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Die Berliner Sozialverwaltung will eine 35-prozentige Quote von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst durchsetzen.

© imago images / JeanMW

Öffentlicher Dienst: Warum Rot-Rot-Grün in Berlin über die Migrantenquote streitet

Der Vorstoß der linken Sozialsenatorin über eine Migrantenquote im öffentlichen Dienst sorgt für Debatten. Die Grünen stehen dahinter, die SPD hat Bedenken.

Es knirscht mal wieder im Berliner Senat. Diesmal ist ein Vorstoß der Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) Grund für teils heftige Debatten. Breitenbachs Haus möchte, wie berichtet, eine 35-prozentige Quote von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst durchsetzen. Auch die Grünen stehen hinter dieser Idee.

Die Justizverwaltung gab schon vergangene Woche weitgehend grünes Licht für die Regelung: „Wir halten eine solche Zielvorgabe für sehr sinnvoll. Es geht lediglich darum, ob bei gleicher Qualifikation der Mensch mit Migrationshintergrund eingestellt wird“, sagt Sebastian Brux, Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Man habe keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

„Wir sind verwundert über den Vorwurf, dass die Koalition ,schon wieder‘ eine nicht-verfassungskonforme Regelung produzieren würde. Bislang wurde kein einziges Gesetz dieser Koalition für verfassungswidrig erklärt“, sagt Brux.

Bei den Sozialdemokraten im Abgeordnetenhaus und den SPD-geführten Senatsverwaltungen gibt es dagegen teils erhebliche Bedenken gegen die deutschlandweit einmalige Regelung. Unter anderem die Verwaltung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) verweigert bislang die Mitzeichnung zum neuen „Gesetz zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft“. Solange diese nicht erfolgt ist, kann der Senat keinen abgestimmten Entwurf vorlegen, das Gesetz nicht im Abgeordnetenhaus diskutiert und verabschiedet werden – die Reform würde blockiert.

„Wir stehen zu den Vereinbarungen der Koalition, die Vielfalt im öffentlichen Dienst zu erhöhen. Der Entwurf der Gesetzesnovelle in seiner jetzigen Fassung ist dafür aber unzureichend“, sagt Geisels Sprecher am Montag. Die Verwaltung von Senatorin Breitenbach habe den Auftrag, einen konsensfähigen Entwurf vorzulegen.

Die Konfliktlinie: Linke und Grüne auf der einen Seite, die SPD auf der anderen

„In unserem Verantwortungsbereich sind wir übrigens gut aufgestellt“, sagte der Sprecher. 38 Prozent der neuen Polizisten hätten eine Migrationsgeschichte. Auch die Senatsverwaltung für Gleichstellung von Senatorin Dilek Kalayci (SPD) hatte Bedenken angemeldet.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD).

© Britta Pedersen/dpa-

Die Konfliktlinie läuft ähnlich wie beim Streit um das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG): Linke und Grüne auf der einen Seite, die SPD auf der anderen. Damals dauerten die Verhandlungen mehr als drei Jahre bis das Gesetz im Juni 2020 beschlossen wurde.

Polizeigewerkschafter erklärten damals, das Gesetz spreche den Beamten ein „kollektives Misstrauen“ aus. Viele in der SPD erinnern sich noch gut an die heftige Kritik, die sie dafür einstecken mussten, das Gesetz mitzutragen.

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Auch wenn bislang die größten Befürchtungen der Polizeigewerkschaften ausbleiben, dass das LADG für eine Klagewelle sorgen könnte: In der SPD scheut man, so ist zu hören, auch den Vorwurf, sich zu sehr für Partikularinteressen stark zu machen und „das große Ganze“ aus dem Blick zu verlieren. Gleichzeitig gibt es in der Partei viele, die sich fragen, inwiefern die Regelung wirklich verfassungskonform gestaltet werden kann.

Verfassungsrechtler: Bedenken der SPD sind berechtigt

Der Arbeitsrechtsexperte Arnd Diringer hält die Bedenken der SPD für berechtigt. „Das ist grob verfassungswidrig, das brauchen sie gar nicht erst zu versuchen“, sagte Diringer dem Tagesspiegel. Er ist promovierter Verfassungsrechtler.

Diringer zitiert Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes: „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“ Abweichungen von diesem Prinzip zur Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Menschen mit Behinderungen, seien zwar „ausnahmsweise“ möglich, erklärt Diringer: „Das ist in einem Sozialstaat wichtig und nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben zulässig.“ Bevorzugung aufgrund von Herkunft oder Ethnie sei aber „ausdrücklich verboten“ – genau wie Benachteiligung. „Das Grundgesetz“, sagt Diringer, „kennt nur Deutsche und Menschen ‚allgemein‘, keine andere Kategorie.“

Zwar ist es nach Artikel 3 des Grundgesetzes möglich, Frauen bei gleicher Eignung zu bevorzugen – zugleich ist es aber untersagt, jemanden wegen der Abstammung, Sprache, Heimat, Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen.

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Auch Frank Becker, Vorsitzender des DBB Beamtenbund und Tarifunion Berlin hält eine „Migrantenquote“ deshalb für unvereinbar mit dem Grundgesetz. Für seinen Verband, sagte Becker, könne er feststellen, dass die Mitglieder darauf achteten, dass Einstellungen rechtssicher und diskriminierungsfrei durchzuführen – „andernfalls hätte eine Vielzahl von Klageverfahren längst etwaige Missstände aufgezeigt“.

Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke).
Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke).

© imago images / Reiner Zensen

Mehr zum Thema: Migranten und Schule – benachteiligt von Anfang an

Bei der Diskussion um die Migrantenquote wird immer auch die Frage nach der Vergleichbarkeit der Qualifikation gestellt: Migranten sind unter den Auszubildenden und Studierenden unterrepräsentiert. Dies wiederum resultiert zum Teil aus großen Unterschieden bei den Schulabschlüssen, wie ein Blick in die Bildungsstatistik des Senats zeigt: Sie differenziert nach Schüler:innen „nichtdeutscher Herkunftssprache“ (ndH), die aktuell 45 Prozent der Schülerschaft an Grundschulen und 27 Prozent an Gymnasien ausmachen.

Ohne Abschluss: In 2019 verließen 13 Prozent der ndH-Schüler:innen die Schule ohne Abschluss. Die entsprechenden Angabe für die Schülerschaft deutscher Herkunftssprache fehlt. Allerdings gibt es eine Prozentangabe für alle Schüler:innen ohne Abschluss: 7,6 Prozent.

Mit Abitur: Ein Abitur erlangten 2019 rund 33 Prozent der ndH-Abgänger:innen, aber 46 Prozent des Gesamtjahrgangs. Überdies belegt der Abiturbericht des Instituts für Schulqualität in Berlin-Brandenburg (ISQ), dass die Quote der Durchfaller beim Abitur unter mit 7,5 Prozent unter ndH-Schülern fast doppelt so hoch ist wie bei denen deutscher Herkunftssprache, die bei 3,9 Prozent lag (das ISQ weist hier - anders als die Bildungsstatistik der Bildungsverwaltung - diese "dH-Quote" aus).

Erstklässler: Die Rückstände können auch mittelfristig nicht aufgeholt werden, weil die ndH-Kinder überdurchschnittlich häufig aus bildungsfernen Familien kommen und zu Hause weniger gefördert werden. Bei den Einschulungsuntersuchungen fallen insbesondere die arabisch- und türkischstämmigen Kinder auf, weil 40 bis 50 Prozent von ihnen massive Rückstände in der Entwicklung haben gegenüber rund 30 Prozent im Schnitt eines Jahrgangs.

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