatte.

Eher unkonventionell

Raackes Entwürfe schrieben Designgeschichte und provozierten die deutsche Alltagskultur: neben dem Besteck, das plötzlich ohne Schnörkel und Verzierungen auskam, brachte er in den 60er Jahren die weltweit erste Möbelserie aus Wellpappe heraus, die man nach einigen Jahren wieder wegwerfen sollte. Er entwickelte einen Plastikkoffer, zusammengesetzt aus zwei identischen Kunststoffschalen, der als „Revoluzzer-Koffer“ in Erinnerung bleiben sollte.

Mit Zuschreibungen wie Provokateur und Pionier kann der 89-Jährige trotzdem wenig anfangen. Seine weichen Hände umfassen einen Gehstock. Peter Raacke trägt Karomuster und Streifen bunt durcheinander gemixt und hat dazu farbige Nike-Schuhe kombiniert. Selbst das kleine Blindenabzeichen wirkt an ihm wie ein modisches Accessoire. „Ich bin eben so“, sagt er achselzuckend. Schließlich habe er auch privat unkonventionell gelebt, erzählt er in Anspielung auf seine fünf Ehefrauen.

Raacke ist Vater von sieben Kindern. Einer, Dominic, wurde als Berliner Tatort-Kommissar und Großstadtcowboy Ritter berühmt, ein anderer, Gordian, war Mitglied des Umweltteams von Al Gore. „Als Vater ist man ein Vorbild“, sagt Peter Raacke. Und weil Kinder immer nachmachen würden, was ihnen die Väter vormachten, formten seine Kinder am Küchentisch eben aus Knetmasse Besteck.

Sohn Gordian beschrieb das Familienleben einmal so: „Meine langhaarigen Freunde beneideten mich oft wegen meiner antiautoritären Eltern. Ich dagegen wünschte mir oft traditionell rollengemäße Eltern.“ Der Vater schmunzelt über das Zitat seines Sohnes, der mittlerweile selbst kurz vor dem Ruhestand steht. „Ich glaube, ich bin Gordian so auf den Wecker gefallen, dass er nach Amerika ging.“ Vater und Sohn verstehen sich aber gut, auch bei seinem 90. Geburtstag wird Gordian dabei sein.

Mit seinem eigenen Vater, von Beruf Bezirksschornsteinfeger in Hanau, hat Peter Raacke ganz andere Erfahrungen gemacht. Er sei sehr streng gewesen, aber förderte offenbar auch die richtigen Talente. Weil Peter in der Schule schlecht war, sprach sein Vater mit dem Direktor der Zeichenakademie in Hanau, ob man ihn nicht dort irgendwie unterbringen könne.

Vom Unikat zur Serienproduktion

So ging Peter Raacke schon als elfjähriger Junge nach der Schule in die Zeichenakademie und zeigte so gute Leistungen, dass er dort bald eine Lehre zum Emailleur begann. Später lernte er an der Kölner Werkschule die Gold- und Silberschmiedekunst. Würde man die Meisterschale des Deutschen Fußballbundes der Kunst-Professorin Elisabeth Treskow aufbrechen, sähe man darin neben den Namen anderer Studenten auch Peters Namen eingeritzt.

Aus dem Wunsch heraus, seine Entwürfe in großer Serie zu produzieren, wurde er schließlich vom Kunsthandwerker zum Designer. „Das Berufsbild Industriedesigner habe ich mit geprägt“, erzählt er. Als Gründungsmitglied des Verbandes Deutscher Industriedesigner (VDID) im Jahr 1959 und Dozent in Saarbrücken, Kassel und Ulm und als Professor in Hamburg beeinflusste er viele junge Designer. Sein Design ist klar und rational, mit einem Fokus auf Funktionalität, oft war er damit seiner Zeit voraus.

Das funktionierte nicht immer sofort. Mit mono habe er anfangs nur 29,30 Mark im Quartal verdient. Aber fast sechzig Jahre später könne er mit den Verkäufen immer noch seine Familie ernähren. „Die Leute mussten sich eben erst einmal an Löffel mit geradem Stiel und Gabeln ohne Schwingungen gewöhnen“, sagt er und zeichnet mit den Fingern die gerade Linie seines Bestecks in die Luft.

Er habe einfach darauf vertraut, dass die Menschen seine Designs irgendwann verstehen würden. Ein Blick auf die Webseiten von WMF oder Ikea zeigen, wie wegweisend sein Design bis heute ist. „Noch weiter vereinfachen kann man Besteck nicht mehr. Deshalb wurde es oft kopiert“, erklärt er. Klar, ein paar Flops seien auch dabei gewesen. Aber da er nie über Misserfolge gesprochen habe, seien die inzwischen wieder vergessen.

Wie er auf die Ideen für Designklassiker wie Besteck, Koffer und Pappmöbel kam, möchte er nicht beantworten. Er habe einfach immer gemacht, sagt er. Jetzt müsse er aber nichts mehr machen, nur noch feiern. Zu seinem Geburtstag haben sich bereits 75 Gäste aus aller Welt angemeldet.

„Das muss man sich mal vorstellen, die kommen alle, um mit mir zu feiern. Das ist doch phantastisch“, sagt er und strahlt vor Vorfreude auf seine Geburtstagsparty. Ganz mit dem Arbeiten aufhören wird er aber wohl auch mit 90 Jahren nicht. Viel zu gerne klopft er in seinem Haus in Zehlendorf Schüsseln aus Gold. „Wenn man etwas gefunden hat, das einen fasziniert, will man nie wieder damit aufhören“, sagt er.

Die Werkschau zum 90. Geburtstag „Peter Raacke – Handwerk und Design“ ist noch bis zum 15. Oktober in der Schmuckausstellung im Deutschen Technikmuseum in der Trebbiner Straße 9 in Kreuzberg zu sehen.

Miriam Dahlinger

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