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Für das Wohn- und Geschäftshaus „Port-o-Prenz“ wurde von Anfang an mehrstöckig geplant. Über dem Supermarkt im Erdgeschoss entstanden 240 Wohneinheiten.

© Doris Spiekermann-Klaas

Oben wohnen, unten einkaufen: Wenn der Supermarkt zum Vermieter wird – so läuft „Discounterisierung“

Lebensmittelläden sollen über ihre Geschäfte Wohnungen bauen, um aus Kunden Mieter zu machen. Doch große Sonderangebote machen sie bisher nicht.

Der städtische Raum ist begrenzt: Es fehlt an Wohnungen, Spielplätzen, Freizeitorten. Da wirkt es geradezu grotesk, wenn eingeschossige Lebensmittelmärkte das Stadtbild zerrupfen. Für diese Platzverschwendung gibt es einen Begriff: „Discounterisierung“.

Berlin will die Baulücken über den Märkten nun mit Wohnungen auffüllen, aber die Discounterisierung geht hinter den neugebauten Fassaden weiter, denn der Discounter wird zum Vermieter. Für Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) ist die entscheidende Frage: „Was für Wohnraum entsteht da?“

Aldi sei dabei ein guter Partner. „Denn das Unternehmen schafft aus eigenem Interesse bezahlbaren Wohnraum, den sich breite Bevölkerungsschichten leisten können.“ Die Überlegung dahinter: Aldi, Rewe, Edeka und Co. wollen sich Kunden aufs Dach setzen. Wer in einer teuren Eigentumswohnung wohnt, der kauft eher nicht im Discounter – auch wenn der gleich die Treppe runter ist.

Die Wohnungen müssen also zur Zielgruppe der Märkte passen. Angela Million leitet das Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen an der TU Berlin und mahnt: „Der Lebensmitteleinzelhändler wird zum Wohnungsbauer und die Wohnung zur Ware. Es bleibt abzuwarten, wie Qualitätskonventionen vom Lebensmitteleinzelhandel auf den Wohnungsbau übertragen werden.“

Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, sorgt sich um den Preis der neuen Wohnungen: „Leider gibt es – anders als am Anfang der Legislatur versprochen – keine Verabredungen mit den Supermarktbetreibern, dass auch bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. Hier hat der Senat geschlafen,“ findet Schmidt.

Über 330 Supermärkten könnten bis zu 36.000 Wohnungen entstehen

Aldi-Pressesprecher Christian Salmen teilt mit: „Bei der Miete orientieren wir uns an den ortsüblichen Niveaus und wo es Sinn ergibt, arbeiten wir bei Vermietung und Verwaltung mit einem externen Partner zusammen.“

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Die Überbauungen findet Angela Million grundsätzlich richtig: „Eingeschossige Supermärkte können wir uns aufgrund des Nutzungsdruckes nicht mehr leisten. Wir müssen unsere inneren Flächenreserven nutzen.“

Über 330 Berliner Supermärkten könnten 14.000 bis 36.000 neue Wohnungen entstehen, schätzt die Stadtentwicklungsverwaltung. So ist es beispielhaft geschehen mit einer Aldi-Filiale in der Berolinastraße in Mitte oder über einem Rewe-Markt in der Pappelallee in Prenzlauer Berg, „Port-o-Prenz“ genannt. In den dortigen Mietwohnungen kostet der Quadratmeter allerdings bis zu 20 Euro. 

Alte Supermärkte müssen für Aufbau von Wohnungen abgerissen werden

Es stellt sich die Frage: Warum wurden bisher nicht mehr Supermärkte überbaut, wenn die Idee städtebaulich so sinnvoll ist? „So ein Projekt steht und fällt mit der Entscheidung der Flächeneigentümer“, erklärt Million.

Und das seien oft nicht die Einzelhändler selbst, sondern Dritte. Über jeden Standort verhandeln Investoren, Supermarktbetreiber und Bezirke daher einzeln. Bestehende Märkte sind außerdem nicht dafür gedacht, mehrere Etagen zu tragen. Sie müssen abgerissen und neu gebaut werden.

Da ist noch so viel Platz drüber! Über 330 Supermärkten will Berlin Wohnungen bauen.
Da ist noch so viel Platz drüber! Über 330 Supermärkten will Berlin Wohnungen bauen.

© Friso Gentsch/dpa

Der Neubau ist für Unternehmen reizvoll, da sie dadurch ihre Verkaufsflächen vergrößern können. Bis zu 800 Quadratmetern ist das schnell genehmigt. Aber immer häufiger gibt es Vergrößerungen darüber hinaus, dafür braucht es ein Bebauungsplanverfahren.

Der Vorteil: Von neuen Wohnungen werden dann 30 Prozent zu Sozialwohnungen. „Das gilt auch für Supermarktüberbauungen“, sagt Sebastian Scheel. Der Nachteil: Es dauert länger. „Wenn es schnell geht zwei Jahre, aber in der Regel drei bis vier.“

Nur ein Bezirk noch ohne Überbauungs-Pläne

Für die Supermarktbetreiber ist das oft nicht schnell genug und Stadtentwicklungssenator Scheel sieht bei den Bezirken unterschiedliches Engagement, das liege aber auch an Überlastung. „Für den Senat hat die Schaffung von Wohnraum über Supermärkten einen hohen Stellenwert“, sagt Scheel, „das haben wir den Bezirken auch so klar gesagt.“

Einzig in Spandau gibt es keine derartigen Projekte. Lars Struve, Referent des Bezirksstadtrats sagt: „Bisher kam keiner auf uns zu.“ In Spandau habe man noch genug Platz, es gebe andere Flächen, auf denen gebaut werde. „Außerdem sind Supermarktüberbauungen nicht unkompliziert“, das sei auch ein Grund.

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Seit 2016 wurden 14 Supermärkte in Berlin überbaut. Ein knappes halbes Dutzend wird derzeit gebaut und ein weiteres gutes Dutzend befindet sich in der Genehmigungsphase. Exakte Angaben sind nicht möglich, da nicht alle Bezirke genaue Auskunft zu den Vorhaben geben.

Laut Senatsverwaltung entstünden pro Projekt durchschnittlich 50 bis 100 Wohnungen, jährliche Zielzahlen habe man sich laut Sebastian Scheel aber nicht gesetzt. Egal wie schnell es vorangeht, es wird zunehmend Berlinerinnen und Berliner geben, die beim selben Unternehmen einkaufen und wohnen. Das entspannt des Wohnungsmarkt, aber die „Discounterisierung“ der Stadt geht weiter.

Marian Schuth

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